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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 44.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Teuerdank’s Brautfahrt.
Romantisches Zeitbild aus dem 15. Jahrhundert.
Von Gustav von Meyern.
(Fortsetzung.)


Jan that den Mund auf. Aber der Lärm der beiden durcheinander schreienden Parteien, die er, ohne es zu wollen, geschaffen hatte, machte es ihm unmöglich zu Worte zu kommen. Da riß er seine Fiedel vom Gürtel und that ein paar schrille Bogenstriche.

„Er spielt auf. Er spielt auf. Still!“ rief es und lachte es. Endlich trat ein Moment leidlicher Ruhe ein.

„Ihr Genter, sperrt die Ohren auf!“ rief er, den Moment benutzend, mit gellender Stimme. „Große Neuigkeit! Der Präsident ist todt.“

Die Wirkung dieser Worte war eine augenblickliche. Ein leises Gemurmel wie von Hunderten sich gegenseitig Fragender rollte durch die Halle und über den Platz; dann folgte unmittelbar ein concentrisches Vordrängen gegen den Tisch, auf welchem der Sprecher stand. Auch die Abgeordneten traten mit erschreckten Mienen herzu.

„Der Präsident todt, sagt Ihr?“ rief es fragend von allen Seiten.

„Mausetodt! Hat das Ende vom Waffenstillstand nicht abgewartet. Wußte, daß er Gent nicht retten konnte. Mord und Brand geht wieder los. Ihr seid verloren mit sammt euren Cleve’schen.“

„Er lügt, er lügt,“ brüllte Nikol, und suchte zu ihm vorzudringen. Aber vergebens; die Menge um Jan stand Schulter an Schulter. Das Gefühl seiner Sicherheit erhöhte seine Zuversicht.

„Ich lüge nie,“ sagte er stolz.

„Von wem willst Du, Hund, denn Deine Neuigkeit haben, da Du doch gefangen eingebracht worden bist?“

„Von wem? Von wem anders, als von Einem, der hundert Augen und hundert Ohren hat? Höre und sinke in die Kniee, du Schneiderseele: Vom 'Hugh'.“

„Vom 'Hugh',“ raunten ihm die Umstehenden leise nach, indem sie sich bedeutsame Blicke zuwarfen.

„Ein Feind Burgunds ist er. Ein französischer Spion!“ schrie Nikol.

„Hört doch! Kann man dümmer sein, als dieser großmäulige Baßtrompeter? Ein Gelderer französisch! Das wäre gerade so viel wie: der Clever ist ehrlich.“

„Königsbeleidiger! Hochverrath! Schlagt ihn todt! Schlagt ihn todt!“ wüthete Nikol und fuchtelte mit seiner Eisenstange in der Luft umher, aber kräftige Arme wehrten ihrem Niederfalle.

„Frieden,“ rief Jan. „Frieden! ... Volk von Gent, er soll mich todtschlagen. Ich biete ihm einen Vergleich. Ich will für die Wahrheit sterben. Er soll mich verschlingen mit Haut und Haar, der lange Menschenfresser, wenn ich ihm nicht beweise, daß er ... ein Esel ist.“

Unmäßiges Gelächter begrüßte den Vorschlag.

„Beweise, beweise!“ rief es rings. „Aber beweisen mußt Du, Fiedler, sonst geht Dir’s schlecht.“

Jan that einen Geigenstrich und setzte sich in Positur.

„Vielwerthe Zuhörer,“ hub er würdevoll nach Art der Rhetoriker an: „Wisset ihr wohl, wie’s der Neuntödter mit dem Hornkäfer macht? Seht, weil er ihm von oben nicht beikommen kann, so faßt er ihn fein säuberlich mit dem Schnabel und trägt ihn auf seinen Thronsitz. Das ist aber allemal ein Dornstrauch. Dem Käfer ist dabei kreuzwohl zu Muthe; er kommt ja auf den Thron und braucht nicht einmal zu fliegen. Aber warte nur, Käferlein! Hat dich dein Patron erst oben, dann spießt er dich langsam an einen Dorn und frißt dich bei lebendigem Leibe von unten auf. Nun saget doch, ob es nicht gerade so der Clever mit euch klugen Leuten macht und zumal mit seinem Posaunenbläser da? Faßt er den nicht auch mit seinem sanften Schnabel und hebt ihn mit sich in die Höhe? Und er dünkt sich wunders was. Aber warte nur, Meckerbock! Du gehst auf’s Eis, um zu tanzen, und darum sage ich: du bist ein Esel.“

Zwei Fiedelstriche beschlossen die Argumentation.

„Der versteht’s,“ flüsterte es unter den Abgeordneten.

„Er hat Recht. Das ist bewiesen,“ lachte es unter den Arbeitern.

„Das ist nichts bewiesen. Königsschänder! Galgen und Rad! Gebt Raum!“ tobte Nikol, und eine freie Bahn zwischen den nächsten Köpfen ersehend, faßte er seinen Goedentag an der untersten Spitze und holte zum tödtlichen Schlage mit dem Keulenende aus. Der Fiedler bog sich vor dem drohenden Verderben bis an den äußersten Rand des Tisches, aber ehe noch der Schlag gefallen war, schnellte er plötzlich der Länge nach in die Höhe, schwenkte den Fiedelbogen dem Schloßhofe zu und rief: „Sie kommen. Sie kommen. Das ist der Adler, der den Aasgeier zwingt.“

Aller Augen richteten sich seitwärts. Selbst Nikol’s Kopf wandte sich, während sein Arm, zum Schlage erhoben, in der Luft blieb. Pferdegetrappel tönte durch das Portal. Getümmel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_733.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)