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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


und zunächst nach Mainz zu begeben. Einige Räthe des Auswärtigen Amtes, ein expedirender Secretär des Centralbureaus, zwei Chiffreurs und drei oder vier Kanzleidiener waren bestimmt, ihm zu folgen. Wir Anderen begleiteten ihn, als er, den Helm auf dem Haupte, in den Wagen stieg, nur mit guten Wünschen. Auch ich hatte mich schon darein ergeben, den Krieg blos auf der Landkarte und in den Zeitungen mitzumachen. Doch sollte es sich bald günstiger für mich gestalten.

Am 6. August Abends traf das Telegramm vom Siege bei Wörth im Ministerium ein. Eine halbe Stunde später, nachdem es Feierabend gegeben, überbrachte ich die frohe Botschaft noch frisch und warm einer Gesellschaft von Bekannten, die in einer Weinstube der Potsdamer Straße der Dinge, die da kommen sollten, wartete, und – nun, man weiß ja, wie der deutsche Mann gute Kunde gern feiert. Es war aber eine sehr gute Kunde, und so wurde sie sehr, von Manchem vielleicht zu sehr, von den Meisten jedenfalls zu lange gefeiert. In Folge dessen war ich am nächsten Morgen noch nicht aus den Federn, als ein Kanzleidiener erschien, der mir von Seiten eines der zurückgebliebenen Räthe Abschrift einer telegraphischen Depesche überbrachte, laut deren ich ohne Verzug in’s große Hauptquartier abzureisen hatte. Also doch, gütiges Schicksal! Rasch war das Nothwendigste besorgt; noch im Laufe des Vormittags erhielt ich im Ministerium Paß, Legitimationskarte und Freibillet für alle Militärzüge, und gegen acht Uhr Abends dampfte ich mit den beiden Begleitern, die ich mitbringen sollte, in Gottes Namen aus dem Anhalter Bahnhofe hinaus.

Wir fuhren anfangs in einem Coupé erster Classe, später wurde die dritte, zuletzt ein Güterwagen daraus. Ueberall gab es langen Aufenthalt, der unserer Ungeduld noch länger erschien, als er war. Erst am 9. August früh nach sechs Uhr kamen wir nach Frankfurt. Da wir hier einige Stunden auf Weiterbeförderung warten mußten, hatten wir Zeit, uns zu erkundigen, wo das große Hauptquartier sich jetzt befinde. Der Etappencommandant wußte uns keinen Bescheid zu geben. Der Telegraphendirector, den wir dann mit unserer Frage aufsuchten, konnte uns auch nichts Bestimmtes sagen. „Vielleicht noch in Homburg, wahrscheinlich aber in Saarbrücken,“ meinte er. Gegen Mittag ging es weiter – jetzt im Gepäckwagen – nach Darmstadt, am Odenwald hin, dessen dunkle Berge schwere weiße Regenwolken umwebten, nach Mannheim und auf Neustadt zu. Immer langsamer schlich der Zug hin; immer häufiger stockte die Fahrt vor unabsehbar langen anderen Militärzügen. Allenthalben, wo gehalten wurde, kamen Leute herbei, die den Soldaten in den Wagen zu essen und zu trinken brachten, alte Mütterchen darunter, gutherziges, hülfreiches, armes Volk, das nur Milchkaffee und trockenes Schwarzbrod zu bieten hatte.

Der Rhein wurde bei Nacht passirt. Früh liegt ein elegant gekleideter Herr mit seinem englisch sprechenden Diener neben uns auf dem Boden. Es ergiebt sich, daß es der Londoner Banquier Deichmann ist, der ebenfalls in’s Hauptquartier will, um sich bei Roon die Erlaubniß zum Eintritt in ein Cavallerieregiment zu erbitten. Auf seinen Rath fahren wir auf der Ebene vor Neustadt von Hosbach, wo der Zug nicht weiter will, weil vor ihm drei oder vier andere Züge das Bahngleis einnehmen, in einem schnell besorgten Bauernwagen nach dem Städtchen, das von Soldaten, baierischen Jägern, preußischen rothen Husaren, Sachsen, Landwehr und dergleichen wimmelt.

Hier wurde zum ersten Mal seit der Abfahrt von Berlin wieder warm gegessen. Bis dahin hatte es nur kalte Küche und des Nachts wenig erfolgreiche Schlafversuche auf harten Holzbänken, die Reisetasche unter dem Kopfe, gegeben. Indeß gingen wir ja in den Krieg, auch hatte ich’s bei Touren mit minder lohnendem Ziel schon unbequemer gehabt.

Von Neustadt fuhren wir nach einstündigem Aufenthalt weiter, quer durch die Hardt, durch enge Thäler mit Kiefern und durch eine Anzahl von Tunneln, endlich in die Gebirgslücke hinaus, in der Kaiserslautern liegt. Hatten in den letzten Stunden Sonnenblicke mit Regenschauern gewechselt, so goß es während der Fahrt von hier nach Homburg ohne Unterbrechung wie mit Mulden, sodaß der kleine Ort, als wir nach zehn Uhr Abends in seinem Bahnhofe hielten, nur Nacht und Wasser zu sein schien. Wir stiegen, unsere Koffer auf den Schultern, in den peitschenden Regen hinaus, wateten durch Sümpfe und Tümpel und tasteten und fragten uns nach dem Gasthofe „Zur Post“, wo wir alle Zimmer übervoll fanden und auch von dem, was Leib und Seele zusammenhält, nichts mehr zu haben war. Wir hätten aber auch von günstigeren Verhältnissen wenig Gebrauch machen können; denn wir erfuhren hier, daß der Graf mit dem König schon weiter und vermuthlich in Saarbrücken sei, und es hieß eilen, wenn wir ihn noch in Deutschland einholen wollten. Wieder in die Sündfluth hinaus zu müssen, war nicht erfreulich. Aber man konnte sich einigermaßen darüber hinwegphilosophiren, wenn man an Andere dachte, die schlimmer daran waren. In der Wirthsstube hatten die Schlafenden in einem Gemisch von Tabaks-, Bier- und Lampendunst mit einer Beigabe vom Geruche feuchten Tuches auf den Tischen und Stühlen herumgelegen. In der Senkung links vom Bahnhofe schmauchten, halb erloschen in der nassen Nacht, die Wachtfeuer eines großen Lagers. Als wir nach unserem Zuge zurückwateten, blitzten uns durch den schräg herabströmenden Regen die Pickelhauben und Gewehrläufe eines preußischen Bataillons entgegen, welches sich vor dem Bahnhofshôtel aufstellte. Gründlich durchweicht und ziemlich müde geworden, fanden wir endlich wieder ein Unterkommen in einem Güterwagen, wo Deichmann für sich und mich in einer Seitenabtheilung ein Plätzchen am Fußboden zum Ausstrecken und ein paar Hände voll Stroh zum Kopfkissen entdeckte. Die anderen Reisegefährten, unter denen sich ein Baron und ein Professor befanden, hatten es nicht so gut. Sie mußten unter Postpacketen, Briefträgern und Trainsoldaten auf Kisten vorlieb nehmen.

Gegen ein Uhr setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Nach mehrmaligem Stillstand hielten wir, als der Morgen graute, in der Nähe eines Städtchens mit schöner, alter Kirche. Im Thale daneben lag eine Mühle, an der die Chaussee nach Saarbrücken sich hinschlängelte. Wir hörten, daß letzteres noch eine halbe Meile entfernt sei, und waren somit dem Ziele sehr nahe, aber unser Zug schien nicht wieder in Gang zu kommen, und jeden Augenblick konnte das Hauptquartier aufbrechen und die Grenze überschreiten, jenseits deren es vorläufig keine Eisenbahn und aller Wahrscheinlichkeit nach wenig andere Fahrgelegenheit gab. Bedeckter Himmel und ein feiner Sprühregen trugen nicht bei, die ungeduldige, besorgte und verdrießliche Stimmung zu verbessern. Wir hatten gegen zwei Stunden auf das Pfeifen der Locomotive zum Aufbruch gewartet, als Deichmann wieder aus der Noth half. Er verschwand, und als er wiederkam, hatte er den Müller drunten gewonnen, uns mit seinem Gespann nach der Stadt zu fahren, Deichmann hatte aber versprechen müssen, dem Müller dafür zu stehen, daß die Soldaten ihm die Pferde nicht nähmen.

Während der Fahrt erzählte uns der Müller, daß die Preußen ihre Vorposten schon bis Metz vorgeschoben. Zwischen neun und zehn Uhr waren wir in St. Johann, wo wir nicht viel von den Spuren der Beschießung durch die Franzosen, sonst aber schon ein recht lebendiges Bild kriegerischer Zustände sahen. Ein Gewirr von Marketenderkarren, Bagagewagen, Soldaten zu Fuß und zu Pferde, Johannitern mit der Kreuzbinde und dergleichen bewegte sich durch die Straßen. Hessische Truppen zogen vorbei, Dragoner und Artillerie; die Reiter sangen: „Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod.“

Im Gasthofe, wo wir uns umzogen, erfuhr ich, daß der Bundeskanzler noch im Orte war und bei dem Kaufmann und Fabrikanten Haldy Quartier genommen hatte. Es war also nichts versäumt worden, und ich hatte glücklich den Hafen erreicht, aber allerdings mit genauer Noth; denn als ich nun zu Haldy ging, um mich zu melden, hörte ich schon auf der Treppe von Graf Bismarck-Bohlen, dem Vetter des Ministers, daß man gleich nach Mittag weiter zu gehen gedenke. Ich schaffte meinen Koffer aus dem Gasthofe auf den Fourgon, der mit anderen Wagen unten an der Saarbrücke aufgefahren war; dann kehrte ich in das Haldy’sche Haus zurück, wo ich mich dem Kanzler, der eben aus seinem Zimmer trat, um sich zum König zu begeben, auf dem Vorsaal vorstellen konnte, worauf ich das nebenan etablirte Bureau aufsuchte, um zu fragen, ob es für mich zu thun gäbe. Es gab genug zu thun; die Herren hatten alle Hände voll, und ich bekam unverzüglich meinen Antheil davon.

Kurz vor ein Uhr hielten bei stechender Sonne die Wagen vor den Stufen zur Hausthür, alle vierspännig, mit Soldaten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_709.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)