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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Wohnsitz in Berlin, wurde bald eine der populärsten Gestalten und schon am 10. November 1850 Ehrenbürger der Hauptstadt. Ob er zu Rosse, courbettirend und coquettirend, rechts und links mit leichter Bewegung Handküsse nach den Fenstern hinaufsendend, wo eine Gardine gelüpft und ein schönes Antlitz sichtbar ward, die Linden entlang ritt, oft bei Winterskälte ohne Mantel, die Steigbügel vor sich über den Sattelknopf gelegt, ob er, umlärmt und umschwärmt von einem Troß lustiger Knaben, bei dem Concerte der Schnarren, Waldteufel und sonstigen Instrumente des Kinderorchesters, über den Weihnachtsmarkt schritt, hier und da vor einer Groschenbude stehen bleibend und Geschenke unter die Jugend austheilend, ob er endlich, behelmten Hauptes, den Schleppsäbel unter dem Arme, mit hochaufgesetztem Schnurrbart sich im Dienstschritt als Führer einer Deputation zur officiellen Begrüßung nach dem königlichen oder einem prinzlichen Palais begab, – immer blickte man ihm gerne nach; man sah in ihm eine Reliquie aus der alten Ruhmeszeit der Freiheitskriege, und man verzieh es ihm, wenn er sich mit seinen altpreußischen Ueberlieferungen in die neue Zeit und ihre Anfordernden nicht hineinzufinden vermochte.

Man würde aber irren, wenn man annehmen wollte, daß Wrangel als ein alter Haudegen nicht vollständig auf dem Bildungsgrad seiner Zeit gestanden hätte, oder wenn man seine Verwechselung des Mir- und Mich-Falles auf eine Lücke in seiner Schulbildung zurückführen wollte. Es ist schwer zu ergründen, wie und nach welchen Gesetzen Wrangel sich seine Grammatik gebildet, er wandte dieselbe jedoch nur in der Umgangssprache, nicht in Schriftstücken an, in denen er sich vielmehr durchaus correct und sachgemäß auszudrücken wußte. Vielleicht war es nur eine Angewohnheit, die ihm täglich bequemer ward, sodaß er sie nicht mehr ablegen mochte. Seine Aussprache hatte übrigens mehr von der breiten Königsberger Mundart, als von dem „jebildeten Berliner Deutsch“ an sich.

Verfasser dieses hatte einmal dem General von Wrangel ein Gedicht vorzulesen, in welchem er selbst redend vorkam und zwar mit der von ihm im Gespräche so häufig angewandten Redensart: „Verstehen Sie mir?“ – An der betreffenden Stelle stutzte Wrangel und sah den Vorleser fragend an: „Mir? Ist denn das richtig?“

„Richtig wohl gerade nicht, Excellenz, aber es ist doch einmal so populär. Soll ich es ändern?“

„Ne, wenn es populär ist, denn ist es gut, denn lassen Sie es man stehn! Verstehn Sie mir?“

Rührend war es, als er bei dem Dienstjubiläum des alten würdigen General von Möllendorff seiner officiellen Beglückwünschung im Namen des versammelten Officiercorps der Berliner Garnison noch die Worte hinzufügte: „Und nun noch eine Bitte, alter Möllendorff, die mir persönlich betrifft! Nenne mir von jetzt an Dir!“

Bei seinem sechszigjährigen Jubiläum (15. August 1856) wurde Wrangel zum Generalfeldmarschall ernannt und erhielt einige Zeit darauf, am Jahrestage von Heilsberg, bei der Einweihung des Lestocq-Denkmals auf dem Schlachtfelde von Preußisch-Eylau, vom Könige einen Feldmarschallstab, welcher genau nach demjenigen angefertigt worden, den der Große Kurfürst seiner Zeit getragen hatte.

Durch seine Stellung als ältester Officier der Armee kam Wrangel öfters in die Lage, vom Könige mit der Einleitung und Führung von Angelegenheiten betraut zu werden, welche das gesammte Officiercorps der Armee betrafen. Eine solche war die Ueberreichung einer Ehrengabe an Seine Königliche Hoheit den Prinzen von Preußen aus Veranlassung seines fünfzigjährigen Dienstjubiläums (1. Januar 1857). Die Gabe bestand in einem silbernen, mit Gold ausgelegten Schilde, welcher einen kurzen, kernigen Spruch als Rundschrift am Rande tragen sollte. Die dem Könige von den Generalen für diesen Zweck vorgeschlagenen Sprüche hatten seinen Beifall nicht erlangt; vielmehr ertheilte dieser dem Feldmarschall von Wrangel den Auftrag, sich deshalb an die jüngeren Officiere zu wenden, unter welchen ja auch einige eine poetische Ader hätten. So kam denn an einen dieser letzteren – wir wollen ihn hier „Willamow“ nennen – der Befehl, sich in den Vormittagsstunden eines der nächsten Tage bei dem Generalfeldmarschall von Wrangel einzufinden.

Eine derartige Bestellung zum Oberbefehlshaber in den Marken hatte immer etwas Verfängliches, denn ein junger Officier der Berliner Garnison hatte selten ein ganz reines Gewissen. Da konnt’ er vielleicht bei dem Rondengange eine Wache zu revidiren unterlassen haben, oder er konnte versäumt haben, als Wachthabender der Brandenburger Thorwache (diese wurde damals noch von einem Officier befehligt) bei Nacht zur Ablösung in’s Gewehr zu treten, während gerade der Feldmarschall vorübergegangen war, – aber nichts von alledem traf zu, und die ganze Form der Bestellung ließ hoffen, daß es sich dieses Mal nicht um ein derartiges Staatsverbrechen handelte. Um so größer die Spannung!

Am nächsten Morgen schon ließ sich Willamow beim Feldmarschall anmelden und wurde sogleich in sein Arbeitszimmer geführt. Wrangel forderte ihn auf, ihm gegenüber auf einem Sessel Platz zu nehmen, und machte ihn in kurzen Worten mit dem Gegenstande bekannt, um den es sich handelte, wobei er einen Bogen Papier in der Hand hielt und von Zeit zu Zeit hineinsah. Wir müssen hier einschalten, daß Wrangel in der vertraulichen Unterhaltung mit einem jungen Cameraden, dem er wohlwollte, nicht allein die Casus, sondern auch die Personen mitunter verwechselte und ihn rundweg mit dem väterlichen „Du“ oder „Dir“ anredete.

„Siehst Du, mein Junge,“ sagte Wrangel zu Willamow, indem er auf das Papier in seiner Hand zeigte, „dies ist ganz in dem Sinne, wie Seine Majestät der König es meint. Es ist nämlich von mir selbst aufgesetzt, und es fehlen nur noch die Reime. Verstehn Sie mir?“ –

„Alles abgezählt und gerichtet! Das Metrum stimmt; es sind nur noch die Reime anzuhängen,“ fuhr er nach einer Pause fort, während welcher der junge Officier einen Blick in das Blatt warf.

Die von Wrangel's Hand darauf geschriebenen Zeilen lauteten:

„Hast Du erspäht den Feind,
Dann wäge nicht, dann drauf!
Und Dein ist der Sieg, hast
Du im Herzen Gott den Herrn!“[1]

„Euer Excellenz wollen verzeihen – –“ hub Willamow schüchtern an.

„Weiß schon!“ unterbrach ihn Wrangel. „Die letzte Strophe hat einen Versfuß zu viel; das muß mit den Reimen abgeschliffen werden.“


Willamow wollte noch etwas erwidern, aber er merkte, daß eine Einwendung nicht gern gehört wurde. Wrangel war inzwischen aufgestanden, schob ihm das Papier in die Hand und streichelte ihm freundlich die Backe mit den Worten: „Nu geh, mein Junge, und dichte vor Deinem König!“ –

Die Worte stehen lassen und nur Reime anhängen – das war eine Aufgabe, für die Willamow’s poetische Ader nicht ausreichte. Namentlich genirte ihn das Wort „Drauf“, auf welches Wrangel ein besonderes Gewicht zu legen schien. Er half sich indessen, indem er verschiedene Variationen nach dem gegebenen Thema componirte; in einigen kam das „Drauf“ vor, in anderen nicht. So mit einer ganzen Anzahl von Schildsprüchen ausgerüstet, ließ er sich an einem der nächsten Vormittage wieder bei dem Feldmarschall anmelden. Dieser empfing ihn auf das Freundlichste und forderte ihn sogleich auf, seine Verse vorzulesen.

Willamow begann:

„Zum Schild den Schaft,
Zum Muth die Kraft,
Zum Wort die That,
Dann wird uns Rath.“

Wrangel nickte, schien aber nicht eben ganz befriedigt; denn er horchte auf, als ob er etwas Besseres erwartete.

Willamow fuhr fort:

„Zu Schirm und Schutz,
Zu That und Trutz,
Zu Sieg im Streit
Von Gott geweiht!“

„Das ist Alles ganz gut,“ sagte Wrangel. „Sie haben sich aber nicht am Thema gehalten; Ihre Verse sind zu frei.“

  1. Das Blatt mit dem originellen Spruche von der Handschrift des alten Wrangel hat der Verfasser als ein ihm sehr werthvolles Document aufbewahrt und der Redaction der Gartenlaube zur Einsicht mitgetheilt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_792.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)