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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Es sei mir gestattet, hier an der Hand meines spiritistischen Mentors eine Erklärung des Wesens und Standes des gegenwärtigen Verkehrs mit Geistern einzuschalten.

Um einen Geist aus jenem Lande, von welchem Hamlet fälschlich sagt: „aus dess’ Bezirk kein Wandrer wiederkehrt“, auf diese Erde zurückzurufen, dazu bedarf es nach dem gegenwärtigen Stand der „spiritistischen Wissenschaft“ eines Mediums. Dieses Medium soll ein besonders sensitives Wesen sein, welches eine starke Aura besitzt, das heißt, eine Art geistigen Fluidums. Diese das Medium umgebende Aura dient nun dem Geist als Brücke, um nach Belieben in die reale Welt zurückkehren zu können. Die Art aber, wie die Geister dann durch die Person des Mediums mit uns Sterblichen verkehren, ist eine grundverschiedene. Die Medien zerfallen in Schreibmedien, Sprechmedien, Heilmedien und Medien für Materialisation.

Das Schreibmedium vermittelt nur die Depeschen des Geistes, dadurch, daß es der Geisterhand eine Tafel und ein Stückchen Griffel präsentirt. Wie Jehova auf die Gesetzestafeln seines Dieners Moses, so schreibt der Geist hier seine Offenbarungen auf die Schiefertafel des Mediums.

Das Sprechmedium macht sich direct zum Organe des Geistes, und was dieser ihm eingiebt, das spricht es im somnambulen Zustande nach.

Das Heilmedium gehört zur Rettungsabtheilung einer wohlmeinenden Geisterwelt. Will ein Geist sich seiner bedienen, so jagt er es durch lebhafte Träume aus dem Schlafe, raunt ihm zu, sich hastig in die Kleider zu werfen und irgend einen bereitstehenden Eisenbahnzug zu besteigen. Das Medium gehorcht blindlings und wird von der rollenden Locomotive über Ströme, Ebenen und durch Bergschluchten geführt. Mit einem Male ruft der Geist ihm zu: „Steige aus!“ Das Medium gehorcht und wandert, von Geisterhand geführt, durch eine fremde Stadt. Endlich sieht es ein matt erleuchtetes Fenster vor sich, betritt ein fremdes Haus und findet einen Kranken, der in den letzten Zügen liegt. Unser Medium rettet den Sterbenden durch Händeauflegen und eilt bei anbrechendem Morgen nach dem Stationsgebäude, um sich ein Retourbillet in die Heimath zu kaufen.

Ich halte diesen Geisterdienst für den aufreibendsten, allein den gefahrvollsten Liebesdienst muthet der Geist dem Medium für Materialisation zu. Dieses leiht nämlich im Stadium völliger Bewußtlosigkeit dem Geiste so viel von seinem Fleische und Blute, daß derselbe im Stande ist, sich eine persönliche Erscheinung zu bilden. Das Medium für Materialisation ist demnach der Körperverleiher der Geisterwelt. Solch ein materialisirter Geist aber ist in hohem Grade lichtscheu; er zeigt sich den Blicken der Sterblichen nur beim matten Scheine einer Magnesiumflamme. Allen Skeptikern sollte dieser Geist ein Noli me tangere! zurufen; denn die schaudervollsten Erfahrungen belehren uns, daß er nicht angetastet werden darf. Böse Zweifler versuchten es bisweilen, die Geistererscheinung zu umfassen; jene entschwand wie zerrinnender Nebel, das arme Medium aber fand man nachher in seinem Blute schwimmend. Die Erklärung für diese entsetzliche Erscheinung liegt auf der Hand. Der Geist wurde verscheucht, ehe er Zeit gewann, seinem Medium die erborgte Materie zurückzustellen.

Diesen Mittheilungen meines spiritistischen Mentors folgte sein Bekenntniß, wie er gläubig wurde. Herr L. befand sich auf einer Geschäftsreise in Boston, als ihm seine in Deutschland weilende Gattin die kurzgefaßte Nachricht sandte: „Unser Sohn wurde auf der Jagd erschossen. Ausführliche Mittheilungen folgen, sobald ich meine Fassung wiedergewonnen.“

Der tiefgebeugte Vater ging sofort zu einem Medium und ließ den Geist des Sohnes citiren. Dieser kam, erzählte sein trauriges Schicksal in der genauesten Weise und flehte den Vater an, er möge es doch ja hindern, daß seine Mutter nicht gegen seinen Jagdgefährten klagbar werde, den man fälschlich in den Verdacht bringe, ihn ermordet zu haben. L. versprach dies und bat den Geist seines Sohnes, er möge ihm doch seine Photographie hinterlassen. Und der Sohn sprach: „Geh’ hin zum Geisterphotographen Mumel in Boston! Der mag mich zum letzten Male photographiren.“

Mumel versuchte das gewünschte Experiment dreimal, und beim dritten Male sah man auf der Platte das Bild des Vaters, hinter demselben aber die Erscheinung des Sohnes, welcher seine Geisterhände um den Hals des Vaters schlang.

Als ich meiner Verwunderung über die Einmischung der Geister in eine rein technische Manipulation den bescheidensten Ausdruck gab, wartete mir Herr L. noch mit einem weit überraschenderen Geisterexperiment auf.

Mr. Child, das längst dahingeschiedene Haupt der Spiritistengemeinde zu Philadelphia, verkehrte als Chemiker mit Vorliebe in den Kreisen seiner noch lebenden Fachgenossen. Eines Tages beantwortete sein Geist durch ein Schreibmedium einige wissenschaftliche Fragen, welche ein New-Yorker College im Interesse der organischen Chemie an ihn stellte. Während dies geschah, schrieb Child’s Geisterhand: „Damit Du siehst, daß wir im Jenseits doch ein wenig weiter in der Chemie vorgeschritten sind, als Ihr armen Sterblichen, schreibe ich von nun ab mit rother Kreide.“ Und siehe da, von dem Worte Kreide ab wurde die Schrift roth.

Auch ich mußte vor innerer Lachlust roth geworden sein, allein es gelang mir, meine Fassung zu behaupten. Herr L. schlug sein Geisteralbum auf, welches die Portraits von etwa zweihundert Geistern enthielt. Am weitesten vorgeschritten in der Anfertigung von Geisterphotographien ist der Bostoner Mumel. Bei ihm erscheint das Bild des Geistes wie ein Nebelbild. Es zeigt nur die äußeren Contouren der Erscheinung. Mumel’s Geister legen mit Vorliebe ihre Hände um das Haupt der Person, welche sich photographiren ließ, um ein Geisterbild zu erhalten.

Die Geister weiblichen Geschlechts erscheinen zumeist in der Gestalt der wahnsinnigen Ophelia. Den Photographien amerikanischer Mediums ist in der Regel ein theatralisch aufgeputzter Indianer als Geist mitgegeben. Indianer sollen nach spiritischer Erfahrung eine sehr starke Aura besitzen. Eine Dame, welche den Geist Beethoven’s beschwor, erhielt das Bild eines Geistes, den ich eher für Benjamin Franklin halten würde, doch wer weiß, wie sehr sich die Gesichtszüge einer Person im Jenseits verändern können. Eine Photographie Mumel’s machte den rührendsten Eindruck. Eine alte Großmutter hatte die Photographie ihres dahingeschiedenen Enkelkindes verlangt. Mumel ließ die alte Frau während der Aufnahme die Arme öffnen und fertigte ein Bild an, welches die Figur eines Kindes auf dem Schooß der Großmutter zeigt. Die Alte war so gerührt bei der Handlung, daß uns das Bild die Thränen zeigt, welche der gläubigen Frau über die Wangen flossen.

Auch die Frau des ehrlichen Präsidenten Lincoln, welche bekanntlich einmal an Geistesstörung litt, sehen wir auf einer Mumel’schen Geisterphotographie. Hinter der Dame erhebt sich der Schatten Lincoln’s, welcher klar ersichtlich von einem recht schlechten Oelbilde stammt.

Die Geisterdarstellung beschränkt sich aber schon lange nicht mehr auf das Lichtbild; wir haben bereits einen plastischen Zweig dieser Kunst. Der Pariser Spiritist Graf Bullet engagirte ein amerikanisches Medium für Materialisation – sein Name ist Firman – um den intimsten Verkehr mit der Geisterwelt herzustellen. Bullet zahlt seinem Medium einen Jahresgehalt von zwölftausend Franken und dafür liefert ihm dieser Geisterbüsten. Firman drückt den materialisirten Geist mit dem Operkörper in einen Kessel mit weichem Paraffin; das Paraffin erstarrt, während der Geist sich entmaterialisirt, und wir erhalten die genaue Form des Geistes. –

Wenn der Leser bei diesen Mittheilungen sich sagt: „Aber das ist ja alles der haarsträubendste Blödsinn,“ so ergeht es ihm genau so wie mir, allein ich durfte es nicht aussprechen, denn vor mir saß ein Mann, der an all diese Dinge fest zu glauben schien und der mich mit Mr. Slade, dem Schreibmedium, sofort bekannt zu machen versprach, sobald derselbe angekommen sein würde.

Mr. Slade langte am 1. November in Berlin an, allein sonderbarer Weise blieb bei mir die Einladung seitens des Herrn L. aus. Es verstrich der zweite, dritte und vierte Tag des Monats, ohne daß mein Cicerone zur Geisterwelt von sich hören ließ. Jetzt fiel mir etwas ein, was mich besorgt machte. Am Tage, da Herr L. mir sein Album brachte, behandelte mich derselbe höchst zutraulich, bis ich ihn fragte, ob ich das Album meiner im Schlafzimmer befindlichen Frau zeigen dürfe. Als ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_794.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)