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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


entdeckt; sofort nähert er sich diesen Fundstellen stillbedächtig, um seinen sicheren Fischfang auszuüben. Ein Blick auf die ungemein langen Zehen seiner hohen Stelzfüße, die den sprüchwörtlich leichten Rumpf tragen, macht es begreiflich, wie dem Vogel das Schreiten über den weichsten Sumpf- und Schlammboden ermöglicht ist. Hier räumt er denn auch unter Allem, „was da kraucht“, weidlich und unbarmherzig auf. Neben der beschriebenen Nahrung stellt er allen erdständigen Vogelnestern nach. Die Bruten des Kiebitz, der Becassinen und Wildenten, die Nester der Rohrsänger, des Teich- und Rohrhuhnes verfallen der Wucht seines mörderischen Schnabels. Wie der unrechtmäßiger Weise in einer Art Heiligkeit stehende Storch, macht er Wiese, Ried und Marschen unsicher.

Aber welch ein Unterschied zwischen diesen beiden verwandten Stelzvögeln! Während den Bewohner unserer Dachfirsten und Kopfbäume in Gestalt und Bewegung etwas Stattliches, Gravitätisches kennzeichnet, verräth sich in dem Thun des Reihers die Häßlichkeit, verbunden mit Schlauheit und Tücke. Er ist ein Bild der Widerwärtigkeit, der Freßgier und des immer regen Diebsgelüstes. Mit niedergebogenem Halse und gesenktem Schnabel schleicht der Reiher, allein oder mit andern seiner Sippschaft, geräuschlos wie die das Schilf und Röhricht durchziehende Sommerluft, unter schattenhafter Bewegung die Ufer der Gewässer entlang. Jede Bewegung im Wasser unter ihm oder in dem ihn umgebenden Gestrüpp bemerkt sein reges Gaunergesicht, und stets sind, bei aller scheinbaren Ruhe und Gleichgültigkeit, Raubsinn und Gier in ihm bereit, alles Lebende hinterlistig zu morden. Frösche, Schlangen, Vögel und Säugethiere verschluckt er, nachdem er sie gestochen und todtgebissen, mit den Köpfen zu unterst; Fische hingegen bringt er stets vorher in die Lage mit dem Kopfe nach oben, ehe er sie hinunterwürgt. Wehe dem Trupp zahmen jungen Federviehs, dem er auf Teichen, Flüssen oder Bächen begegnet! Wehe dem in Wiese oder Feld sich verlaufenden Hühnervölkchen der Höfe! Der schleichende Räuber fährt unter der Deckung von Schilf oder Gras oder aus schützendem Getreide verderbenbringend über die Wehrlosen her. Besonders in den Morgen- und Abendstunden geht er dem Raube nach. Mit angefülltem Kropfe verläßt er, unter unbehülflichen Flügelschlägen sich erhebend, seine Lauer- und Fangplätze, um mit krächzenden, sägeartigen Lauten, wie er gekommen, wieder seinem Stande zuzustreichen. „Kräik! Kräik!“ erschallt in kleinen Pausen sein Ruf, gleichsam der unmelodische Tact zu seinem schwerfälligen Fluge.

Unter einem harten, abgebrochenen Laut „Ka“ oder „Krah“ hat er sich seinem „Stande“ oder Nistorte genähert und wird nun von den heißhungrigen Jungen auf dem Reste mit rauhen, wie „Kreck, kreck“ tönenden Stimmen empfangen. Diese häßlichen Gestalten mit dem stoppelfederigen, struppigen Kleide der ersten Reiherjugend und den unförmlichen Gliedmaßen überkommt die Freßgier dermaßen, daß sie gewöhnlich im maßlosen Zugreifen die Hälfte der von den Alten ausgewürgten Beute vom Neste herunterwerfen, die dann am Boden verfault und einen pestartigen Geruch verbreitet, ebenso wie der kalkartige Auswurf oder das „Geschmeiß“ an den Rändern der Stände, auf den Aesten und Zweigen der Standbäume und am Boden.

Das seichtmuldige, kunstlose Nest, wie unser Bild es so trefflich darstellt, ruht auf einer Unterlage von groben Reisern und einem Geniste von Schilf, Stroh, Haide und Wurzelwerk und besteht aus einem dürftigen Polster von Thierhaaren, Wolle, Federn und Grasrispen. Hier sind aus den grünlichen Eiern die beiden häßlichen Sprossen der Reihersippschaft entstanden. Schon haben sie den stechenden Blick, umgeben von den hellen Augenringen und dem schmutzig grünen, nackten Augenfelde; schon zieht sich der bezeichnende schwarze Strich durch die Augen nach dem Nacken, der die Tücke des Gesichtsausdruckes nur noch vermehrt. Bald wird nach dem Stoßen der Fahnen aus sämmtlichen Kielen das Gefieder ihre unförmlichen Blößen bedeckt haben und die Insassen auf die langen Ständer treiben. Bald darauf auch werden sich die flüggen Bewohner des Nestes mit unbehülflichen Flügelschlägen auf die nächsten Aeste ihres Standbaumes schwingen und von da aus die benachbarten Bäume besuchen, bis sie endlich nach etwa sechswöchentlicher Pflege, von den Alten verlassen, ihre Schleich- und Diebeswege im nahen schilfbedeckten Riede oder der Fluß- und Teichniederung selbst betreten, um eine Zeit lang allabendlich wieder zur Nachtruhe auf den Nestrand zurückzukehren. In dieser Zeit sind sie übrigens, wenn auch furchtsam, doch lange nicht so scheu und vorsichtig wie ihre erfahrenen Eltern.

Jetzt ist die Zeit, wo man sie im Schilfe und Grase mit dem Hühnerhunde „aufstoßen“ (auftreiben), die schwerfällig „Aufstehenden“ mit leichter Mühe durch groben Hagel herunterschießen und so manches Fischgebiet von den gefährlichen Gästen reinigen kann. Aber auch noch früher bei den „Ständen“ (Nistplätzen) vermag der Jäger weidlich selbst unter den alten Nistreihern aufzuräumen. Daselbst kann er auch fesselnde Beobachtungen anstellen über das bewegliche Thun und Treiben auf diesen oft von einem Dutzend und an besonders geeigneten, abgelegenen Orten noch viel zahlreicher vertretenen Ansiedelungen der räuberischen Gesellen. In den in der Nähe von Gewässern belegenen Rändern der Eichen- und Fichtenwaldungen oder in Weidengehägen, wie die Scene auf unserer Illustration ein solches zeigt, siedeln sich die Reiher alljährlich im Frühjahre an und behaupten diese Stände, ganz entgegen ihrem sonstigen furchtsamen und vorsichtigen Wesen, auch bei starker Nachstellung hartnäckig. Solche Ansiedelungen bieten deswegen auch ebenso sehr dem Jäger eine Gelegenheit zur Erlegung der den Fischereien und der niederen Jagd gefährlichen Vögel, wie sie dem Forscher einen Blick verstatten in die Lebensweise dieser Colonisten.

Wie wir in den Niederungen die Reiher in der scheinbar harmlosesten Ruhe an ihren Raubstellen als verkappte, verschlagene, mörderische Gesellen haben kennen gelernt, so bekunden sie sich hier auf ihren Ständen als feige Cameraden, die kein gemeinschaftliches Interesse verbindet, die ein plötzlicher Wetterschlag, an den sich die Thiere der Wildniß doch sonst gewöhnen, derart erschüttert, daß sie zusammenfahren, ja, die ihrer eigenen starken Wehrhaftigkeit so vergessen, daß sie den frechen Plünderern ihrer Nester, den Elstern, Raben und Krähen, nichts weiter als ein lärmendes Gekrächze, aufgesperrte Schnäbel und matte Flügelschläge mit feigem Retiriren entgegensetzen. Nur der verwundete, flügellahm geschossene Reiher wird Menschen und Thieren aus Verzweifelung gefährlich. Unversehens stößt er seinen Lanzenschnabel mit unheilvoller Sicherheit gegen das Auge des Jägers oder des Jagdhundes. Eigene Wahrnehmungen haben mich dies gelehrt, sodaß ich meine Hühnerhunde angeschossene Reiher nicht apportiren lasse, noch viel weniger mich selbst ihren wuchtigen Schnabelhieben aussetze.

Auf dem kahlen Geäste der an Feld und Wiesen stoßenden Eichwälder, Triften und Wüstungen sieht man allabendlich, namentlich gegen den Herbst hin, die Reiher in Flügen von einem Dutzend und mehreren. Beobachtet man sie durch ein Fernglas, so gewährt die in sich gekauerte Gesellschaft einen Anblick, als ob sie sich Beschaulichkeiten und Betrachtungen hingäbe; in Wahrheit wartet sie mit vollgepfropften Kröpfen nur ihrer Verdauung. Im September bis zum October sammeln sich bei uns und im Norden größere Flüge zum Zuge nach dem südlichen Europa oder über das Mittelmeer. Sie suchen die Höhe und ziehen in gewundener Linie meist bei Tage, zuweilen auch in mondhellen Nächten, davon. Im März kehren sie wieder. Im Norden sind sie Zugvögel, im südlichen Europa Strichvögel, und der auf dem Zuge begriffene oder in den Süden eingewanderte Reiher streicht stets, vermöge seines unsteten Wesens und seiner Raubbegierde, von einem Wassergebiet zum andern.

Der Fischreiher hat viele nahe und entferntere Verwandte. Sein berühmtester und schmuckster Vetter ist der große Silber- oder Edelreiher (A. alba). Wie alle Reihervögel überhaupt mehr oder minder zu Siedelungen unter sich und mit verwandten Arten, an den Seeküsten sogar mit dem kleinen Seeraben oder der Scharbe geneigt sind, so trifft man auch den Silberreiher mit seinem blendend weißen Gefieder unter Seinesgleichen und Verwandten auf den Ständen des Fischreihers. Namentlich begegnet man solchen Colonien an den ausgedehnten, schilfreichen Donauniederungen in Ungarn, und die von Reisenden und Forschern gemachten Schilderungen über die schöne Staffage und das abwechselnde und bewegte Leben solcher Ansiedelungen sind höchst anziehend. Der bekannte Vogelkenner A. von Homeyer hat den Edelreiher zuerst einzeln bei einem Stande seines unedleren heimischen Verwandten in einem Kieferwalde an der Oder in Schlesien brütend entdeckt. Das an Kopf und Unterbrust immerhin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_622.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)