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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 38.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Teuerdank’s Brautfahrt.
Romantisches Zeitbild aus dem 15. Jahrhundert.
Von Gustav von Meyern.
(Fortsetzung.)


Adelheid sah den Ritter Hugo mit großen Augen an. „Ah! In dem Augenblicke war es?“ fragte sie.

„In dem Augenblicke, Fräulein,“ erwiderte Hugo. „Aber erlaubt – ich bin noch nicht zu Ende. Sie zerfloß, wie Ihr Euch denken könnt, in Thränen. Nun kann ich Alles, aber ich kann kein schönes Auge weinen sehen. Das ist stärker als ich; das überwältigt mich. Und so zog es mich denn auch jetzt, ich mochte wollen oder nicht, zu ihren Füßen, und ich schwur ihr, daß ich sie anbete und ihr Blut und Leben weihe. – Seht, das ist die Geschichte meines gröblichen Verstoßes gegen alle burgundische Hofsitte, für den mir Maria, ebenso gröblicher Weise, die Hand zum Kusse gereicht hat.“

Tief beschämt schlug Adelheid die Augen nieder; nur mit Mühe hielt sie die Thränen zurück.

„Diesmal,“ sagte sie, schon fast schluchzend, „diesmal that ich Euch vielleicht Unrecht, aber – aber – Ihr habt Euch bitter gerächt.“ Und die Thränen perlten in ihren Augen.

„Thränen?“ rief Hugo. „Zu viel, Fräulein!“ Und im Augenblicke lag er zu ihren Füßen. „O, ich bete auch Euch an und schwöre –“

Aber sie ließ ihn nicht ausreden. Es lag eine gewisse leichtfertige Galanterie in seinen Worten, die sie tiefer verletzte, als die Beschämung, die er ihr eben bereitet hatte.

„Spielt Eure italienische Komödie in Mailand oder Florenz, Ritter!“ rief sie, ihre Thränen erstickend. „Euer Herz weiß nichts von dem, was Ihr sagt. Aber Eines wisset“ – und ihre Stimme zitterte vor tiefer, ernster Erregung – „wenn Ihr wirklich nicht seid, wofür ich Euch halten möchte, dann –“

„Nun? Dann?“ fragte er, sich langsam erhebend.

„Dann – verachte ich Euch.“

Und schroff wandte sie sich von ihm ab und wollte gehen. Aber nur einen Schritt hatte sie gethan, so fühlte sie ihre Hand ergriffen und sich zurückgehalten.

„Halt, Fräulein! Auch von mir ein Wort!“ Sie heftete kalt ihr Auge auf ihn. „Wenn Ihr wirklich seid, wofür ich Euch jetzt halte, dann –“

„Nun? Dann?“

„Dann möchte ich –“

„Was möchtet Ihr?“ fragte sie mit einem Blicke, der, plötzlich aufleuchtend, ihr vor Erregung bebendes Herz verrieth.

„Wohl der Prinz von Cleve sein –“ zog sich der halb schon Gefangene mit ironischem Lächeln noch rechtzeitig aus der Schlinge.

Grausam enttäuscht, kehrte ihm Adelheid den Rücken und wandte sich zum Balcon. Ihr Fächer knickte noch unter den zusammengepreßten Fingern. Und dennoch war sie glücklich – sie hatte, ob auch nur für eine Secunde, einen Blick in sein Innerstes gethan, und „Er liebt Dich dennoch, und Alles ist Maske –“ rief es tief auf dem Grunde ihrer Seele.

Keine der beiden streitenden Parteien hatte bisher bemerkt, daß wenige Augenblicke, ehe Adelheid mit so bezeichnender Geberde den Ritter verlassen, die Thür vom Corridor her geöffnet worden und ein Herr, offenbar ein vornehmer Herr vom Hofe, eingetreten war. Sein mit kostbarem Zobel verbrämter Sammetüberwurf, die goldene Kette über der Brust, das goldgetriebene Wehrgehenk mit dem reichen Schwertgriff und die Sporen bezeichneten seinen hohen Rang. Offenbar war er eben vom Ausritte heimgekehrt, denn er trug auf dem kurzgeschnittenen grauen Haare noch das Sammetbarett mit weißer Feder, von einer Rubinagraffe gehalten, und an den Händen noch die ledernen Stulphandschuhe, deren einen er, in der Thür stehen bleibend, eben auszog.

„Ah, da ist ja, was ich suche,“ murmelte er vor sich hin und warf unter den zusammengezogenen Brauen einen stechenden Blick von Hugo auf Adelheid. „Ein Auftritt zwischen Beiden! So, so! – Also doch ein Verhältniß. Ravestein mag Recht haben, aber – 'Traue, schaue, wem!' ist mein Wahlspruch.“

Dann trat er vor und gab mit klirrendem Tritte seine Gegenwart kund, während zugleich seine Züge ein völlig verändertes Gepräge zeigten. Die Falten zwischen den Brauen waren verschwunden; die Stirn war frei und offen; die schmalen Lippen öffneten sich zu einem humoristischen Lächeln, und die wasserblauen Augen blickten aus dem bartlosen Gesicht mit kurzem Kinn so treuherzig über der spitz gebogenen Nase hervor, daß für den Physiognomen höchstens diese letztere einen Zweifel an seiner Redlichkeit aufkommen lassen konnte. Als er aber jetzt das Wort nahm, um Hugo anzureden, und seine Stimme einen Brustton anschlug, so weich, so voll und sonor, als ob er unmittelbar dem Herzen entquelle, da mußte auch der letzte Zweifel schwinden: Der Herzog von Cleve war ein Biedermann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_627.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)