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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Es war ein Wort zur rechten Zeit. Die Arbeiter, die in Erwartung eines Festabends und ohne Waffen gekommen waren, hatten ohnehin von Anfang an keine Neigung verspürt, um unerklärter Vorkommnisse willen an Thätlichkeiten theilzunehmen, und sich für den Fiedler nur als Verfolgten und als humoristische Persönlichkeit interessirt. Zudem sahen sie in der Herzogin und den Abgeordneten das rechtmäßige Regiment vertreten. Und für was sollten sie sich auch noch schlagen, wenn der herzogliche Schutzpatron wirklich das Weite gesucht hatte? Was war überhaupt der Zweck der ganzen Begebenheit? Des Fiedlers Wort fiel so entscheidend in den aufgeregten Haufen, daß, gleichsam als ob bei allen diesen verzweifelten Gestalten ein und derselbe Nervenstrang angezogen worden wäre, eine nach der anderen die erhobene Waffe heimlich sinken ließ, ja sichtlich bemüht war, sie an derselben verschämten Stelle wieder zu verbergen, wo sie bei ihrem ersten Auftreten einen so zweideutigen Platz gefunden hatte.

Mit einem einzigen Blicke erfaßte Maximilian die Lage der Dinge. Einige Schritte zurücktretend, um besser gesehen zu werden, hob er sein Schwert empor und rief mit klangvoller Stimme:

„Höret mich, ihr Genter! Die Herzogin, eure Gebieterin, verzeiht Jedem, der sich gegen sie vergangen, wenn er zum Gehorsam zurückkehrt. Aber Gesetz und Ordnung wird hergestellt werden. Denn so wenig wie ihr mit dem Kopfe nach unten, so wenig vermag der Staat mit den Füßen in der Luft zu stehen. Erwartet in Frieden den Ruf zu Braten und Wein! Die Herzogin will euch den Schmaus gewähren. Aber betragt euch fein säuberlich, wie geladene Gäste, und nicht auf die Art, die der Clever euch gelehrt! Hinweg mit den Spießen, hinweg mit den Knitteln! Halloh, ihr Schützen, nehmt ihnen die Waffen und gebt ihnen Kellen und Löffel dafür! Keine Rücksicht, keine Gnade – den Knittel oder den Kopf!“

Die Wirkung dieser energischen Worte war eine mehr als drastische; sie war eine tragikomische. Denn kaum waren die Hakenschützen dem Befehle gemäß in die Reihen gebrochen, um nach Waffen zu suchen, so gab es deren schon nicht mehr. Lachend wiesen die friedlichen Arbeiter mit den Fingern auf den Boden, um den Soldaten die Spieße und Keulen zu zeigen, die jetzt von ihren Besitzern mit der unschuldigsten Miene schmählich verleugnet wurden.

„Victoria!“ jubelte Jan und sprang vom Tische.

„Siehe da, meine heldenmüthige Braut!“ wandte sich Maximilian lächelnd zu Maria zurück, „mit denen wären wir fertig trotz Hugonet und Imbercourt.“

„O Max,“ rief sie mit Thränen des Dankes, „Gott sei dafür gepriesen in Ewigkeit! Dieser Stunde will ich gedenken mein Leben lang. Noch beben mir die Glieder von dem Ritte, wie in wilder Jagd, mit den Hufschlägen der Cleve'schen hinter uns, aber von dieser furchtbaren Scene erzittert mir das Herz. Und doch droht uns noch immer das Schlimmste vom Clever selbst.“

„Beruhige Dich, Geliebte! Mein Ehrenhold ist der rechte Mann für ihn. Jetzt aber ein Wort mit den Herren Abgeordneten! Sie scheinen Dich ansprechen zu wollen. Unterrichte mich schnell, wer und was ihre Führer sind!“

Und ihn auf die Seite nehmend, setzte ihn Maria von dem Nothwendigsten in Kenntniß.

Eben erst waren die Abgeordneten im Stande gewesen, Maximilian voll in's Gesicht zu sehen. Längst schon hatten sie im Verlauf der Ereignisse unter sich gefragt und hin und her gerathen, wer der Begleiter Maria's sein möge. Wohl wäre ihnen in ihrer jetzigen Bedrängniß unter allen Prinzen Maximilian von Oesterreich, sowohl wegen des Rufes, der ihm voran ging, wie wegen der Macht, die er gegen Frankreich in die Wage werfen konnte, der erwünschteste gewesen, aber schließlich mochte es sein, wer es wollte – er kam ihnen wirklich als Erlöser aus einer Gefahr, deren Furchtbarkeit sie zu ihrem Schrecken kennen gelernt hatten. Als daher der Vicepräsident plötzlich voll freudiger Zuversicht ausrief: „Bei Gott, Erzherzog Maximilian! Er ist es; ich sah ihn in Trier,“ da zog ein einstimmiges Beifallsgemurmel durch ihre Reihen, und freudig folgten sie seiner Aufforderung, die Herzogin mit dem edlen Prinzen zu bewillkommnen.

Maria hielt Maximilian's Rechte, als die Vertreter ihrer Staaten sich ehrerbietig vor ihr verneigten.

„Gnädiges Fräulein,“ begann der Vicepräsident, „die Stadt Gent und die Vierstaaten sind glücklich, ihre erhabene Gebieterin mit dem edlen Prinzen als Retterin aus großer Noth zu begrüßen.“

Voll Hoheit hob sich Maria empor. Die Anrede stand in zu großem Gegensatz zu den Scenen tiefster Erniedrigung, die man sie in der jüngsten Zeit hatte erleben lassen, als daß sie ihr nicht das traurige Bild derselben wieder vor die Seele geführt hätte.

„Und das sagt ihr mir jetzt,“ erwiderte sie, Maximilian's Hand lassend und einen Schritt vortretend, mit tiefem Vorwurf, „jetzt, nachdem ihr mich von meinen Freunden getrennt, meine edle Stiefmutter verbannt, meine Räthe hingerichtet habt? Gott verzeihe euch, was ihr gethan! Ich selbst kann ihm nur knieend danken, daß er mich die Prüfung gnädig bestehen ließ. Denn durch sie bin ich mit dem Prinzen vereinigt worden, den ich liebe und dessen starker Arm mich künftig schützen wird. Ja – höret es Alle – ich bin nicht mehr gesonnen, mir einen fremden Prinzen zum Gemahl aufdrängen zu lassen, weder von unberufenen Dritten, noch von meinen Unterthanen. Aus meiner Hand sollt ihr euren neuen Regenten empfangen – hier steht er.“

„Ja, hier steht er, der neue Regent. Und er dankt Euch, schönes Bäschen,“ erklang plötzlich zu ihrer Linken die treuherzig sonore Stimme des Herzogs von Cleve, der unbemerkt durch die Thür hinter den Abgeordneten eingetreten war und, wie der gerufene Wolf, in diesem Augenblicke neben ihr auftauchte.

Sprachlos vor Erstaunen starrte Maria auf den gleichsam dem Boden entstiegenen, unwillkommensten aller Gäste. Sprachlos blickten Präsident und Abgeordnete auf den gefürchteten Peiniger, den sie glücklich entflohen geglaubt hatten. Aber sie kannten ihn schlecht. Je kleiner das Raubthier, je frecher. Als er auf die falsche Nachricht von der Gefangennahme Maximilians die Halle verlassen, war er zu Pferde gestiegen, um in Begleitung eines Dieners die Herzogin mit seinem Sohne am offengehaltenen Brüsseler Thore zu empfangen und mit ihr, ehe sie noch von Maximilian's Anwesenheit Kenntniß habe, das Protocoll über das Verlöbniß und die Regentschaft unterschriftlich zu vollziehen. Das dichte Gewoge des Volkes hatte auch ihn genöthigt, auf Umwegen das Thor zu gewinnen. Aber siehe da, als er es erreicht, hatte er es geschlossen gefunden, eine verdächtige Wache gesehen und noch rechtzeitig durch Rufe Vorübereilender erfahren, daß die Herzogin mit fremdem Hülfsvolke dem Schlosse zugesprengt sei. Sofort schlug nun auch er den Rückweg ein, aber es war nur noch möglich, Schritt für Schritt zum Schloßplatze zu gelangen; hier mußte er sogar absitzen, um überhaupt das Schloß erreichen zu können. Am Portale erwartete ihn Verno mit der Schreckenskunde, daß Maximilian nicht gefangen, daß die Herzogin in fremder Begleitung, aber mit geringer Bedeckung geradeswegs nach der Halle gegangen sei. Von einem ihrer Reitknechte aber habe er auf seine Frage nach dem Prinzen Adolf erfahren, derselbe sei mit den tausend Reitern auf der Straße nach Brüssel dicht hinter ihnen drein gewesen. „Ah!“ hatte der Herzog triumphirend ausgerufen. In diesem Augenblicke erscholl die Donnerstimme Nikol's „Verrath! Ueberfall! Kronenraub!“ und Cleve, verwegen, wie er war, und vertrauend auf die Menge des bewaffneten Pöbels vor der Halle, zögerte keinen Augenblick in seinem Entschlusse. Verno auf alle Fälle Befehle hinterlassend, schlüpfte er in's Schloß, flog in fieberhafter Eile durch die Corridore zu ebener Erde und erschien, unbekannt mit dem, was in den letzten Minuten geschehen, mit der unbefangensten Miene neben Maria.

„Ja, hier steht der neue Regent, und er dankt Euch, schönes Bäschen,“ wiederholte er lächelnd und um so zuversichtlicher, als er die Bestürzung in Maria's Mienen, wie in denen der Abgeordneten las. Dann aber, als ob er erst jetzt den Prinzen bemerke, der über solche Frechheit schier verwundert dastand, trat er mit sichtlicher Freude auf diesen zu:

„Ah, wen erkenne ich? Mein gnädigster Herr! Ihr hier? Welche freudige Ueberraschung!“

„Ich lese sie in Euren Zügen,“ erwiderte ironisch Maximilian.

Er aber ließ sich nicht beirren, und es war ein Schauspiel für Götter und nicht minder für eingeweihte Sterbliche, wie den mit verschränkten Armen von fern beobachtenden Hugo, diese beiden Gegner, von denen der eine den anderen in seiner Gewalt wußte, der andere aber dasselbe von jenem zu glauben

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