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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Folge gegeben, jedoch nicht ohne Klagen seitens der Kirgisinnen, deren Hausthiere zu der hohen Ehre berufen worden waren, den Wildlämmern Dienste zu leisten, auch nicht, wie ich hinzufügen muß, ohne Widerstreben der Ammen selbst. Um so williger zeigten sich die Argalilämmer. Ohne Zögern nahmen sie das Euter der ihnen zugewiesenen Ammenthiere, saugten kräftig, unter den üblichen Stößen, und schienen nach genossener Erquickung vollständig befriedigt zu sein. Während die Ammenthiere die ihnen aufgezwungenen Pfleglinge mit schelen Augen betrachteten und – ich darf wohl sagen – mit gerümpfter Nase beschnupperten, auch unverkennbar böswillige Gelüste auszuführen trachteten und daher festgehalten werden mußten, konnten die hungerigen und durstigen Lämmer angesichts der nahrungsspendenden Verwandten ohne Weiteres ihrer Fesseln entledigt werden, gestatteten, daß man sie berührte, streichelte, während des Saugens festhielt, und legten sich, nachdem sie ihre Bedürfnisse gestillt, aller Fesseln ledig so vertrauensvoll und zufrieden zur Ruhe nieder, daß Jedermann überzeugt sein mußte, sie würden für den Verlust ihrer Mutter Ersatz finden und gedeihen. Letzteres war, wie wir später erfuhren, leider nicht der Fall, aber wohl nur deshalb, weil die Kirgisen, um die Nachkommenschaft ihrer Hausthiere besorgt, ihnen die erforderliche Pflege nicht angedeihen ließen. Jedenfalls ist der mißglückte Versuch nicht maßgebend. Denn alle Wildschafe lassen sich leicht erziehen, und alle dauern, vorausgesetzt, daß sie in einem ihrem heimathlichen entsprechenden Klima gepflegt werden, auch in engerer Haft recht gut aus. Der wettergestählte Argali, welcher eisiger Kälte und glühender Hitze in gleicher Weise zu trotzen vermag, keine andere Nahrung beansprucht als das Hausschaf, hinsichtlich seiner Begabungen von diesem kaum sich unterscheidet, also auch nicht dummtrotziger und furchtsamer ist, wahrscheinlich aber selbstständiger sein dürfte als dieses, würde allen Anforderungen entsprechen, welche man an ein zu zähmendes und einzubürgerndes Thier vernünftiger Weise stellen kann.


Eine Weihestunde im Schillerhause in Weimar.
Zum zehnten November, von Robert Keil.

Die Esplanade in Weimar, jetzt Schillerstraße genannt, war ehemals ein mit mehreren Baumreihen bepflanzter Platz, der vom innern Frauenthor am sogenannten Schützengraben entlang bis zum Palais der Herzogin Anna Amalia sich hinzog. Nur wenige einzelne Häuser standen auf diesem Platze, darunter auch ein mäßig großes, einfaches, mit Ziegeln gedecktes Giebelhaus, das im Februar 1802 einem Engländer Mellish gehörte. Schiller, der schon während seines ersten Aufenthalts in Weimar an der Esplanade bei Frau von Imhof gewohnt hatte, mochte an solcher Wohnung, an dem freundlichen Blick auf den Platz und die grünen Bäume Gefallen gefunden haben; er kaufte von Mellish das Haus im Februar 1802 für viertausendzweihundert Gulden und bezog es am 29. April. Es war dieser Einzugstag ein schlimmes Omen für Schiller, denn an demselben Tage entschlief in Clever-Sulzbach seine „treue, liebevolle, immer für ihre Kinder sorgsame“ Mutter. Nur drei Jahre sollte er dieses Haus bewohnen. Er richtete sich darin schlichtbürgerlich, aber für damalige Verhältnisse bequem ein. Im Parterre ließ er seinen Diener und zugleich Schreiber wohnen; die Räume des ersten Stocks wurden die Wohnung der Familie; die Zimmer im zweiten Stock bezog er selbst. Mit besonderem Behagen schrieb er darüber am 7. Januar 1803 seiner Schwester Christophine: „In unserm neuen Hause wird es Euch, wenn Ihr uns einmal besucht, recht wohl gefallen. Es ist sehr heiter und freundlich und liegt sehr angenehm. Freilich haben wir diesen Sommer mit dem Bauen viel Schererei gehabt und große Kosten, auch das Ameublement hat gekostet, aber jetzt freuen wir uns auch dieses Besitzes und fühlen das Angenehme einer eigenen unabhängigen und bequemen Wohnung, weil wir uns während unserer ganzen Ehe immer in diesem Stück haben behelfen müssen.“

Dort vor dem Hause war es, wo sich die herzliche Scene zutrug, die dem wackern Schauspieler Genast aus seiner Kinderzeit unvergeßlich geblieben. Während der ihm unbekannte große Mann mit langen Armen und langem Rock, hagerm Gesicht, gebogener Nase und bloßem Kopf an der Esplanade mit dem Vater freundlich sprach, strich er dem Knaben durch die Flachshaare, streichelte ihm das Gesicht, nahm ihn endlich auf den Arm und tänzelte mit ihm die Allee hinab. So, wie ihn hier Genast schildert, war in der That die damalige äußere Erscheinung des Dichters.

Aus der Jenaer Zeit enthält ein von dem Justizrath von Gohren zu Jena für das Schiller-Album bestimmtes Notizblatt folgende Schilderung: es imponirte die hohe Figur Schiller’s, mit breiten Schultern und langherabgestreckten Armen; er erging sich oft in der freien Natur, in der Regel ohne Begleitung, und trug gewöhnlich einen erbsgelben, langherabreichenden Tuch-Oberrock, als Kopfbedeckung einen dreieckigen Filzhut, sogenannten Dreimaster, während sein Haar in einen Bandzopf geflochten war. Inzwischen änderte sich die allgemeine Mode und mit ihr auch die Kleidung des Dichters. Während seiner letzten Lebensjahre sah man ihn in den Straßen Weimars und im Parke gewöhnlich in einem braunen oder blauen Frack mit Metallknöpfen, meist gelber Weste, grauem Beinkleid (er besaß nicht weniger als fünfzehn Hosen von allen Farben und Stoffen) und Stulpstiefeln, auf dem Kopfe einen niedrigen runden, schwarzen Hut mit schwarzseidenem Band und Stahlschnallen, in der Hand ein hohes spanisches Rohr mit metallenem Knopf, Schnur und seidener Quaste. Ein leiser lieblicher Zug, der den Kampf zwischen Ironie und Gutmüthigkeit verrieth, spielte um Mund und Wange des freundlichen blassen Gesichts. Meist gebeugten Hauptes, senkte er den Blick zu Boden und bemerkte daher häufig den Gruß eines vorübergehenden Bekannten nicht; hörte er ihn aber, so griff er rasch zum Hute und sagte sein herzliches „guten Tag“. So pflegte er, meist Vormittags, schlendernden, etwas nachlässigen Ganges durch den Weimarischen Park zu wandeln und hierbei insbesondere die schönen mittleren Wege desselben zu besuchen und auf dem reizenden Punkte zu verweilen, welchen die „Schillerbank“ bezeichnet. So lebt er noch jetzt in der Erinnerung Weimars. Den Zeitgenossen imponirte nicht allein Schiller’s Wirken und Dichten, auch seine äußere Erscheinung. Goethe’s Vertrauter Riemer bemerkte einst darüber: der Bau seiner Glieder, sein Gang auf der Straße, jede seiner Bewegungen sei stolz, nur die Augen sanft gewesen. „Ja,“ bestätigte Goethe, „alles Uebrige an ihm war stolz und großartig, aber seine Augen waren sanft. Und wie sein Körper war sein Talent.“

Wie erwähnt, waren ihm vom Schicksal zur Bethätigung dieses Talents nur noch drei Jahre in dem neuerworbenen Hause vergönnt. Seine Wittwe lebte dort noch eine Reihe von Jahren; dann ging das Haus durch Verkauf in den Besitz des Gartenbau-Inspectors Weise und später auf dessen Wittwe durch Erbschaft über. Diese vermiethete die Räume des Hauses, auch diejenigen der zweiten Etage an Privatpersonen. Mehrere Jahre wohnte in eben dieser Etage, in dem Empfangs-, Arbeits- und Sterbezimmer des Dichters, eine entfernte Verwandte von mir, Frau Charlotte Keil. Noch erinnere ich mich des tiefen Eindrucks, den es auf mein Gemüth machte, als ich beim Besuch der guten Tante erfuhr, daß in dem Zimmer, in welchem wir als Kinder spielten, einst Schiller gewohnt habe – mit welcher Verwunderung betrachtete ich den seltsamen großen Wandschrank, den er einst benutzt hatte! Wer mir kleinem Knaben damals gesagt hätte, daß ich einst eben diese Räume dem großen Publicum unseres deutschen Weltblattes schildern würde! Als aber auch die Wittwe Weise starb und das Haus in der Erbschaftstheilung zum öffentlichen Verkauf kommen sollte, stand zu besorgen, daß es in die Hände eines nebenan wohnenden Bierwirthes übergehen und so profanirt werden könne. Frau Charlotte Keil hat das Verdienst, zu Verhinderung dessen durch ihren Bruder, Kunsthändler Eduard Lobe in Weimar – den nachherigen Castellan des Hauses und Gatten der jetzigen sorgsamen Castellanin – den städtischen Ankauf des Hauses im Jahre 1847 angeregt zu haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 757. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_757.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)