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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


wenn keine Gefahr ist, aber vor einer rohen Menschenmenge könnte ich mich verkriechen aus lauter Angst. ... Da! Hört selbst!“ lauschte sie plötzlich auf.

Ein Gesumme, wie von fernen Menschenstimmen, ließ sich aus der Stadt vernehmen. Der Schall von Hufschlägen wurde erkennbar. Schon waren einzelne Rufe aus dem Getöse zu unterscheiden. Der Lärm kam näher.

Die junge Herzogin barg sich ängstlich hinter ihrer Base, welche auf den Balcon trat.

„Der Herzog von Cleve muß über den Platz reiten,“ flüsterte sie ihr zu, „das ist seine Drachensaat.“

„Fürwahr, er ist es,“ rief die Aebtissin, schnell vom Balcon zurücktretend. „Sie umtanzen ihn förmlich mit Schreien und Hutschwenken. Welche schrecklichen Gestalten! Und er nickt ihnen zu, nach rechts und links, gnädig lächelnd, als befände er sich unter seines Gleichen. O Gott, wie mag sich ein Fürst so wegwerfen!“

Immer näher kam der Lärm; von hunderten von Stimmen schrie es:

„Heil Cleve! Heil Adolf und Maria!“

„Heil unserem künftigen Herzog!“

„Hoch unsere Freiheit, hoch, hoch!“

Aber jeden neuen Ausruf angebend und mitten aus dem Chaos der Stimmen erkennbar und sie übertönend wie Posaunenton, that sich eine einzelne, machtvolle Baßstimme hervor.

„Das ist Nikol, der Baß, der Führer des Pöbels und des Herzogs berüchtigter Handlanger,“ flüsterte Maria. „Ihm folgt die ganze Rotte.“

„Die Rotte Korah!“ seufzte die Aebtissin zum Himmel, während Hufschlag und Lärm, wie ein Wirbelsturm, schnell wie er gekommen, sich in der Ferne verlor.

„Ist es denn möglich? Das unter den Fenstern des Schlosses!“

„O, das ist noch das Wenigste, Base. Aber sie entblöden sich schon nicht mehr, auch Drohungen gegen mich auszustoßen. Ich bin ja schutzlos, wie meine Kanzler es waren. ... Und doch ... nein“ ... setzte sie nach einem scheuen Blick in den Saal leise hinzu – „Ihr wißt noch nicht Alles, Base, – so ganz schutzlos bin ich nicht. Ich habe einen unsichtbaren Beschützer.“

„Den haben wir Alle, Kind, dort oben,“ lächelte die Aebtissin.

„Wohl, ehrwürdige Base, wohl! Aber ... ich habe auch einen hier unten, einen ganz irdischen. Es liegt ein wunderbares Geheimniß um ihn, so daß mir vor ihm grauen könnte, wenn er mir nicht so Gutes thäte.“

„Ich sage es ja, Kind, der böse Feind geht um. Gott behüte Dich vor ihm!“

Maria lächelte. Der „böse Feind“ schien ihr keinen Eindruck zu machen.

„O Base, wie könnte es der Böse sein?“ sagte sie schelmisch. „Habt Ihr jemals gehört; daß er auch Reimsprüchlein macht?“

„Niemals,“ betheuerte die Aebtissin.

„Ich auch nicht. Hört nur, aber von Anfang an! ... Kaum war die Schreckenskunde gekommen, daß mein armer Vater vor Nancy gefallen sei, so fand ich in meinem Boudoir einen Streifen Linnenpapier mit dem Sprüchlein:

'Gieb Deinen Vetter Adolf frei!
Dann führ' ich, den Du liebst, herbei.'“

„Also mit Geldern in Verbindung,“ nickte für sich die Aebtissin.

„Ihr wißt, Base, daß ich ihn freigab – ich hätte es auch ohnehin gethan, denn seine Strafe erschien mir immer zu hart. Aber kaum war Adolf bei Tournay gefallen, so ereigneten sich sonderbare Dinge. In Geldern sollten neue Truppen ausgehoben werden, doch siehe da, alle junge Mannschaft zwischen Maas und Zuydersee war verschwunden.“

„Seltsam!“

„Und noch auffallender ... selbst die von Adolf mitgenommenen hatten nach seinem Tode beim Dunkel der Nacht in der allgemeinen Verwirrung heimlich das Heer verlassen – Niemand wußte, wohin.“

„Aber was in aller Welt hat das mit Deinem Beschützer zu thun?“

„Hört nur weiter! Der nächste Spruch, den ich fand, lautete:

'Um Deine Kanzler sieh Dich vor!
Schon klopft der Henker an ihr Thor.'

Ich zeigte es Imbercourt und Hugonet; sie belächelten es, blieben ... und Ihr kennt ihr schreckliches Ende.“

„Also auch mit dem Volke in Verbindung!“

„Sicher. Aber noch mehr. Rathlos vor den Ereignissen, die Schlag auf Schlag auf mich einstürmten, stehe ich eines Morgens vor der Marmorbüste Maximilians, die mir in besseren Zeiten Lorenzo Medicis geschenkt, und schmerzvoll in ihren Anblick versunken, rufe ich eben: 'O Max, was soll ich thun ohne Dich?' da fällt mein Blick auf ein Papier am Postament mit dem dritten Spruch. Laßt sehen, ob ich ihn noch aus dem Gedächtniß sagen kann. ...

'Dein Brieflein ist in seinen Händen.
Doch mußt ihm noch ein zweites senden,
Mußt ihn zu rascher That bewegen
Und hier das Brieflein niederlegen.
Verbirg vor Cleve Deinen Sinn
Und König Ludwig halte hin!'“

„Das ist wunderbar,“ entfuhr es der Aebtissin.

„Nicht wahr? Als ob er in meiner Seele gelesen hätte. Und wie konnte er wissen, daß ich wirklich insgeheim längst an Max geschrieben, daß ich ihn flehentlich gebeten hatte, mich nicht zu verlassen, und daß mein Brief in seine Hände gekommen? ... Ich darf Euch wohl sagen,“ fuhr sie leise und mit schlauem Lächeln fort, „daß ich nicht zögerte, dem Rathe zu folgen. Den Brief legte ich unter die Büste nieder. Am anderen Morgen war er verschwunden. Gegen Cleve that ich ganz arglos, und König Ludwig ließ ich Waffenstillstand und neue Verhandlungen anbieten – Ihr wißt ja, das macht man immer so, wenn man nur Zeit gewinnen will. Daher heute die französische Gesandtschaft!“

„Ei, ei, Du Heuchlerin!“ drohte die fromme Frau mit erhobenem Finger. „Siehst Du, das kam vom bösen Feind. Da zeigte er den Pferdefuß.“

„Was wollt Ihr, Base?“ lachte Maria jetzt offen vor sich hin. „Es war nur das Blümchen Fuchsschwänzlein, das dem Mägdlein in der Noth wohl anstehen mag. Nun aber höret das Räthselhafteste von Allem! Gestern finde ich einen vierten Spruch, er lautet:

'Sei fest! Wenn jede Hoffnung sank,
Bin ich Dir nah' und Teuerdank.'

Teuerdank! Wer ist Teuerdank?“

„Vielleicht einer von Maximilian's Begleitern?“ fragte, überrascht aufblickend, die Aebtissin.

„Nein, nein, Base, ich hörte den Namen nie. Und doch dringt er mir wunderbar zu Herzen. Er klingt wie 'Abenteuer um Frauendank', und ich weiß, mein Maximilian liebt dergleichen. Ja, etwas Glückverheißendes muß es sein, denn das Wort schon ist mir wie ein süßer Trost.“

„Kind, Kind, wenn etwa gar der schreckliche Geheimbund ... Lächle nicht! Mir graut! Doch Dein Beschützer sagt, auch er selbst sei Dir nahe; hast Du gar keine Spur?“

„Nicht die leiseste.“

„Deine Kammerdiener?“

„Brave Grauköpfe. Meine Zofen, harmlose Geschöpfe.“

„Dein persönlicher Dienst vom Gefolge?“

„Adelheid von Helwin und Hugo von Huy. Adelheid – Ihr kennt sie ja, Base – sieht sie aus wie eine geheime Beschützerin? Nein, nein, die junge reiche Erbin, so ergeben sie mir ist, denkt doch an ganz andere Dinge, als an die Zukunft Burgunds und an hohe Politik. Der Himmel verzeihe mir, daß ich schon wieder lachen muß, aber ich habe sie eben im Verdacht, daß sie entsetzlich eifersüchtig ist, und denkt nur auf wen ... auf mich. Die Thörin! Sie könnte doch wissen, daß ich nur ein Bild im Herzen trage, und daß ich in dieser Schreckenszeit wahrlich an Anderes denke, als ihr ein Herz abspänstig zu machen.“

„Und wessen?“ fragte die Aebtissin mit jener Wißbegierde, die auch die frömmste Matrone bei so wichtigen irdischen Dingen niemals verleugnen wird.

„Eben jenes Hugo von Huy,“ warf Maria leicht hin. „Ein armer junger Edelmann, Verwandter unseres alten Freundes Huy auf Burg Huy bei Neumünster. Ist am Hofe in Mailand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_612.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)