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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Die jagt, wie ein Dachshündel auf der Fährte,“ murmelte Jan, ihr nachsehend, „und – weiß Gott – sie stellt ihn.“

Er mußte viel mit Wald und Wild verkehrt haben, der Spielmann, denn es kam, wie er gesagt. Genau auf dem Punkte, auf dem die beiden convergirenden Linien sich schneiden mußten, traf sie, wie zufällig, auf Huy.

„Nun, edler Ritter, sonnet Ihr Euch im Abglanz Eurer Thaten?“ leitete sie das Fangballspiel ein.

„Im Gegentheil, meine Thaten sonnen sich im Abglanz zweier Augen,“ nahm Hugo den Kampf auf, indem er zum Notartische hinüberblickte.

„Wirklich? Und dabei seht Ihr dort hinüber?“

„Gewiß, Fräulein, denn dort steht die Herzogin, die anbetungswürdigste der Frauen.“

„Welch ein Unglück für Euch, daß ihr Bräutigam gleich daneben steht!“

„Im Gegentheil, welch ein Glück! Denn was hätte ein armer Edelmann zu hoffen, auf den selbst Erbtöchter aus Brabant so tief herunterblicken?“

„Hört, Ritter, was nun das betrifft, so gebe ich auf Eure Demuth nicht so viel,“ – und sie schnippte mit dem Finger. „Meint Ihr, ich wüßte nicht längst, daß Ihr Euch nur tief stellt, um übersehen zu werden?“

„Wer sagt Euch das?“

„Mein kleiner Finger.“

„Und ich sage Euch, ich wette meine rechte Hand gegen Euren kleinen Finger, daß Ihr mich für mehr haltet, als ich bin.“

„Wie unvorsichtig, Ritter! Kaum habt Ihr Eure schöne Stute verwettet, so wollt Ihr auch Eure Hand verlieren. Nur her damit, Ihr seid ... der Hugh von Geldern.“

„Der Hugh? ... und von Geldern? ... Das sind zwei Namen, von einem Waldgeist und von einem Lande,“ suchte er auszuweichen.

„Gleichviel, es sind die Eurigen. Ihr seid nicht mehr und nicht weniger, als wofür ich Euch halte – und um mehr habe ich nicht gewettet.“

„Hütet Euch, Fräulein! Denn wäre wirklich seine Rechte verwirkt, so hätte der Hugh immer noch die Linke, um jeden Verrath schrecklich zu bestrafen.“

„Hu ... Kopf ab!“

„Nein, mehr – langsame Todesqual.“

„Bei offenem Feuer ... Gnade! Gnade! Macht’s kurz!“

„Nichts da – lebenslang.“

„Zu Eins?“

„Nein, zu Zweit.“

„Dann mag’s noch angehn,“ lachte die Libelle mit scherzenden Lippen, aber mit einem Blick aus ihren Smaragden, der alle Seligkeit ihres Herzens spiegelte.

„So macht Euch bereit, denn Euer Stündlein hat geschlagen!“ schloß Hugo, einen letzten Blitz aus seinem Auge in das ihrige werfend. Dann nahm er plötzlich die formvolle Haltung des Hofmannes an, um Maria und Maximilian zu erwarten, die er vom Notartische auf sich zukommen sah.

Volles Glück strahlte aus den Augen der beiden jugendlich schönen Verwandten, die eben mit Zustimmung der Staaten die Grundzüge des neuen Regiments, die Gerechtsame der regierenden Herzogin in Burgund und Niederland und die Stellung ihres künftigen Gemahls in kurzer Form festgestellt hatten. Aber die erwartungsvollen Blicke, die sie auf Hugo richteten, als sie sich ihm näherten, bezeugten die Spannung, mit der sie, selbst nach diesem wichtigsten Acte, den Aufklärungen über die geheimnißvolle Macht entgegen sahen, der sie ihr Glück verdankten.

„Jetzt, Ritter Huy,“ nahm Maximilian das Wort, „kommen wir zu Euch! Die Aufgabe ist gelöst; wollet uns nun auch die Lösung erklären, damit wir die Pflichten erfüllen können, die sie uns auferlegt! Denn es ziemt uns nicht, Schuldner zu bleiben, wo wir so viel zu verdanken haben, und, bei unserem Wort, so weit unsere Macht reicht, sei Euch jeder billige Wunsch zum voraus gewährt!“

Hugo ließ sich vor Maria auf ein Knie nieder. Aller Augen hingen an seinen Lippen. Adelheid's Hutspitze bog sich so weit vorüber, daß sie den vorfallenden Schleier zurückhalten mußte.

„Anbetungswürdigste Fürstin“ – begann der Ritter, zum Erstaunen Aller über solche Kühnheit der Anrede – „glaubet mir: nur Euch zu Liebe ...“

Ein leises „Ha“ erstarb auf Adelheid’s Lippen, um sich in ein „er lügt“ zu verlieren.

Maximilian aber konnte sich nicht enthalten, ihn offen zu unterbrechen.

„Ei, Ritter,“ sprach er mit Laune, „das klingt sehr verfänglich. Ich hoffe, Ihr wisset: das stände nicht in unserer Macht.“

„Vollendet nur, Ritter!“ sagte vertrauensvoll lächelnd Maria.

„Bei Gott, nur Euch zu Liebe, Herzogin,“ betheuerte Hugo, „wenn auch zugleich für ein gutes Recht, habe ich unternommen, was der Himmel jetzt mit Erfolg gekrönt hat. Ja, Fürstin, laßt es Euch sagen, Ihr steht meinem Herzen näher, als Ihr glaubt ...“

„Um Gotteswillen!“ stöhnte Adelheid.

„Das wird immer besser!“ suchte Maximilian zu scherzen.

Erschrocken blickte Maria auf den Knieenden.

„In Wahrheit näher, als Ihr glaubt,“ wiederholte unbeirrt Hugo, nachdem er sich mit einem Seitenblick an Adelheid’s Entsetzen geweidet hatte, „denn wisset, ich bin nicht allein das, was ich scheine, bin nicht allein ein Verwandter des Ritters Huy auf Neumünster: nein, ich bin auch der Bruder des weiland Herzogs Adolf von Geldern, Euer leiblicher Vetter Hugo.“

Es lag offenbar eine der Natur abgelauschte Berechnung darin, durch den künstlich voraufgeworfenen Schatten einer Angstwolke den Lichteffect der überraschenden Nachricht zu erhöhen. Aber die launige, spannende Art des Vortrags ließ die Absichtlichkeit vergessen, und so war die Wirkung eine volle.

Maria und Maximilian traten beide unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Ist es möglich?“ rief Maria. „Mein Vetter Hugo ... Ihr?“

„Hugo von Geldern ... mein alter Spielfreund ... Du?“ rief Maximilian, ihn emporhebend und ihm kräftig die Hand schüttelnd.

Maria aber schloß ihn im Uebermaße der Freude und des Dankes in ihre Arme und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. Mit einem eigenthümlichen Lächeln sah sich Maximilian nach Adelheid um, die, durch solche Auszeichnung ihrer Herrin an den hohen Rang Hugo’s gemahnt, schier betroffen dastand.

„Wie gefällt Euch das, Fräulein?“ neckte er, auf die Scene zwischen Beiden deutend.

„Wenn es Euch gefällt, gnädigster Herr –“ gab sie achselzuckend zurück, – „ich bin unbetheiligt dabei.“

„Ei, Fräulein, Ihr scheint ein bösartig Raubthierlein zu sein, daß Ihr nicht einmal Mitleid mit ... der Wahrheit kennt,“ lachte Maximilian. Dann aber überließ er sie ihrer eigenen besseren Selbsterkenntniß und gab Hugo beide Hände.

„Hugo, alter Freund, wie war es möglich, Dich nicht wiederzuerkennen! Wohl las und las ich in Deinen Zügen und suchte darin, aber das Jünkerlein von ehedem hat sich gewaltig verändert – nur nicht in den Pagenstreichen ...“

„Vom Hofburggarten in Wien,“ vollendete lachend Hugo. „Ihr nanntet Euch damals schon Teuerdank.“

„Ganz recht, und Dich, obgleich Du der Aeltere, Junker Fürwittig. ... Der steht nun dort.“ Und er zeigte auf den Pagen.

„Eccolo!“ sprach dieser, keck hervortretend. „Und er will sich ein Beispiel an Euch nehmen, Herr Graf von Geldern.“

„Non bisogna, cavaliere!“ neigte sich ihm Hugo launig. „Ich sah nur erst Einen Streich von Euch, der aber sagt mir, daß Ihr den Pagenrock nicht mehr lange tragen werdet.“

„Und jetzt berichte!“ drängte Maximilian. „Wie hast Du alles dies in’s Leben gezaubert?“

„Ich war ein armer Flüchtling,“ wandte sich Hugo an Maria, „und beobachtete beim Herzoge Sforza die Verfolgungen, die mein Haus zu erleiden hatte. Mein Bruder in lebenslänglicher Haft, sein Land eingezogen, seine Kinder im Kloster – was gab es in der Heimath für mich zu hoffen? Da fiel Euer Vater, und das Unglück brach über Euch herein. Aber Ihr waret umgeben von meinen Gegnern, waret selbst nicht frei. Was hätte ich unter meinem Namen hier nützen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_751.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)