Seite:Die Gartenlaube (1877) 608.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


erforderlichen Falles die Befugniß zugesprochen wurde, jeden an sich tüchtigen Einwohner zwangsweise in die Feuerwehr einzureihen. Freiwillige und Berufsfeuerwehren haben seither in Württemberg gewetteifert, dem hohen und schönen Zwecke zu dienen, der beiden gleichmäßig vorgeschrieben ist, und es besteht kein wesentlicher Unterschied mehr zwischen ihnen. Die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren sind sich bewußt, daß sie Bürgerpflicht erfüllen, und die Mitglieder der Berufsfeuerwehren ihrerseits setzen, wo es gilt, ihre Kräfte ebenso freudig ein, als ob sie freiwillige wären.

Im Jahre 1853 wurde ein Anfang mit der Einführung von Feuerwehrversammlungen oder Feuerwehrtagen gemacht. Die erste derartige Versammlung fand am 10. Juli 1853 in Plochingen statt, und es waren dabei zehn württembergische Feuerwehren vertreten. Welchen Anklang diese Versammlungen fanden, das bewies schon der vierte, 1857 in Karlsruhe abgehaltene Feuerwehrtag, an dem hundertundfünfzig Vertreter von Feuerwehren Theil nahmen. Auf dem Feuerwehrtage zu Augsburg im Jahre 1862 wurde die Bildung von Landesfeuerwehrverbänden beschlossen, und schon im Jahre darauf kam auf dem Feuerwehrtage in Stuttgart die Gründung eines Landesverbandes der württembergischen Feuerwehren zu Stande.

Weitaus am erfolgreichsten aber wirkte für die Gründung und Verbreitung von Feuerwehren die Gründung einer Centralcasse zur Unterstützung verunglückter Feuerwehrmänner und deren Hinterbliebenen. Die Unterstützungscasse wurde nach längeren Verhandlungen und mit Genehmigung des Ministeriums des Innern dergestalt gegründet, daß die Gebäude-Brand-Versicherungsanstalt ein Procent ihrer Jahreseinnahmen und die in Württemberg concessionirten Mobiliar-Versicherungsgesellschaften ein halbes Procent derjenigen Brutto-Einnahmen an Versicherungsprämien beisteuern, welche sie im vorhergehenden Jahre erzielt haben. In den Zeitraum von 1868 bis 1876 ist auf diese Weise die Gesamtsumme von 218,931 Mark in die Centralunterstützungscasse für die württembergischen Feuerwehren geflossen. Im dem gedachten Zeitraum beliefen sich die Unterstützungen an beschädigte Feuerwehrmänner und an die Hinterbliebenen der in ihrem Beruf verunglückten Feuerwehrmänner auf 52,116 Mark, die Beiträge an Gemeinden und Feuerwehren, die nach Befriedigung des vorgenannten Bedürfnisses ebenfalls aus der Unterstützungscasse zu anderweiten Feuerlöschzwecken gegeben werden können, auf 154,548 Mark. Nach einer neunjährigen Zusammenstellung kommt jährlich eine Verletzung auf 3600 Mann und ein Todesfall auf 27,500 Mann.

Der gegenwärtige Stand des Feuerlöschwesens im Königreich Württemberg ist in folgenden Zahlen ausgedrückt. Es bestehen in diesem Lande 542 Feuerwehren mit 70,570 Mitgliedern, 2537 Fahrfeuerspritzen, worunter 2 Dampfspritzen, 3476 Trag- und Handfeuerspritzen, 137,415 Meter Schläuche zu den Fahrspritzen, 6920 Feuerleitern, 5366 kleinen Stock- und Dachleitern. Diese Löscheinrichtungen haben zusammen einen Werth von nahezu 5,000,000 Mark.

An diese Schilderung des Entwickelungsganges der Feuerwehren in Württemberg möge eine kurze Darlegung über das Feuerlöschwesen in den anderen deutschen Staaten geknüpft sein. Schwer ist zu sagen, wie es kam, daß sich dasselbe in den letzten Jahrzehnten so riesenhaft, insbesondere in Baiern, entfalten konnte. Auch vor dieser Zeit haben Regierungen, Vereine und tüchtige einzelne Kräfte an der Verbesserung der Zustände mit Einsicht und festem Willen gearbeitet, einen durchschlagendem Erfolg aber nirgends zu verzeichnen gehabt. Die Erklärung, wie das, was man so lange vergeblich angestrebt, in unserer Zeit so plötzlich zum Durchbruch kommen konnte, wäre eine culturgeschichtliche Studie, nur verständlich im Zusammenhange mit dem freudigen Fortschreiten auf allen anderen Gebieten menschlicher Thätigkeit.

Es ist nicht nur die Folge des Aufschwunges der gesammten Technik oder des zunehmenden Wohlstandes, auch nicht die Folge irgend einer neuen Erfindung oder der Anregung einzelner Männer; es ist eben eine jener tausend Blüthen, welche die merkwürdige Zeit, in der wir leben, zur Entfaltung gebracht hat.

Ein altbewährter Feuerwehrmann, Magirus in Ulm, nimmt in seinem trefflichen, soeben in neuer Auflage erschienenen Werke „Das Feuerlöschwesen in allen seinen Theilen“, auf das ich noch mit einigen Worten zurückkommen werde, an, daß ohne Zweifel der Hamburger Brand mitgewirkt habe, welcher vom 5. bis 8. Mai 1842 fünfundsiebenzig Straßen mit viertausendzweihundertneunzehn Wohnhäusern und drei Kirchen zerstörte und hundert Menschenleben kostete. Die Erkenntniß, daß das Bestehende nicht mehr genüge, war zu Anfang der 1840er Jahre durchgedrungen.

Es ist nicht möglich, mit positiver Sicherheit anzugeben, welche Stadt die erste moderne Feuerwehr eingerichtet hat. Unter die ersten gehört jedenfalls Meißen, wo am 7. Juli 1841 ein „freiwilliges Lösch- und Rettungscorps“ errichtet wurde. Das Corps hatte schon 1842 bei vielen großen Bränden, von denen Meißen in diesem Jahre heimgesucht wurde, Gelegenheit, seine Thätigkeit in rühmlichster Weise zu bekunden. Auch Barmen hatte um diese Zeit ein allen neueren Anforderungen entsprechendes Lösch- und Rettungscorps. In Durlach wurde 1846 eine organisirte Feuerwehr gegründet, welche bereits wenige Monate später bei dem großen Theaterbrand in Karlsruhe, wobei achtundsechszig Personen auf schreckliche Art um's Leben kamen, eine tüchtige Probe ihrer Leistungsfähigkeit ablegte. In demselben Jahre wurden im Königreich Sachsen die Turnerfeuerwehr zu Leipzig und die Feuerwehr zu Großenhain in's Leben gerufen. Bis zu der zweiten Hälfte der 1850er Jahre ging es mit der Gründung von Feuerwehren noch langsam vorwärts. Die damals auch jugendlichen Turnvereine haben, getreu ihren Tendenzen, sich willig zur Verfügung gestellt und durch ihre auf dem Turnplatze erworbene Kraft und Gewandtheit die Errichtung tüchtiger Steigerabtheilungen erleichtert. Dies erklärt auch, daß die ersten Feuerwehren beinahe ausschließlich als Uniform die Turnjacke getragen haben.

Gegen den Uniformsrock mit blanken Knöpfen herrschte damals eine allgemeine Abneigung, welche ihren Grund in den politischen Zuständen hatte. Der Bürgerstand war zum großen Theil mit einer ausgesprochenen Antipathie gegen alles Militärwesen erfüllt; „er wollte keinen Soldatenrock tragen“. In diesen Anschauungen hat sich inzwischen ein solcher Umschwung vollzogen, daß mancher jüngere Leser zu obiger Behauptung vielleicht den Kopf schütteln wird. Ganz derselbe Umstand hatte auch die Wirkung, daß man stramme, militärische Haltung nicht in dem Maße durchführen konnte, wie dies jetzt mit Recht gefordert wird und eingeführt worden ist.

Nach den dem Magirus'schen Buche entlehnten statistischen Angaben, die allerdings von der auf dem Stuttgarter Feuerwehrtag vorgetragenen Statistik schon überholt sind, bestanden 1876 in Baden 273, in Baiern 2920, in Sachsen 240 und in den verschiedenen deutsch-österreichischen Kronländern 782 Feuerwehren. Die neueste, vom Ausschuß des Verbandes der deutschen Feuerwehren bewirkte statistische Erhebung hat für das deutsche Reich allein am Schlusse des Jahres 1876 einen Gesammtbestand von 5965 Feuerwehren mit 531,000 Mannschaften und 16,000 Feuerlöschmaschinen nachgewiesen, sodaß man also mit Fug und Recht sagen kann, die deutschen Feuerwehren sind gegenwärtig eine riesengroße Armee, und sie bilden einen mächtigen Factor, mit dem die Leiter und Regierer der Staatswesen zu rechnen haben.

Nachdem auch Norddeutschland mit der Gründung freiwilliger Feuerwehren nicht zurückgeblieben ist, wird die Zeit nicht mehr fern sein, in der man mehr auf das Erhalten des schon Geschaffenen, als auf neue Gründungen wird bedacht sein müssen. Daß es schwerer ist, zu erhalten, als neu zu gründen, ist eine Erfahrung, die zahlreiche Beispiele aufzuweisen hat.

Die weitaus stärkste freiwillige Feuerwehr ist diejenige in Stuttgart. Ich halte es für eine Pflicht der Dankbarkeit, der Organisation dieses Elitecorps, welches soeben seine erstaunliche Leistungsfähigkeit vor den Augen der Vertreter von ganz Deutschland gezeigt hat, in kurzer Weise zu gedenken. Mancher deutsche Feuerwehrmann wird sicher von ihm gelernt, wird aus seinen Vorführungen zweckmäßige Anregungen mit in die Heimath genommen haben.

Die Stuttgarter Feuerwehr bildet ein unter dem Commandanten sehendes selbstständiges Corps, das in zwei räumlich abgetheilte und je eine vollständige, in Bezug auf Geräthschaften und Organisation selbstständige Feuerwehr bildende Abtheilungen (Bataillone) eingetheilt ist. Nur bei dringenden Fällen und auf besonderen Anruf hat das eine Bataillon dem anderen zu Hülfe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_608.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2019)