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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Teuerdank's Brautfahrt.
Romantisches Zeitbild aus dem 15. Jahrhundert.
Von Gustav von Meyern.
(Fortsetzung.)


Es war wunderbar, daß man das Fräulein nicht schon früher bemerkt, da ihre Gestalt jetzt eine so auffallende Verlängerung angenommen hatte, daß sie selbst das ansehnlich hohe Gebüsch noch überragte. Die burgundische Mode war zu jener Zeit in ihrem Bestreben durch äußersten Prunk zu glänzen und insonderheit der Schaustellung von Gold und Edelsteinen an der eigenen Person den denkbar größesten Raum einzuräumen, auf den Einfall gekommen, ein zuckerhutförmiges Monstrum zu erfinden, das als Kopfputz à la hénin bald die Höfe Europas eroberte. Ein solches kegelförmiges, zwei Kopflängen übersteigendes Thurmdach von violettgemustertem Goldstoff ragte über der Sylphidengestalt Adelheid's, das Haar an Stirn und Schläfen freilassend, schräg nach rückwärts und ließ bis zur Erde einen seiner ganzen Breite nach an ihm befestigten, spitzenbesetzten Schleier niederwallen, welcher, wenn er aufgerafft, wie jetzt, über den Arm geschlagen wurde, bei leisem Gegenwinde einem rückwärts geblähten, durchsichtigen Segel nicht unähnlich war – die Libelle hatte Flügel bekommen. Und dennoch, so sehr es wider die Natur zu sündigen schien, den zur Krönung des Menschen bestimmten Kopf also herabzusetzen: für schlanke Gestalten war es, im Verein mit den schmalen, lang nach vorn geschnäbelten Schuhen, eine höchst kleidsame Tracht. Und die Trägerin wußte dies wahrscheinlich selbst am besten, denn ein leichtes Schmollen umspielte ihre Züge, als sie jetzt auf Hugo's Frage, die Augen wie gelangweilt nach oben gerichtet und mit der Reitgerte vor sich hinwedelnd, antwortete:

„So allein, sagt Ihr? Wenn freilich die Herren Wichtigeres zu verhandeln haben, als eine verlassene Waldläuferin zu beschützen ...!“

„Waldfee!“ verbesserte Hugo lachend. „Euer Anblick gemahnt daran in dieser Umgebung. Und ich hörte wohl, Fräulein, daß die Feen die Sterblichen, aber niemals, daß Sterbliche die Feen zu beschützen hätten.“

„Ich aber glaubte Euch bei der Herzogin,“ entschuldigte sich der Prinz, als sie eben den Hofraum betraten.

„Die Aebtissin geht gar so langsam, Prinz. Der Weg hat sie ermüdet, und sie will hier ein wenig ausruhen, ehe sie zum Kloster zurückkehrt und wir nach Gent heimreiten.“

„Nach Gent!“ wiederholte seufzend der Prinz.

„Ihr seufzet? Es geht ja zur 'großen Action', wie Ihr es nennt, Prinz.“

„Ach, Fräulein, ich ritte lieber mit Euch durch Wald und Haide, als nach Gent.“

„Ich glaub's,“ murmelte Hugo.

„Wenn Euch das ein Vergnügen ist, Prinz,“ lachte Adelheid, scheinbar gar nicht unangenehm berührt von der naiven Aeußerung in Gegenwart Hugo's, „so möget Ihr es noch oft haben, wenn Ihr erst – unser gnädiger Herr und Gebietet seid.“

Ihr Blick streifte Hugo. Hugo biß sich auf die Lippen.

„Ja, recht oft, Fräulein,“ wiederholte eifrig der Prinz. „Dann reiten wir zusammen auf die Reiherbaize.“

Adelheid mußte den Blick senken – ein solcher Blitz traf sie aus Hugo's Auge. Sie fühlte, daß sie zu weit gegangen sei. Strafe mußte sein.

„Fürchtet Ihr nichts dabei, Prinz?“ fragte Hugo, sarkastisch lächelnd.

„Ich – fürchten – was?“

„So käme Euch nicht der Gedanke, die Herzogin könnte – eifersüchtig auf ihr Hoffräulein werden?“

„Alle Bomben – auch das noch!“ rief der Prinz mit Entsetzen.

„Ich dächte, sie hätte Grund genug dazu.“

„Aber nicht in Bezug auf den Prinzen,“ stach jetzt Adelheid um so gereizter auf Hugo ein, als sie sich getroffen fühlte.

Hugo erschrak. Er bereute offenbar, sie herausgefordert zu haben, und fürchtete weitere Erklärungen, denn mit einem ängstlich bedeutungsvollen Blick auf das Portal flüsterte er ihr ein „Still doch!“ zu, ehe er mit auffallend erhobener Stimme fortfuhr:

„Ei, wenn sie keinen Grund hat, wegen des Prinzen eifersüchtig auf Euch zu sein, Fräulein, so müßtet Ihr nothwendig von Jemand Anderem geliebt werden, der ihr Herz besitzt – ich kenne aber nur einen Solchen.“

„Ich auch,“ fiel ihm die Unverbesserliche in's Wort.

„Ihren früheren Verlobten, den Erzherzog Maximilian,“ fuhr Hugo hastig fort. „Und es wäre wirklich erstaunlich, Fräulein, wenn er Euch lieben sollte, ohne Euch noch gesehen zu haben.“

Niemand konnte ein verblüffteres Gesicht machen als der Prinz.

„Wa – was, Fräulein?“ stotterte er. „Liebt ihn Maria wirklich?“

Hugo war in peinlichster Angst. Er wußte, hinter dem Portale mußte Maximilian jedes Wort des Gespräches hören. Wie schrecklich, auf so unglückselige Weise, aus so gänzlich irrigem Grunde die gefährlichste aller Leidenschaften in ihm zu wecken! Alles konnte verdorben werden, das Schicksal der Herzogin, des Landes, ja mehr konnte auf dem Spiele stehen. Aber so unruhige Blicke er auf das Portal warf, so energische Zeichen er Adelheid machte, die Frage des Prinzen zu bejahen: sah sie ihn verwundert an, als verstehe sie ihn nicht, und weidete sich an seiner Qual.

„Vielleicht,“ erwiderte sie dem Prinzen nach kurzem Sinnen zögernd, „vielleicht hat sie ihn einmal geliebt, aber“ – Hugo vermochte sich kaum noch zu halten – „wie das auf den Thronen öfters vorkommen soll –“

„Aha!“ unterbrach sie lachend der schnell wieder beruhigte Prinz.

„Es kostet Euch den Kopf,“ raunte Hugo ihr zu.

„Wer's noch glaubte!“ gab sie ihm mit spöttischer Handbewegung zurück.

„Also, wie das auf den Thronen öfters vorkommen soll –?“ nahm der Prinz eifrig den Faden wieder auf.

„So wird auch ihr Herz noch immer Platz haben für –“ fuhr Adelheid unschlüssig fort.

Vergebens wehrte ihr Hugo.

„Für –?“ drang der Prinz in sie.

„Einen Anderen!“ stieß sie diplomatisch als einzige Concession heraus, die ihre Bosheit zuließ.

Hugo athmete auf. Noch war nicht Alles verloren, denn wenn auch das ihm wohlbekannte leicht entflammbare Temperament des unsichtbaren Zuhörers schon Feuer gefangen haben mußte, noch gab es einen Ausweg, noch war der nur mit halber Schärfe geführte Streich zu pariren, und rasch ersah er sich diesen Vortheil.

„Prinz,“ warf er harmlos scherzend hin, „das Fräulein beurtheilt die Herzogin nach sich, und nachdem Ihr Eurer künftigen Gemahlin heute zum ersten Male so schmeichelhafte Dinge gesagt habt, meint das Fräulein, daß auch Ihr wohl einen Platz in ihrem Herzen gewonnen haben könntet.“

Ein leises Rauschen wie von schleifenden Frauenkleidern kam ihm zu Hülfe. Hinter der Krümmung des Fußpfades trat die Herzogin mit ihrer Base hervor. „Gott sei Dank!“ sagte er sich, als Adelheid und der Prinz sich nach ihnen umwendeten.

„Nun denkt an unsere Wette, Prinz!“ mahnte er diesen.

Der Prinz, der Hugo's ihm so schmeichelhafte Erklärung mit offenem Munde und einem Ausdrucke der wasserblauen Augen zugehört hatte, als ob er im Zweifel sei, ob er Ernst oder Scherz höre, schien sich für erstere Auffassung entschieden zu haben, denn er nickte freudig und schritt mit zuversichtlicher Miene der Herzogin entgegen.

Der Ritter war auf einige Augenblicke mit Adelheid allein.

„Ihr ahnet nicht, was Ihr angestiftet haben könnt,“ flüsterte er ihr vorwurfsvoll zu. „Und ich machte Euch doch so verständliche Zeichen, daß wir nicht allein sind und Zuhörer haben. Ich glaubte, wir wären Freunde und Bundesgenossen seit dem Billete von heute Mittag.“

„Freunde?“ flüsterte sie, erstaunt seinem Blicke auf das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_694.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)