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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Minderzahl pflegt noch die Kunst, welche dereinst so viele „Wunder der Nadel“ schuf.

Sonst erzog man die Mädchen zu Arbeit und Häuslichkeit; jetzt werden sie mit Gelehrsamkeit aufgepäppelt. Da steht auf dem Stundenplan: Physik, Chemie, Aesthetik, Nationalökonomie, Botanik, Kunstanschauung, Formensinn, Haushaltungskunde und wer weiß was nicht noch Alles. Ist jedoch die Lehrzeit vorbei und das Gelehrte soll zur Anwendung kommen, dann wissen die jungen Mädchen das einfachste Naturereigniß nicht von seiner erhaben schönen Seite aufzufassen, sondern zittern und beben bei jedem Gewitterschlage. Das Studium der Chemie hat ihnen nicht einmal so viel Aufklärung gebracht, daß sie wüßten, es sei gesundheitsgefährlich, Säuren in einem kupfernen Kessel zu verwahren. Von Aesthetik und Formensinn ist ebenfalls nichts zu merken, weder in ihren Arbeitsspielereien – Phantasiearbeiten genannt – noch in ihren Toiletten. Trotz Botanik wissen sie grüne Petersilie von Schierling nicht zu unterscheiden und Haushaltungskunde haben sie wohl darum studirt, damit das Dienstmädchen die junge Frau um so besser betrügen kann. Und so geht es fort, denn der ganzen Ausbildung fehlt die richtige Basis. Die von Bildung strotzenden Fräulein denken sich unter einer tüchtigen Hausmutter immer nur eine robuste Gestalt mit blauer Schürze, rothem Gesicht und violetten Händen, die man mit der Köchin auf eine Stufe rangirt. Und doch sind meistens gerade diejenigen die vorzüglichsten Hausmütter, die es verstehen auch im Salon ihren Platz auszufüllen. Freilich sind solche sehr selten geworden, seit man sie mit Büchergelehrsamkeit dazu befähigen möchte und nur noch ausnahmsweise einem Mädchen zumuthet, daheim die Händchen frisch zu rühren und das Alles praktisch zu erlernen, wovon ihre Freundinnen in langen Vorträgen zu hören bekommen, um niemals klug daraus zu werden. Bei der Vielwisserei kommt es lediglich auf den Ausputz, die Tünche an. Der ganze Unterricht erstreckt sich auf Dinge, die hauptsächlich gelehrt werden, glänzende Examina zu erzielen, von den Lernenden aber in sehr kurzer Zeit wieder vergessen sind. Dadurch entsteht jene unselige Oberflächlichkeit, welche sich immer mehr in der Frauenwelt breit macht und so unendlich weit entfernt ist von der wahren Bildung, wie die moderne Oeldruckbilder von ihrem Original.

Die Knaben werden doch für ihren künftige Beruf erzogen – warum denn die Mädchen nicht? – Zeigen sich bei einem Knaben nur wenig geistige Anlagen, so giebt man ihm von vornherein eine Bildung, die ihn für einen seinen Fähigkeiten entsprechenden Berufszweig vorbereitet. Die Mädchen aber müssen alle in der „höhern Töchterschule“ zu gleichem Geistreichsein gedrillt werden.

Bei all den angesammelten Geistesschätzen wissen diese Dämchen, wenn sie daheim sind, nicht, wo sie vor Langeweile bleiben sollen, und quälen sich und ihre Umgebung mit verdrießlichen grämlichen Gesichtern, die nur durch das Wort „Amusement“ erhellt werden können. Da sieht man sie planlos durch die Straßen schlendern, nur um die Zeit todtzuschlagen und nebenbei ihr Lärvchen bewundern zu lassen.

Ein Mädchen, zu viel auf der Gasse,
Kommt ab von der richtigen Straße.

Das bedenkt die Mama jedoch nicht im geringsten, sintemal sie froh ist, daß das Töchterchen sich ein bischen zerstreut. Als ob das glückliche Jugendalter überhaupt der Zerstreuung bedürftig wäre, wenn es nicht schon angekränkelt ist von der Hypercivilisation unserer Tage! Man halte die Mädchen nur gehörig zur Arbeit an! Dann hört alle Langeweile von selbst auf, und die nervösen, bleichsüchtigen Mondscheingestalten werden froher, frischer Jugend Platz machen müssen. Mit der Pflege der Arbeit wird dann auch ein besserer Geschmack Verbreitung finden, so daß künstlerisch gebildete Augen nicht mehr nöthig haben, sich entsetzt von der „Krone der Schöpfung“ abzuwenden, wenn sie daher kommt mit unsicherem Gange, schwankend auf hohen Stöckelschuhen in einer Bekleidung, die aller Aesthetik Hohn spricht.

Anstatt die kleinen Mädchen stundenlang den Marterkasten, Clavier genannt, bearbeiten zu lassen, mache man ihre Händchen lieber geschmeidig, indem man ihnen die Fingerfertigkeit, welche die künstlerische Ausübung der weiblichen Handarbeiten unbedingt erfordert, durch regelmäßiges, wenn auch nicht zu lang anhaltendes Einüben der Elemente nach und nach beibringt! Eine solche Beschäftigung der kleinen Töchter ist von unsagbarem Werthe für's ganze Leben. Das Stillsitzen an und für sich übt schon vortrefflich in der großen, für das Weib unentbehrlichen Tugend der Selbstbeherrschung; es weist frühzeitig auf den künftigen Beruf des Weibes hin, der ihr engere Grenzen zieht, als dem allbesiegenden Manne. Wenn damit auch keineswegs angedeutet sein soll, daß der Frau der freie Aufschwung der Seele versagt wäre, so wird sie sich doch immer nur im Kleinen groß zeigen können, am größten aber, wenn sie ihren schönsten Ehrenplatz, den als Mutter der Völker, ganz und voll auszufüllen versteht.

Erziehen kann nur die Liebe. Darum muß auch die Mutter das Hauptwerk thun in der Erziehung der Kinder. Weil sie die einzig wahre Liebe hat, wird sie viel schneller zum Ziele kommen, als die allerbeste, geübteste Lehrerin. Freilich, ein bischen Mühe macht's. Indessen braucht man nur ernstlich zu wollen, der Lohn ist dann so unaussprechlich süß. Und der angeborene Thätigkeitstrieb hilft über viele Schwierigkeiten hinweg. Man eröffne der Kleinen nur eine Perspective, die etwa so aussieht: Wie wird sich Papa freuen, daß du nun schon so geschickt und fleißig stricken oder häkeln kannst! Die Händchen bewegen sich schneller, geschickter; immer emsiger wird das Kind und hat die Mühen des Anfanges überwunden, weit früher, als man zu hoffen gewagt hätte. Wie reizend, wenn sie dann voll strahlenden Glückes ihre erste Arbeit zeigt! Welch Hochgefühl für die Mutter, wenn sie sich sagen kann: das ist dein Werk!

Der häusliche Fleiß ist von den weittragendsten Folgen auf das ganze Familienleben. Ja, die weiblichen Handarbeiten sind so zu sagen der Kitt, welcher die einzelnen Glieder des Hauses zusammenhält. Selbst auf den rohesten Mann übt ein Kreis thätiger Frauen einen unbewußten, magnetischen Zauber aus. Dem Fleiße abholde Frauen dagegen begeben sich ihres größten Reizes, denn wahre Weiblichkeit ist unzertrennlich von stillem, rührigem Schaffen und Wirken. Die Natur legte doch einmal in das Weib regeren Arbeitstrieb als in den Mann. Wie viele Beispiele dafür geben uns die Sitten und Gebräuche der Völker! Bei welchen Schilderungen unser Auge auch haften mag, überall begegnen wir der Arbeitslust des Weibes. Ob sie sich nun im künstlerischen Schaffen regte und der Nachwelt damit Denkmäler ihrer Zeit hinterließ, oder ob die Frau dem träge einherschlendernden Gatten die eigentlich ihm, dem Stärkeren, gebührende Last abnimmt, überall entdecken wir den Thätigkeitstrieb des Weibes. Und nur die Neuzeit will dieses edle Gut verkümmern lassen; die wohlthätigste aller Anlagen soll unentwickelt bleiben, am Ende gar gehemmt werden in ihrem Gedeihen. Dort, wo die Frau sich dem Nichtsthun ergiebt, hört sie auf, Weib in des Wortes schönster, edelster Bedeutung zu sein. Das unsäglichste Mitleid verdienen in dieser Beziehung die Orientalinnen, weil ihre Erziehung sie zu einem Vegetiren ohne Zweck und Ziel führt, das sie zu jeder freien Meinungs- und Willensäußerung untauglich, ihre Person aber zum Spielzeug des Mannes macht. Die orientalische Frau lernt Arbeit nicht kennen, und so fehlt ihrem Lebenswege die holde Freundin, welche über alle Drangsale, über allen Kummer hinweg hilft. Denn nur wer es versteht, ganz in Thätigkeit aufzugehen, kann niemals wahrhaft unglücklich werden. Arbeit erhebt die Seele in freie, ideale Räume; sie ist der wirksamste Sorgenbrecher. Wie vielseitig sie sich auch gestalten mag, von der hehren, auf Geistesschwingen ruhenden Gedankenarbeit an bis zu der mühseligen des Steineklopfers, die Wirkung der Arbeit bleibt allezeit eine wohlthätige, wie sie auch in jeder Sphäre gleich achtbar ist, wenn – mit treuer Pflichterfüllung gearbeitet wird.

Die weibliche Handarbeit aber nimmt unter den so verschieden gearteten Actionen keineswegs einen untergeordneten Rang ein, wenn man den weitgehenden Einfluß der Weberei und Stickerei auf den Entwickelungsweg der bildenden Künste in Betracht zieht, wenn man bedenkt, welche Anhaltspunkte die Ueberreste weiblichen Fleißes dem Forscher dort gewähren, wo die „papierene Geschichte“ ihn im Stiche läßt. – Zu einer Zeit, wo die Malerei noch nicht erfunden war, da stickten Frauenhände Epopöen und verewigten mit ihren Darstellungen die Thaten der Männerwelt, die Sitten ihres Zeitalters. – Und die graueste Vergangenheit schuf mit der Nadel jene Fabelgestalten, die später im griechischen Olymp Leben bekamen und zu jener anmuthenden Mythologie wurden, die in ihrer rein menschlichen Poesie ewig unerreicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_635.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)