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verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


bleiben wir nach kurzer Zeit stecken. Fast alle Häuser des Ortes sind durch Genfer Fähnchen als Lazarethe bezeichnet, und beinahe an allen Fenstern sehen wir Leute mit verbundenem Kopfe oder dem Arme in der Binde.

Nach etwa einstündigem Warten rückten wir langsam vorwärts und nach einer Weile waren wir hinaus auf die Hochfläche seitwärts vom Orte. Erst Wald, wo uns ein heftiges, aber rasch vorübergehendes Gewitter überfiel. Dann eine weite gewellte Ebene mit Stoppelfeldern, durchschnitten von Straßen, die meist mit Pappeln bepflanzt waren. Rechts in der Ferne mehrere Dörfer und darüber hinaus Hügel und Senkungen mit Gehölz. Nicht weit von Gorze zweigt sich zur Rechten ein Weg ab, der uns nach Rezonville gebracht hätte, wo ich den Minister und unsere Reiter wieder treffen sollte. Meine Karte gab aber in Betreff derselben keinen Rath. Die Straße war hier ganz einsam; ich glaubte, auf jenem Wege zu nahe nach Metz hinzukommen, und so ließ ich auf der Chaussee weiterfahren, die uns erst an einen einzeln stehenden Meierhof, wo Haus, Scheune und Stall voll Verwundeter waren, dann nach Mars la Tour brachte.


Bismarck’s Wohnung in Herny.
Nach der Natur aufgenommen von Holt in Metz.


Schon unmittelbar hinter Gorze Spuren von Gefechten: Kugelgruben im Erdboden, abgeschossene Baumzweige, einzelne todte Pferde. Weiterhin wurden letztere häufiger; an einzelnen Stellen zählte man zwei bis drei neben einander; an einer lag eine Gruppe von acht solchen Cadavern. Die meisten waren furchtbar aufgeschwollen und streckten die Beine in die Luft, während die Köpfe schlaff auf der Erde lagen. Bei Mars la Tour ein Lager von Sachsen, im Dorfe ein Haus abgebrannt. Frage hier einen Ulanenlieutenant, wo Rezonville. Weiß es nicht. Wo König? An einem Orte etwa drei Stunden von hier, wobei der Officier nach Osten zeigt. Eine Bauernfrau, die uns die Lage von Rezonville beschreiben soll, zeigt ebenfalls dahin, und so fahren wir in die Straße hinein, die nach dieser Richtung führt und uns nach einer Weile in das Dorf Vionville bringt. Kurz vor dem Orte sehe ich rechts auf dem Rande zwischen Stoppelfeld und Chausseegraben den ersten Todten, einen preußischen Musketier. Er sieht im Gesichte schwarz wie ein Turco aus und ist furchtbar aufgedunsen. Im Dorfe alle Häuser voll Schwerverwundeter, auf der Straße deutsche und französische Hülfsärzte und Krankenpfleger mit der Genfer Kreuzbinde.

Ich beschließe, Minister und Räthe hier zu erwarten, da ich meine, daß sie auf alle Fälle und bald hier durchkommen müssen. Durch eine Seitengasse links von der Straße, in deren Graben unter einem Bündel blutiger Lappen ein abgeschnittenes Menschenbein hervorsieht, hinüber auf das Schlachtfeld. Etwa vierhundert Schritt vom Dorfe zwei parallel laufende circa dreihundert Fuß lange Gruben von geringer Breite und Tiefe, an denen noch gearbeitet wird, und neben denen große Haufen von deutschen und französischen Todten liegen. Einige halb entkleidet, die meisten noch in Uniform, alle grauschwarz und schrecklich geschwollen. Es mögen zweihundert Leichen sein, die hier zusammengebracht sind, und immer noch führt man Karren mit neuen herbei. Viele sind ohne Zweifel schon beerdigt. Weiterhin steigt das Schlachtfeld ein wenig an, und hier scheinen besonders viel Leute gefallen zu sein. Ueberall ist der Erdboden mit französischen Mützen, mit Pickelhauben, mit Tornistern, Waffen, Uniformen, Wäsche, Schuhen und herumgestreuten Papieren bedeckt. Dazwischen liegen einzelne Todte auf dem Gesicht oder dem Rücken, dem einen ist das ganze rechte Bein, dem andern der halbe Kopf abgerissen. Hier und da ein Einzelgrab, das ein Holzkreuzchen oder ein mit dem Bajonnet hinein gespießtes Gewehr bezeichnet. Der Leichengeruch sehr merklich, bisweilen, wenn der Wind von einer Gruppe Pferdecadaver herweht, fast unerträglich.

Es wird Zeit, zu dem Wagen zurückzukehren, auch habe ich genug von dem Bilde der Wahlstatt. Gehe einen andern Weg, aber auch hier wieder Haufen von Todten, diesmal lauter Rothhosen, und Massen von umhergeworfenen Kleidungsstücken, Hemden, Schuhen, Papieren und Briefen, Dienst- und Gebetbüchern. Der Minister ist nicht gekommen, und es ist vier Uhr. Wir kehren daher auf näherem Wege, auf dem ich inne werde, daß wir die beiden langen Seiten eines Dreiecks umfahren haben, statt die kurze zu wählen, nach Gorze zurück. Hier treffen wir Keudell, dem ich unser Mißverständniß und unsern unglücklichen Umweg erkläre. Er ist mit Abeken und Hatzfeldt beim Chef in Rezonville gewesen. Letzterer hat sich während der gestrigen Schlacht mit dem König etwas weit vorgewagt und sich eine Zeit lang in Gefahr befunden. Hat dann die Schwerverwundeten eigenhändig mit Wasser erfrischt. Sehe ihn Abends neun Uhr wohlbehalten in Pont à Mousson anlangen. Essen hier Alle wieder mit ihm. Die Unterhaltung bei Tische dreht sich natürlich in der Hauptsache um die letzten beiden Schlachten und ihren Gewinn und Verlust. Die Franzosen haben Massen von Leuten auf dem Platze gelassen. Der Minister sah ihre Garde bei Gravelotte reihen- und haufenweise von unserer Artillerie hingestreckt. Aber auch unsere Verluste sind ungeheuer. Erst die vom 16. sind genau bekannt. Eine Menge von preußischen Adelsfamilien werden Trauer anlegen müssen. „Wesdehlen und Reuß in Ein Grab gelegt,“ sagt der Chef, „Finkenstein todt, Rahden (der Mann der Lucca) durch beide Backen geschossen, eine Masse von Regiments- und Bataillonscommandeuren gefallen oder schwer verwundet. Das ganze Feld bei Mars la Tour war weiß und blau von gefallenen Kürassieren und Dragonern.“ Es hat nämlich eine große Reiterattacke gegen die vordringenden Franzosen stattgefunden, die zwar von der feindlichen Infanterie und Artillerie im Stil von Balaklawa abgewiesen worden ist, aber insofern genützt hat, als sie den Gegner aufhielt, bis Verstärkung eintraf. Die Söhne des Kanzlers sind dabei tapfer mit drein geritten, und der ältere hat drei Schüsse bekommen, einen durch das Bruststück des Rockes, einen auf die Uhr und einen durch den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_740.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)