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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


gehört werden, erklangen hier Gesänge, die, vielleicht unbewußt, all das Weh ausathmeten, welches mit dem Verlust des Augenlichts doch nun einmal unzertrennlich ist. Welche Bilder mochten wohl in der Seele der Kinder vorüberziehen bei Liedern, wie: „Drunten im Unterland“, „Wie ist die Luft so klar!“ oder „Nun fangen die Weiden zu blühen an“. Wie gerne würden sie das Abt’sche „Wanderlied“ auf sonniger Landstraße marschirend singen, wie fern ist ihnen die Verwirklichung des Silcher’schen „Morgen müssen wir verreisen“ mit der Strophe „Kommen wir zu jenen Bergen, schauen wir zurück in’s Thal“! – Das Publicum belohnte die jugendlichen Concertgeber mit reichem Beifall und bereitete ihnen dadurch eine sichtliche Freude. – Im Hinblick auf den Vortrag contrapunktischer Compositionen, wie Bach’scher Fugen etc., dürften einige Andeutungen über die Methode des Unterrichts und die betreffenden Lehrmittel nicht ohne Interesse sein. Die Darstellung der Töne wird vermittelt durch drei Momente: das musikalische Gehör, Theorie und Notenschrift. Letztere lehnt sich an das Buchstabensystem des französischen Blindenlehrers Braille an und wird mit den Fingerspitzen gelesen.

Beispielsweise werden die sieben Töne der diatonischen Tonleiter durch folgende (erhabene) Punkte dargestellt:



In dieser Schrift sind bereits die meisten classischen Compositionen gedruckt worden, der Director der königlichen Blindenanstalt, Herr Rösner, hat indeß die Absicht, eine Erweiterung respective Verbesserung des Systems herbeizuführen, zu welchem Zwecke bereits eine Einigung mit den Blindeninstituten in Kopenhagen und Wien erzielt worden ist. – Wir fügen hieran die manchem Blinden vielleicht nicht unwillkommene Notiz, daß der genannte Director Rösner eine Anthologie aus Schiller’s Werken und einen Atlas für Blinde vorbereitet, welche im Verlage der Steglitzer Anstalt erscheinen werden.

     Berlin, im October 1877.

Gustav Schubert.




Eine deutsche Revue. Das diesjährige Octoberheft der in Berlin (bei Karl Habel das.) erscheinenden Zeitschrift „Deutsche Revue“ bringt einen sehr beachtenswerthen Mahnruf von Prof. Schenkel in Heidelberg über die nationale Bedeutung der religiösen Frage. Einen Mahnruf nennen wir diesen warm und glänzend geschriebenen Artikel des berühmten liberalen Theologen, weil er sein Thema nicht blos zu wissenschaftlichem Zwecke erörtert, sondern mit der Kraft und Klarheit seiner Beweisführungen an das Bewußtsein der Nation sich wendet, ihr Gewissen und ihre Thatkraft schärfen, ihr politisches Pflichtgefühl beleben will. Bei der Verschiedenheit unserer Parteistandpunkte wird man ja von dieser und jener Seite her manche Auffassung und Folgerung Schenkel’s nicht gelten lassen. Von einer argen Unwissenheit jedoch oder von einem hohen Grade beschränkten und blinden Parteieigensinnes würde es zeugen, wenn Jemand der Einsicht sich verschließen wollte, daß die religiöse Frage kein unwirkliches Phantasiespiel, sondern eine weltgeschichtliche Thatsache, eine unabweisbare lebendige Realität ist und daß sie namentlich seit den Zeiten der Reformation bis zu diesem Augenblicke als eine vorwiegend bestimmende und treibende Macht in allen Kämpfen und Krisen, allen Wendungen und Entscheidungen unserer deutsch-nationalen Geschicke sich erwiesen hat. Unzählige ahnen, fühlen und sagen das, aber der von tiefem und überzeugungsvollem Patriotismus beseelte Aufsatz Schenkel’s zeigt uns den rothen und schwarzen Faden in dem Verlaufe aller historischen Ent- und Verwicklungen so deutlich und mit so eindringlicher Consequenz, daß es nicht als ein luftiges Raisonnement, sondern als ein Ergebniß positiven Wissens erscheint, wenn der Verfasser mit der Warnung schließt: „Unsere nationalen Erfolge sind nur dann gesichert, wenn wir den uns aufgedrungenen Kampf gegen die clericalen Ein- und Uebergriffe (nach römischer wie protestantischer Seite) fest und beharrlich, ohne jedes Zurückweichen, jedes Wanken und Schwanken zu Ende führen. Mögen die Gleichgültigen zu der Einsicht gelangen, daß sich gegenwärtig in diesem Kampfe eine geschichtliche Nothwendigkeit vollzieht, daß im deutschen Reiche in ungeschmälerter Freiheit Raum für Alle, aber kein Platz mehr ist für theokratische und clericale Herrschaftsgelüste!“

Die „Deutsche Revue über das gesammte nationale Leben der Gegenwart“, welche unter Anderm diese klärende Aeußerung aus bewährter Feder bietet, dürfte wohl Vielen unserer Leser noch nicht in die Hand gekommen sein. Wir glauben uns daher Dank zu verdienen, wenn wir hier die Aufmerksamkeit auf diese seit Jahresfrist von Richard Fleischer herausgegebene Monatsschrift zu lenken suchen. Dieselbe darf sich den Namen einer „Revue“ (es ist wohl nicht ohne Absicht diese französische Bezeichnung gewählt) mit vollem Rechte beilegen. Denn unter den zwei Hauptrubriken „Oeffentliches Leben“ und „Wissenschaft, Kunst und Literatur“ bietet jedes der bisher erschienenen Hefte eine planmäßig, nach bestimmten Zweigen und Fächern geordnete Rückschau auf hervorragende Fragen und Bewegungen, Erscheinungen und Ereignisse unseres laufenden Culturlebens. Denke man dabei aber nicht an jene chronikartigen Uebersichten, wie sie in mehr oder weniger trockener Herzählung von Jahrbüchern und Kalendern angestrebt werden. Jeder der oben bezeichneten Beiträge giebt sich vielmehr als ein sogenannter freier Essay, als ein schildernder und kritischer Bericht über einen wichtigen Punkt aus dem Bereiche des betreffenden Gebietes. Zur Abfassung dieser fortlaufenden Berichte sind anerkannte Fachautoritäten als ständige Mitarbeiter gewonnen, und es mögen aus der beträchtlichen Reihe derselben hier nur die Namen Bluntschli und von Schulte, Laspeyres, Birnbaum, Gareis, Kirchhoff, Carriere, Seitz, Schasler, Neumann und Strodtmann genannt werden. Der Gedanke des Unternehmens ist ein neuer und glücklicher; bei tüchtiger Ausführung ihres Programms wird sich die „Deutsche Revue“ eine dauernde Theilnahme gebildeter, patriotischer und freisinniger Leserkreise erwerben.




Singende Flammen. Im vorigen Jahrhundert machte ein Chemiker die Entdeckung, daß eine in einer längeren Glasröhre brennende Gasflamme einen musikalischen Ton erzeugt, dessen Höhe hauptsächlich von der Länge der Röhre abhängt. Man nannte dieses Experiment ziemlich unpassend die chemische Harmonika, und ein französischer Physiker hat aus derartigen musicirenden Gasflammen sogar ein Feuerclavier oder Pyrophon construirt, welches sich auf der Wiener Weltausstellung sehen und hören ließ. Aber mehr als die musikalischen Leistungen dieser „feurigen Zungen“ hat eine andere Eigenthümlichkeit derselben das Interesse der Physiker erregt, nämlich ihre merkwürdige Empfindlichkeit gegen von außen auf sie eindringende Luftschwingungen. Man kann es leicht durch Verschiebung des Rohres und durch Regulirung der Gasausströmung dahin bringen, daß eine singende Flamme in Stillschweigen versinkt, aber fast macht es den Eindruck, als ob sie dabei horche, denn sobald in einer Entfernung, die ziemlich bedeutend sein kann, ein bestimmter, ihr sympathischer Ton mit der Stimmgabel angeschlagen oder gesungen wird, beginnt sie sogleich einzustimmen. Umgekehrt kann die musicirende Flamme durch einen solchen Ton schon aus der Ferne zum Schweigen, ja zum plötzlichen Erlöschen gebracht werden, und da sich leicht bewerkstelligen läßt, daß das nunmehr unverbrannt ausströmende Gas sich am andern Ende der Röhre entzündet, so kann man auch durch Anspielen oder Singen eines Tones aus der Ferne ein Licht anzünden und andere Wirkungen vollbringen. Das merkwürdigste dieser namentlich von dem Grafen Schaffgotsch ins Unendliche abgeänderten Experimente mit den sensiblen Flammen ist kürzlich von dem englischen Physiker W. F. Barret angestellt worden. Derselbe neckte seine empfindlichen Flammen nämlich mit Tönen, die er und andere Leute gar nicht hören konnten, die aber vielleicht von manchen Thieren vernommen werden und jedenfalls sehr auffallend auf die empfindlichen Flammen wirkten. Ebenso wie es unsichtbare Lichtstrahlen giebt, welche, weil zu schnell schwingend, unsere Netzhaut nicht mehr erregen, welche aber auf die präparirte Platte des Photographen gerade am stärksten einwirken, so giebt es auch Töne, von denen wir sagen müssen: sie sind zu hoch für unser Fassungsvermögen. Viele, namentlich ältere Personen hören schon das Zirpen der Grillen und Heimchen nicht mehr, und ihr Concert, das anderen Personen vielleicht unerträglich dünkt, ist für sie gar nicht vorhanden.

Der englische Physiker Galton hat eine Pfeife erfunden, mit welcher man die Höhe des Tones stufenweise bis schließlich über die Grenzen des menschlichen Ohres hinaus steigern kann. Es lassen sich mit derselben merkwürdige Versuche anstellen, wenn man in einer Gesellschaft namentlich älterer Personen allmählich immer höhere Töne erzeugt. Während die Einen sich dann über das unerklärliche Gellen der Töne beschweren, herrscht für Andere bereits vollkommene Ruhe. Wird nun die Tonhöhe immer noch weiter gesteigert, so fallen, um mich eines populären Ausdruckes aus der Trinkstube zu bedienen, immer mehr Personen ab, und der Triumph der Hochhörigsten ist auch nur von kurzer Dauer: endlich hört Niemand mehr das Geringste, und die Behauptung, daß noch eine Art Geistermusik die Luft des Zimmers in Schwingungen versetzt, erregt allgemeines Kopfschütteln. Aber wie nach dem Glauben der alten Griechen und Germanen Hunde durch Gekläff und Pferde durch Ohrenspitzen dem Menschen das Vorüberwallen überirdischer Wesen verrathen, so genügt eine empfindliche Flamme, um zu zeigen, daß die Pfeife in der That immer noch Tonschwingungen aussendet. Herrn W. F. Barret gelang es, eine zwei Fuß hohe Gasflamme zu erzeugen, die so empfindlich war, daß sie bei dem bloßen Zusammenklingen zweier Silbermünzen wie vor Schreck auf sieben Zoll zusammenknickte. Diese Flamme vernahm denn auch die den Menschen unhörbaren Töne der Pfeife aus Entfernungen von zwanzig bis fünfundzwanzig Fuß. Sie sank, sobald der unhörbare Pfiff durch die Lüfte zitterte, sofort auf sechszehn Zoll zusammen, verlor ihre Helligkeit und accompagnirte die stille Musik mit einem vernehmlichen Rauschen. In einem schnellgedrehten Spiegel läßt sich erkennen, daß sie dabei lebhaftest zittert und flackert.




Zur Beachtung. Unserer verehrten Mitarbeiterin E. Marlitt sowie uns selbst sind wiederholt Zuschriften geworden, welche die Behauptung aufstellen, die gefeierte Autorin habe ihre Mitarbeiterschaft an unserem Blatte aufgegeben und ihre Feder überhaupt niedergelegt. Dieser Hellseherei der Ungeduld und des Neides gegenüber sind wir in der Lage erklären zu können, daß E. Marlitt im nächsten Jahrgange unserer Zeitschrift durch Veröffentlichung einer neuen Erzählung schwarz auf weiß documentiren wird, daß sie unsere Leser wie uns selbst nach wie vor mit den Schöpfungen ihres glänzenden Talents erfreuen wird.

D. Red.




Berichtigung. In den Artikel „Das treue deutsche Herz“ (in unserer Nr. 34), zu dem, wie wir nachträglich bemerken, die Illustration nach einem Portrait aus dem photographischen Atelier des Herrn C. Götze in Dresden angefertigt wurde, hat sich leider die irrthümliche Angabe eingeschlichen daß Julius Otto, der jüngst verstorbene Liedercomponist und Musikdirector in Dresden, auf der Festung Königstein geboren worden. Derselbe hat aber vielmehr in der Stadt Königstein, und zwar in dem dortigen Apothekergebäude, das Licht der Welt erblickt. Bei dieser Gelegenheit wollen wir nicht unerwähnt lassen, daß sich sowohl in Dresden wie in Königstein ein Comité zur Errichtung eines Julius-Otto-Denkmals gebildet hat und daß somit, wenn die Gaben reichlich fließen, der Sänger des „treuen deutschen Herzens“ in zwei Städten seiner sächsischen Heimath im steinernen Bilde fortleben wird.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_732.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)