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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


die Stimme hatte ihr versagt und dunkle Gluth ihre Wange bedeckt, als sie seine Augen – und es waren die beredtesten, die sie je gesehen – mit einem nicht mißzuverstehenden Ausdrucke der Bewunderung auf sich gerichtet sah.

„Ja, Ehrenbreitstein!“ hatte er gesagt, sich tief zu ihr niederbeugend. „Mir knüpfen sich an diesen Namen Erinnerungen, die mir stets unvergeßlich sein werden. Wie unzählige Male habe ich an den Tag zurück gedacht, der uns zusammenführte! Wie oft habe ich gewünscht, Ihnen wieder zu begegnen! Und als ich Sie heute traf und meine stille Hoffnung, Sie als die Nichte meines Nachbars wiederzusehen, bestätigt fand – wie könnte ich Ihnen das Gefühl des Glückes beschreiben, das mich da ergriff, wie Ihnen die Freude schildern, die ich bei dem Gedanken empfand, Sie Wochen, vielleicht Monate lang in meiner Nähe zu wissen! Sagen Sie mir, Hanna, ob auch Ihnen diese Aussicht Freude macht, ob auch Sie noch jenes Tages auf dem Rheine gedenken?“

Er hatte leise und mit einer Stimme gesprochen, welcher man seine innere Bewegung anhörte. Sie hatte nicht zu antworten vermocht, aber das Geheimniß, welches ihre Lippen verschwiegen, hatte er in ihren Augen gelesen. Wie es gekommen war, wußte sie nicht, aber ihre Hand hatte in der seinigen geruht. Er hatte sie festgehalten, als wollte er sie nicht wieder loslassen. Es war, als fühlte sie noch den Kuß, den er darauf gedrückt, und als er sich noch näher zu ihr niedergebeugt, da hatte Marie ihren Namen gerufen, und wie aus einem schönen Traume waren sie emporgefahren.

„Ja,“ sagte Kayser, „deutsche Volkslieder! Das ist ja wieder so ein Punkt der Uebereinstimmung zwischen Ihnen und Hanna, den ich vergessen habe zu erwähnen. Aber wenn wir noch einige hören sollen, muß es bald geschehen – es wird Zeit, Sie von Ihren Gästen zu erlösen.“

Seine Laune hatte sich sichtlich verschlechtert, und in seinem Gesichte kam wieder der mißmuthige Zug zum Vorschein, den Marie schon oft genug an ihm kennen gelernt hatte. Sie sah ein, daß sie versuchen mußte, ihn zu versöhnen.

„Erlösen?“ sagte sie kopfschüttelnd. „Sollte es mir wirklich so wenig gelungen sein, Ihnen meine Freude über Ihren und Hanna’s Besuch zu zeigen?“

„Der Anfang mag möglich gut gewesen sein, das Ende aber scheint so werden zu wollen wie gewöhnlich: nicht zum Wiederkommen auffordernd.“

„Wenn Sie sich freundlichst erinnern wollen, so werden Sie finden, daß niemals ich diejenige gewesen bin, die Veranlassung zum Unfrieden gegeben hat.“

„Ja, Sie waren es doch. Sie haben mich systematisch gekränkt und geärgert; Sie haben mir stets eine ruhige, kühle Höflichkeit gezeigt, niemals eine Spur von Herzlichkeit.“

„Lieber Herr Kayser, ein Chronometer –“

„Zum Henker mit dem Chronometer! Ist Ihr Gedächtniß denn so construirt, daß es nur Raum hat für Worte, die ich im Mißmuth gesprochen?“

„Nein,“ sagte Marie, mit mehr Ernst als bisher sprechend, „es bewahrt auch gute Worte und treue Freundeshandlungen auf. Und deshalb lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Sie auf meine Dankbarkeit und Freundschaft stets bauen können. – Da geht auch Max endlich zu einer etwas weniger stürmischen Musik über – es scheint, als ob in seine schrillen Dissonanzen endlich Harmonie kommen will. Ach, unser Lieblingslied, Hanna: ‚Ich hatt’ Dich kaum geseh’n.‘“

Max war nach und nach in die ansprechende Melodie dieses Volksliedes übergegangen und begleitete dann Hanna’s Gesang. In der Nähe gehört, machte ihre Stimme einen noch tieferen Eindruck auf ihn. Jeder Ton perlte silberrein hervor; jeder Klang war von wundervoller Lieblichkeit. Aber er zwang sich dazu, die Sängerin nicht anzusehen. Als die letzten Worte des Liedes:

„Du hast das Herze mein
So ganz genommen ein;
Es zittert in Deiner Hand;
Thu’ ihm kein Leid!“ – –

verklungen waren, erhob er sich rasch vom Flügel und trat auf den Balcon hinaus. Auch über Hanna’s sonnige Heiterkeit hatte es sich wie ein düsterer Schleier gebreitet. Sie hörte nur mit halbem Ohre hin, als Marie um baldige Wiederholung ihres Besuches bat, und auf die Bitte ihres Onkels auch den ihrigen für die nächsten Tage zusagte. Als der Wagen gemeldet und Hanna’s Hut und Shawl gebracht wurde, trat Marie zu ihr, um sie warm einzuhüllen.

„Und nun wollen wir nicht sagen: lebewohl, sondern: auf frohes Wiedersehen!“ sagte sie, während sie das junge Mädchen herzlich küßte. „Ich wünschte von Herzen, Hanna, daß Sie mich lieb gewinnen könnten – ich wünschte, es gelänge mir, Ihnen mit der Zeit mehr zu werden, als eine oberflächliche Bekanntschaft.“

Hanna’s Herz war ein dankbarer Boden für solch’ liebevolle Worte. Sie erwiderte Mariens Entgegenkommen mit gleicher Herzlichkeit. Aber während ihr Mund lächelte, schauten ihre Augen doch ernster, als vorher. Als Max seinen Gästen beim Einsteigen geholfen hatte und ihnen zum Abschiede die Hand in den Wagen reichte, blickte Hanna schüchtern zu ihm auf. Aber sie begegnete nicht wieder jenem Blicke, der ihr Herz in freudigem Schreck hatte schlagen lassen. Sein Auge blickte ruhig und ernst. Ein plötzliches Frösteln durchrieselte sie – sie zog den Shawl fester um sich.

„Hülle Dich nur warm ein, Kind!“ sagte Kayser. „Es ist kalt geworden; wir bekommen anderes Wetter.“ – –

„Welch reizendes Mädchen diese Hanna Kayser ist!“ sagte Marie, als ihr Bruder wieder zu ihr in’s Zimmer trat. „Wie kommt es nur, daß Du Eurer Bekanntschaft früher nie erwähnt hast?“

„Habe ich das nicht? Ich dächte doch, ich hätte Dir davon gesprochen,“ entgegnete Max einsilbig, während er langsam auf und nieder schritt.

Marie ließ das Gespräch fallen und beschäftigte sich einige Minuten schweigend mit dem Ordnen des Zimmers. Als aber der Flügel geschlossen war und Noten und Bücher wieder in bester Ordnung lagen, trat sie entschlossen zu ihm heran.

„Ich habe ein Geheimniß vor Dir, Max, und ich sehne mich danach, es Dir mitzutheilen.“

Er blieb stehen und blickte sie an.

„Was ist’s?“ fragte er dann. „Ist es etwas zwischen Dir und Kayser?“

„Ja, Max, aber –“

„Magst Du ihn leiden, Marie?“

„Es ist nicht das; es ist nicht das,“ entgegnete sie hastig und erröthend. „Es handelt sich nicht um Liebe, Max – es handelt sich um Geld.“

Sie sah nicht, daß ein schmerzliches Lächeln um seine Lippen spielte, als sie ihm in hastigen Worten von dem Freundschaftsdienste Kayser’s erzählte.

„Ich konnte nicht anders, Max,“ schloß sie ihren Bericht, „ich konnte den armen Jungen nicht ohne Hülfe lassen. Jetzt aber, da ich die Sicherheit habe, daß ihm geholfen werden wird, jetzt fällt es mir schwer auf’s Herz, daß ich ein Geheimniß vor Dir habe. Ich hoffe indeß zuversichtlich, daß die Verbindlichkeiten, die ich gegen Kayser eingegangen bin, Deine Sorge nicht noch vergrößern werden.“

„Eine Sorge, und zwar eine große macht mir Deine Mittheilung dennoch. – Also Richard hat wieder Schulden gemacht? – Wie soll das enden, Marie, wenn er, auf Deine Güte bauend, fortfährt, mehr auszugeben, als er darf?“

„Ich fürchte das nicht, Max! Aus seinem Briefe spricht eine so ernste, tiefe Dankbarkeit, so aufrichtige Reue über das Geschehene, daß – ich bin davon überzeugt – ein Rückfall nicht wieder eintreten wird. Du sollst seinen Brief lesen. Noch niemals hat sich sein ehrliches, gutes Herz so deutlich offenbart, wie bei dieser Gelegenheit. Der ernste Geist, der durch seine Worte weht, hat mich bis zu Thränen gerührt. Er macht Andeutungen, die mich sehr nachdenklich gestimmt haben.“

Sie holte aus dem Nebenzimmer einen offenen Brief herbei, den sie ihrem Bruder hinreichte. Während er ihn las, blickte sie ihm über die Schulter, hin und wieder eine Stelle bezeichnend, auf welche sie seine besondere Aufmerksamkeit lenkte. Zuweilen lächelten Beide während des Lesens; dann, als Max das Papier zusammenfaltete, sagte Marie:

„Es unterliegt keinem Zweifel, daß es sich diesmal nicht um eine seiner flüchtigen Galanterien handelt. Aus jedem Worte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_764.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)