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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 43.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Teuerdank's Brautfahrt.
Romantisches Zeitbild aus dem 15. Jahrhundert.
Von Gustav von Meyern.
(Fortsetzung.)


„O, auch mit dem Spuk werde ich aufräumen, aber vor Allem mit dieser satanischen Erfindung der Druckerkunst, die aus hinterlistigem Verstecke ihre vergifteten Bolzen schießt. Wisset Ihr, Ravestein, was eine meiner ersten Regierungshandlungen sein soll? Ein peinliches Verbot gegen den vermaledeiten Bücherdruck! In meinem künftigen Musterstaate darf überhaupt Lesen und Schreiben nur noch vom Junker an aufwärts gelernt werden.“

Ravestein's Züge waren bei dieser Rede sehr ernst geworden. Mochte er auch ein zweideutiger Politiker sein, er stand doch auf der Höhe der Bildung seiner Zeit, und weder sein Muth, noch sein Ehrgeiz ging so weit, sich um der Gnade eines kleinen Despoten willen dem Gelächter der Welt preiszugeben.

„Herr Herzog,“ sagte er, sich ein Herz zu freimüthigem Bekenntniß fassend, „ich bin gern und weit mit Euch gegangen, aber da ... dürften sich unsere Wege doch trennen.“

Cleve sah ihn groß an; dann lächelte er, und seine wasserblauen Augen hatten plötzlich wieder den alten treuherzigen Ausdruck, seine Worte wieder den sonoren, einschmeichelnden Ton.

„Was fällt Euch ein, alter Freund? Könnet Ihr glauben, daß ich jemals ein Tyrann sein werde? Das mißbildete Volk bedarf nur eines Vormundes, und Niemand kann heißer wünschen als ich, ihm im Verein mit Krummstab und Langschwert den Segen wiederzugeben, dessen es, bei Gott, so benöthigt ist.“

Ein feierlicher Augenaufschlag bekräftigte den frommen Wunsch. Aber Ravestein schüttelte den Kopf.

„Ihr kennt nicht unsere Staaten.“

„Aber ich kenne meine Soldaten,“ versetzte kurz und scharf abschneidend der Herzog. „Und wie man mit dem 'gebildeten Bürgerstand' umspringen muß, werde ich Euch alsbald beweisen. Die Stunde naht. Sehet, da kommen sie schon in's Portal, die Herren Abgeordneten Eurer 'Schmähschriften lesenden' Classe! Ich nehme sie auf mich. Empfanget Ihr unterdessen die Herzogin, wenn sie mit meinem Sohne heimkehrt! Es ist mir angenehm, daß Ihr bei meiner Verhandlung außer dem Spiele bleibt. Gottlob“ – und er athmete hoch auf – „auch von Maximilian habe ich nichts mehr zu fürchten, denn wenn Ihr mich wiedersehet, sehet Ihr ... den Regenten.“

Der Kanzler zog sich, so formlos er eingetreten war, so ehrerbietig förmlich durch die Thür zurück.

„Er ist die längste Zeit Kanzler gewesen,“ murmelte Cleve vor sich hin. Dann glättete sich seine Stirn, und die alte Leutseligkeit nahm wieder ihre Stelle ein.

Der „Wekkering“ der Belfriede in Stadt und Schloß kündete sechs Uhr. Die Glocken und Glöcklein im „Beijaard-Toreken“, der Spitze des hohen Belfrieds, ließen ihr „plaisantes und melodieuses Gheclanck“ erschallen. Die vor der Säulenhalle als Ehrenposten stehenden Hellebardiere stießen aus, Verno meldete die Abgeordneten.

In langem Zuge betraten sie die Halle, die aus den angesehensten Bürgern der großen Städte gewählten Vertreter der Intelligenz und der Freiheiten der niederländischen Staaten. Voran schritt der würdige, charakterfeste Vicepräsident mit dem Vicebürgermeister von Gent – denn der im Felde abwesende Präsident war zugleich der Bürgermeister des Vororts – Beide um den Kopf die rothseidene, unter dem Kinn über die Schulter geschlungene Sendelbinde, den schwarzen, auf den Seiten offenen Ueberwurf, am Halse mit Pelz ausgeschlagen, das Haar in der Kolbe geschnitten, den schwarzen Filzhut ehrerbietig in der Hand. Ihnen folgten Gelehrte, kurzhaarig, in langem Talare und hoher Mütze, Kaufherren in den verschiedensten Farben aus dem Norden düsterer, aus den Südstaaten bunter, unter Ersteren Holländer, ganz in Grau oder Schwarz, schweigsame Mynheer's von behäbigem Gleichmuth, unter Letzteren ein junger Papageifarbener aus Welschflandern, der am Federvolke der afrikanischen Küste seinen Farbensinn ausgebildet haben mochte, denn er trug ein grünes Wamms mit gelben Beinkleidern und rother Sendelbinde, auch hier und da ein ehrbarer Handwerksmeister, den das Vertrauen seiner Mitbürger berufen, in Zaddelmütze und bescheidener Tracht. Sie Alle betraten nach einander den Säulengang und entblößten die Häupter, als der Herzog von Cleve jetzt ihre Spitzen begrüßte.

„Ah, willkommen, Herr Vicepräsident der Staaten, willkommen, Herr Bürgermeister!“ redete er dieselben an, Jedem die Hand schüttelnd. „Gute Nachrichten vom Herrn Präsidenten? Noch immer nicht? O, ich hoffe das Beste. Vorzüglicher Feldherr, nach dem was man hört!“ Und ohne sie zu Worte kommen zu lassen, deutete er auf die Sessel am Tische jenseits des Kamins. „Wenn es euch gefällig ist, werthe Herren!“ Dann sich zu den Uebrigen wendend, bewillkommnete er sie mit zuwinkender Handbewegung. „Ihr lieben Freunde, seid gegrüßet und verzeihet, daß ich euch in der Eile keinen würdigeren Raum zum Empfange bieten konnte! Nehmet Platz auf den Sesseln – ich bitt' euch – ganz ohne Ansehen der Person, ohne Rang und Stand; wir sind hier unter Brüdern, ganz unter uns.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_717.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)