Seite:Die Gartenlaube (1877) 739.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Am 16. früh halb zehn Uhr geht es wirklich weiter. Landrath Jansen, Mitglied der Freiconservativen im Reichstag, der mittlerweile eingetroffen, um eine Stelle in der Verwaltung der eroberten Landstriche einzunehmen, fährt mit uns. Ueber weite, etwas gewellte Ebene auf die Hügelkette am rechten Moselufer zu, in der sich der Kegel des Mousson mit seiner Ruine weithin auszeichnet. Mehrere stattliche Dörfer mit hübschen Mairien und Schulen passirt, die Chaussee vortrefflich. Auf dem Wege wieder Alles bunt von Soldaten, darunter auch kleine Detachements sächsischer Reiter. Endlich nach drei Uhr über den Berghang in das Moselthal hinab und nach Pont à Mousson hinein. Stadt von etwa achttausend Einwohnern zu beiden Seiten des Flusses, schöne Steinbrücke, große alte Kirche auf dem rechten Ufer. Wir fahren über die Brücke und dann über den Markt, auf dem sächsische Infanterie auf Stroh lagert, und biegen dann in die Rue Saint Laurent ein, auf welcher der Minister mit Abeken, Keudell und Graf Bohlen in einem von rothblühenden Schlingpflanzen umrankten Schlößchen an der Ecke der Rue Raugraf einquartiert ist. Er wohnt in einem großen Hinterzimmer der ersten Etage des Hauses und sieht in den kleinen Garten hinter dem letzteren hinaus. Das Bureau richtet sich in der linken Hinterstube des Erdgeschosses ein, und in der rechts gegenüber gelegenen soll gespeist werden. Der Landrath, ich, Secretär Bölsing und die mobilen Chiffreurs wurden ebenfalls auf der Rue Saint Laurent, etwa zehn Häuser weiter, auf der anderen Seite der Straße, wo sie an einem kleinen Platze endigt, in einem Hause untergebracht, das nur von französischen Damen bewohnt zu sein scheint. An den Ecken verschiedene Bekanntmachungen, eine, die unsern Sieg vom 14. verkündigt, eine wegen Aufhebung der Conscription, eine dritte, in welcher der Maire – es muß gestern oder vorgestern hier ein Angriff auf unsere Truppen stattgefunden haben – die Einwohner zur Besonnenheit ermahnt. Ferner ist befohlen, daß letztere bei Nacht Lichter an die Fenster zu stellen und Läden und Hausthüren aufzulassen haben; auch müssen Alle ihre Waffen auf das Rathhaus abliefern.

Den größten Theil des Nachmittags abermals ferner Kanonendonner zu vernehmen. Abends bei Tische erfährt man, daß wieder bei Metz gekämpft wird, und daß es hart hergeht. Jemand bemerkt, vielleicht gelänge es nicht, die Franzosen, die sich von dort nach Verdun zurückziehen wollen, aufzuhalten. Der Minister erwidert scherzhaft: „Molk, der kaltherzige Bösewicht, sagte, ein solches Mißgeschick wäre gar nicht zu beklagen; denn dann hätten wir sie sicher.“ Von anderen seiner Aeußerungen noch die, nach welcher ihm „die kleinen schwarzen Sachsen, die so intelligent aussehen,“ bei seinem gestrigen Besuche derselben ungemein gefallen haben. Er meinte die Jäger oder das 108. Regiment.

In der folgenden Nacht einige Male durch den tactmäßigen Tritt durchmarschirenden Fußvolkes geweckt. Es sind, wie man früh im Bureau wissen will, Hessen gewesen. König und Minister sind schon bald nach vier Uhr fort, nach Metz zu, wo heute oder morgen Hauptschlacht zu erwarten. Gehe früh sechs Uhr, da es einmal nichts zu thun giebt, mit Willisch spazieren. Zuerst stromaufwärts über die Pontonbrücke der Sachsen hinaus, die auf dem linken Ufer einen großen Fuhrpark (Wagen aus Dörfern bei Dresden dabei) aufgestellt haben. Wir schwimmen über den Fluß und wieder herüber. Dann Besuch der Kirche auf der rechten Seite des Wassers, wo ein außerordentlich schönes Grab Christi mit den schlafenden Wächtern. Besonders die letzteren wahre Meisterwerke der Zeit des Ueberganges aus dem Mittelalter in die Renaissance. Zurück in's Bureau, wo noch immer Feierabend ist. Habe daher Zeit, mit Jansen und Willisch dem Gipfel des Mousson und seiner Ruine einen Besuch abzustatten. Steil hinauf durch die Weinberge. Droben von den Trümmern der Burg, in die sich ein recht ansehnliches Dorf eingenistet hat, weite, wunderschöne Aussicht. Alle Höhen mit Reben bepflanzt; unten schlängelt sich, etwa so breit wie die Saale bei Giebichenstein, lichtblau im Grünen die Mosel. Rechts und links im Thale und auf den Hügeln Dörfer und Schlößchen. Auf den weißen Straßen hier und da wie Ameisenzüge Colonnen mit blitzenden Helmen und Waffen. Dichter Staubnebel hinter ihnen. Wieder hinunter in das kriegerische Getümmel und nach dem Bureau. Der Minister ist noch nicht zurück, aber man hat Nachrichten vom gestrigen Kampfe. Wir erfahren, daß es starke Verluste gegeben hat und der Durchbruch Bazaine's, der in Metz commandirt, nur mühsam verhindert worden ist. Hauptpunkt der Schlacht soll das Dorf Mars la Tour gewesen sein. Ein Kürassierregiment wäre fast ganz aufgerieben, und die Gardedragoner hätten gleichfalls schwer gelitten; keine Division, die nicht arg beschädigte Abtheilungen hätte. Heute indeß, wo wir, wie gestern die Franzosen, die Uebermacht hätten, wäre ein Sieg zu erwarten. Ganz sicher scheint das jedoch nicht zu sein. Man ist in Folge dessen etwas unruhig, hat kein rechtes Sitzfleisch. Man geht nach dem Markt und der Brücke, wo allmählich Leichtverletzte zu Fuß und Schwerverwundete in Wagen eintreffen. Man geht auf die nach Metz führende Chaussee hinaus, wo wir einem Zuge von etwa hundertundzwanzig Gefangenen begegnen. Meist kleine dürftige Leute, doch auch hochgewachsene, breitschulterige Burschen darunter, Garden, an den weißen Litzen auf der Brust erkennbar. Man geht wieder nach dem Markte. Man geht in den Garten hinter dem Hause, „wo der Hund begraben liegt“ – der Hund eines Herrn Girard Aubert nämlich, wie ein rührendes Epitaphium in Versen sagt, dessen Verfasser vermuthlich unser Wirth ist. Er soll ein alter Herr und jetzt mit seiner Frau verreist sein.

Endlich, gegen sechs Uhr, kommt der Kanzler zurück. Es hat heute keine Schlacht stattgefunden, aber wahrscheinlich giebt es morgen wieder etwas. Der Chef hat seinen während eines großen Reiterangriffs bei Mars la Tour durch einen Gewehrschuß in den Oberschenkel verwundeten ältesten Sohn, Graf Herbert, besucht, der im Feldlazareth von Mariaville liegt. Inzwischen ist der amerikanische General Sheridan in der Stadt eingetroffen. Er wohnt am Markte im Croix Blanche und hat um eine Zusammenkunft mit unserm Kanzler gebeten. Gehe auf dessen Wunsch zu ihm und sage ihm, daß Graf von Bismarck ihn im Laufe des Abends erwarte. Der General, ein kleiner corpulenter Herr von etwa fünfundvierzig Jahren mit dunklem Schnurr- und Zwickelbärtchen, spricht den allerechtesten Yankeedialekt. Er hat seinen Adjutanten Forsythe und (als Dolmetscher) den New-Yorker Journalisten Mac Lean bei sich. In der Nacht wieder starke Durchmärsche, diesmal, wie ich höre, von Sachsen.

Am nächsten Morgen erfahre ich im Bureau, daß der König und der Minister schon um drei Uhr weggefahren sind. Es wird ungefähr auf dem Schlachtfelde von vorgestern gekämpft. Unruhig, ungeduldig, Näheres zu erfahren, machen wir uns zu einem Gange in der Richtung nach Metz hin auf. Kommen bis etwa vier Kilometer von Pont à Mousson. Begegnen Leichtverwundeten, die einzeln, paarweise und in größeren Gesellschaften der Stadt zu wandern. Viele tragen ihr Gewehr noch, Andere gehen an Stöcken; Einer hat sich einen rothen französischen Reitermantel umgehangen. Sie haben vorgestern bei Mars la Tour und Gorze mitgefochten. Ueber die heutige Schlacht bringen sie nur Gerüchte mit, gute und schlechte, was sich dann in der Stadt in Uebertreibungen wiederholt. Zuletzt behalten die guten Nachrichten die Oberhand, Gewisses aber giebt es auch am späten Abend noch nicht. Wir essen ohne den Minister, der bis Mitternacht vergeblich erwartet wird. Zuletzt hört man, daß er mit Sheridan und Graf Bohlen beim König im Dorfe Rezonville ist.

Freitag, den 19. August, wo wir mit Bestimmtheit erfuhren, daß Tags vorher die Deutschen gesiegt – eine feste Burg ist unser Gott! – fuhren Abeken, Keudell, Hatzfeld und ich hinaus nach dem Schlachtfelde. Zuerst zwischen den Pappeln der Chaussee durch das anmuthige Moselthal. Rechts der Fluß, links über der bald breiten, bald schmalen Thalsohle Weinberge mit Villen und hübschen Dörfern unter Burgruinen. Wir passiren die Orte Vendières, Arnaville und Novéant. Dann hinauf nach Gorze, einem Städtchen, das sich großentheils in langer, schmaler Gasse durch eine Senkung in der Hügelkette zur Linken zieht. Die Räthe stiegen hier aus, um zu Pferde weiter zu gehen. Ich und unser getreuer Kanzleidiener Theiß suchen uns mit dem Wagen durch die Fuhrwerke, die sich in der engen Hauptstraße verfahren haben, hindurch zu helfen, es ist aber unmöglich. Von unserer Seite kommen Leiterwagen mit Heu, Stroh, Holz und Bagage, von der andern Gefährte aller Art mit Verwundeten sowie Munitionskarren, und so

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)