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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Es gab ein herzliches Begrüßen auf der Treppe vor dem Hause. Kayser war in bester Laune; man sah es ihm an, daß es ihm Freude machte, Marie in sein Haus zu führen. Er ermahnte Hanna, eine aufmerksame Wirthin zu sein und für die Bequemlichkeit ihres Gastes zu sorgen.

„Und da ein Gutes selten allein kommt,“ sagte er, „so ist Dir auch heute noch eine Freude vorbehalten. Der Bechstein’sche Flügel ist angekommen; ich habe ihn bereits verladen lassen, und ehe es ganz dunkel wird, wirst Du ihn im Saale haben.“

Hanna führte Marie in ihre Wohnung hinauf, und die beiden freundlichen, schön eingerichteten Zimmer, versehen mit Allem, was den Aufenthalt darin einem jungen Mädchen angenehm machen konnte, machten auch auf sie einen ungemein wohlthuenden Eindruck. Sie war überrascht, daß Kayser, aus dessen Worten stets eine gewisse Rauhheit gesprochen, eine so zartsinnige Rücksicht, ein so feines Verständniß für die Bedürfnisse seiner Nichte offenbart hatte. In Hanna’s Wohnzimmer hingen zwei schöne Frauenportraits, das eine, eine zarte, schlanke Blondine darstellend, war das ihrer Mutter, das andere, welches durch feurige braune Augen in die Welt hinein schaute, das der verstorbenen Frau ihres Onkels. Marie blieb betrachtend vor den beiden Bildern stehen.

„Welch’ schöne Frauen!“ sagte sie bewundernd. „Die Brünette mag wohl im Allgemeinen für die schönere gelten, für mich aber ist Ihre Mutter, Hanna, von welcher Sie die Augen und den Mund geerbt haben, die bei Weitem lieblichere und reizendere. Welch’ ein holdes Gesicht!“

„Und wenn Sie Beide gekannt hätten, dann würden Sie meiner Mutter auch den Preis der Liebenswürdigkeit zugestanden haben,“ entgegnete Hanna. „Man hat mir so viel Züge von Herzensgüte und Lieblichkeit von ihr erzählt, daß ich es wohl begreife, wie Jeder, der sie gekannt, mit Liebe und Bewunderung von ihr spricht. Selbst mein Onkel thut es – und er läßt sich in seinem Urtheil durch äußere Vorzüge sicherlich nicht bestechen. Ich habe gehört, daß seine ehelichen Erfahrungen ihm in dieser Beziehung jede Illusion geraubt haben.“

„Sie haben Ihre Tante nicht gekannt?“ fragte Marie leise.

„Nein, sie starb kurze Zeit vor meiner Geburt, nachdem sie die letzten sechs Jahre ihres Lebens in Meran verlebt hatte. Es muß eine unglückliche Ehe gewesen sein, denn mein Onkel trennte sich von ihr kaum zwei Jahre nach seiner Verheirathung.“

Es entstand eine Pause im Gespräch. Marie hätte gern die nähere Geschichte dieser Ehe erfahren, aber sie scheute sich, Hanna danach zu befragen. Doch fuhr diese nach einigen Minuten, als ob sie den Wunsch der Freundin errathen hätte, in ihrem Berichte fort.

„Ich glaube, sie haben sich geheirathet, ohne sich recht gekannt zu haben,“ sagte sie. „Meinen Onkel mag ihre Schönheit und Lebhaftigkeit angezogen und die Bewunderung, welche sie überall erregte, geblendet haben. Dazu war sie aus einem angesehenen Hause – eine Verwandte der Contagnes – und er war erst wenige Jahre hier ansässig und wünschte vermuthlich, festen Fuß in der Gegend zu fassen. Sie aber war arm und durch das Leben in dem Hause ihrer reichen Verwandten dennoch an Vergnügen und Genüsse gewöhnt. Der Antrag meines Onkels, der damals schon sehr wohlhabend war, und dessen Intelligenz und Geschäftskenntniß den nachmals erworbenen Reichthum vorhersehen ließen, bot ihr die Möglichkeit, das gewohnte glänzende Leben fortzusetzen. – Beide sind schnell genug inne geworden, wie wenig Sympathie sie verband, wie wenig Uebereinstimmung in ihren Lebensansichten herrschte.“

„Und dennoch ist es kaum zu begreifen, Hanna, wie dieser Mangel bereits nach zwei Jahren eine Trennung nothwendig machen konnte. Ich sollte denken, daß bei einigem guten Willen auf beiden Seiten solche Gegensätze sich mit der Zeit ausgleichen müßten.“

„Wohl – aber bei meinem Onkel mag dieser gute Wille theilweise durch eine Entdeckung aufgehoben worden sein, die er schon im ersten Jahre seiner Ehe gemacht haben soll. Er hatte durch unwiderlegliche Beweise erfahren, daß seine Gattin ihn nicht nur ohne Liebe – nur um seines Vermögens willen – geheirathet, sondern daß sie bereits seit längerer Zeit ihre Neigung einem anderen Manne geschenkt und ihre Hand ihm zugesagt hatte. Da dieser Mann ihr aber weniger Vortheile zu bieten hatte, so mußte er der besseren Partie weichen.“

„O, abscheulich!“ sagte Marie.

„Und dennoch – so hat mir Fräulein Sidonie von Contagne erzählt – hat er damals noch an keine Trennung gedacht, obgleich die Hast, mit welcher seine Gattin dem Genusse nachjagte, ihre Sucht nach Aufregung jeder Art, ihm jedes Behagen im Hause raubte. Er hat tapfer und ohne Klage das getragen, was er nicht ändern konnte. Erst als der Mann, den seine Gattin geliebt hatte, nach mehrjähriger Abwesenheit wieder zurückkehrte, und er die Entdeckung machte, daß diese Liebe sich von Neuem belebte, daß hinter seinem Rücken Briefe gewechselt und Verabredungen getroffen wurden – erst da bestand er auf eine Trennung. Er setzte ihr unter der Bedingung, fern von ihm zu leben, ein reiches Jahrgeld aus und hat sie bis zu ihrem Tode nicht wiedergesehen.“

„Das ist eine traurige Geschichte, Hanna,“ sagte Marie.

„Sehr traurig, und besonders in ihrer Wirkung auf den Onkel. Vierundzwanzig Jahre hat er jetzt einsam gelebt, verbittert durch die Erfahrungen, die er gemacht, grollend dem ganzen Geschlechte, dem diejenige angehörte, welche sein Vertrauen getäuscht. Sein Glaube an den Werth der Frau war ganz erschüttert, seine Verachtung des schwachen Geschlechts so groß, daß er lange Jahre jeden Umgang mied, der ihn mit Frauen zusammenführen konnte. Aber die Rauhheit seiner Manieren, die eine natürliche Folge seiner Absonderung ist, hat seiner Herzensgüte keinen Eintrag thun können. Ich wenigstens habe schon vielfach die Erfahrung gemacht, daß ihm zwar mitunter das Geschick, nie aber der Wille fehlt, Freude und Glück um sich zu verbreiten.“

Marie hatte schweigend dagestanden, die Augen auf das Bild der Frau gerichtet, die so glücklich hätte sein können und durch eigene Schuld so elend und einsam geworden war. Sie fühlte ein tiefes Mitleid mit dem Manne, mit dessen Lebensglück so frivol gespielt worden war. Ein Gefühl der Reue darüber, daß sie ihm so oft herbe und unfreundlich begegnet war, überkam sie. Und dennoch, trotz der vielfachen kleinen Kränkungen, die sie in augenblicklicher Ungeduld ihm zugefügt, hatte er so großmüthig gegen sie gehandelt. Sie senkte das Haupt; sie fühlte, daß eine unbesiegbare Rührung sie übermannen wollte.

„Ich habe oft gedacht,“ fuhr Hanna fort, während sie es discret vermied, in Mariens Gesicht zu blicken, auf welchem Ausdruck und Farbe schnell wechselten, „ich habe oft gedacht, daß es einer Frau, die mein Onkel hoch achtete, und zu welcher er unbedingtes Vertrauen haben könnte, nicht schwer sein würde, ihn glücklich zu machen und selbst glücklich zu sein. Es liegt so viel Güte und Großmuth in seiner Natur. Und wenn es wahr ist, daß man einen Menschen am richtigsten beurtheilen lernt, wenn man ihn in seinem Hause und im Verkehre mit seinen Untergebenen sieht, dann muß man eine hohe Meinung von dem Werthe seines Charakters bekommen. Er ist ein gütiger Herr, der sorgsam um das Wohl seiner Dienerschaft bemüht ist. Man merkt schnell, daß er wünscht, es möge Jedem in seinem Hause wohl sein. Aber – Marie – Sie zürnen mir doch nicht, daß ich so spreche?“

„O liebes Kind, wie könnte ich das! Sprich weiter – ich höre gern das Lob eines Freundes.“

„Wenn Du mich ‚Kind‘ nennst, so mußt Du es Dir gefallen lassen, mein Mütterchen zu sein. Darf ich Dich so nennen – bist Du es zufrieden?“

„Von Herzen! Ich bin schon Mütterchen genannt worden, als ich noch lange nicht so alt war, wie Du jetzt. Und der Sohn, den ich in Liebe und Sorge aufgezogen habe, soll seine Rechte jetzt an Dich abtreten. Mir ahnt es, daß ich ihn verlieren werde an Eine, deren Liebe ihm mehr gilt, als die meine. Eine Mutter kann sich nicht frühe genug an das Entsagen gewöhnen; ich fürchte, daß ich diese Erfahrung über kurz oder lang auch durch Dich bestätigt finden werde. Der Mann aber, dem ich Dich einst abtrete, muß ein ganzer Mann sein. Nur der Beste wird Gnade vor meinen Augen finden.“

„Mache Dir keine Sorgen, Mütterchen! Die Gefahr, mich zu verlieren, ist nicht groß. Wünschest Du, daß ich einen Pact mit Dir schließe, gar nicht zu heirathen? Ich bin bereit dazu.“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_788.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)