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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


zurückkehrte, schien Herr L. sichtlich verstimmt und erkältet zu sein und nahm in hastiger Weise seinen Abschied. Jetzt entsann ich mich, daß ich auf der Schwelle des Schlafzimmers meine Frau, welche den Namen Anna trug, mit dem traulicheren Hans angeredet hatte. Vielleicht argwöhnte Herr L., ich halte einen Mann im Nebenzimmer versteckt und es werde ein Complot gegen das spiritistische Unternehmen geplant.

Wie dem nun sei, ich war entschlossen, ein Wort mit diesem Geistermedium zu sprechen und fuhr direct nach dem Hôtel des Mr. Slade, das ich von Potsdamer Spiritisten umlagert fand. Herr L. befand sich im Allerheiligsten, und ich wurde im Conversationszimmer zuvörderst von den Begleitern des Mediums, zwei schönen jungen Damen und Herrn Simmons, empfangen. Die Damen lasen, wie es schien, eine interessante Novelle, und Herr Simmons verwickelte mich in ein Gespräch, wobei es mir nicht entging, daß die vier Augen der amerikanischen Schönen mich mit Aufmerksamkeit musterten. Später traten Herr L. und das Medium ein. Der Erstere schien bei meinem Anblick sehr betreten zu sein; vielleicht dachte er bei sich: „Den Geist der ‚Gartenlaube‘, den ich rief, ich werd’ ihn nicht mehr los.“ Als er endlich einige Worte der Begrüßung hervorbrachte, sah ich, wie das Medium rasch mit seiner Schwester Blicke austauschte. Letztere neigte dabei kaum merklich den Kopf. Die graziöse Dame hielt mich für ungefährlich, und ihr Bruder war sofort geneigt, mir eine Sitzung zu bewilligen. Vorerst gab Herr L. betreffs seines fragwürdigen Schweigens die unzulängliche Erklärung ab, Mr. Slade habe auf der Reise von Kopenhagen nach dem deutschen Hafen sehr an der Seekrankheit gelitten und seine Aura sei in den ersten Tagen zu schwach gewesen. „Seltsam!“ erwiderte ich, „sie war doch stark genug, um dem Redacteur der ‚Germania‘ einige Geister vorzuführen.“

Der Eintritt des Leipziger Spiritisten Dr. W.(ittich) und des Präsidenten des Potsdamer Spiritistenclubs schnitt unsere Unterhaltung kurz ab. Mr. Slade erklärte sich bereit, mir und Dr. W. eine Geistersitzung bewilligen zu wollen, und führte uns in sein Schlafgemach. Hier stand ein einfacher Spieltisch mitten im Zimmer. Auf diesen Tisch, der oben und unten eine glatte Fläche zeigte, stellte er eine Kerze und hieß uns Platz nehmen. Hierbei bestand er darauf, daß ich an seiner Seite sitzen solle.

Bevor Mr. Slade die Geister rief, hielt er mir einen kleinen Speech, worin er sich als Märtyrer einer guten Sache erklärte, an welche er so fest glaube, wie an das Dasein Gottes. Er versprach auszuharren bis an’s Ende und zu dulden für seine spiritistische Mission.

Während dieser Vorrede hatte ich Zeit, den Mann genau zu mustern. Es ist eine höchst interessante Männererscheinung. Man denke sich auf einer mittelgroßen, erstaunlich breit ausgelegten Figur einen feingeschnittenen Kopf mit krausem Haar und langem, vollem Schnurrbart. Das Gesicht zeigt eine geisterhafte Blässe, und mit dieser contrastirt seltsam ein von kühn gezogenen Brauen überwölbtes, sanftes, glänzendes Augenpaar. Der Mann hatte die bescheidene Sprache und das naive Lächeln eines Kindes, und auch damit stand die herculische Gestalt in Widerspruch, wie die energische Form des Kopfes.

Mr. Slade rief den Geist und dieser zeigte durch dreimaliges Klopfen gegen den Fuß des Tisches an, daß er zu sprechen sei. Hierauf hielt Mr. Slade eine einfache Schiefertafel mit Holzrand, auf welche er ein ganz winziges Stückchen Griffel legte, unter die Tischplatte und die Geisterhand begann aus freier Initiative zu schreiben. Man hörte deutlich das Kratzen des Griffels, nichts war unter der Tafel, als die Hand des Mediums, nichts über ihr, als die Tischplatte. Mit flüchtiger Schrift stand auf der Tafel: „I will answer“ („Ich will antworten“). Hierauf hielten wir alle Drei die Tafel, welche Mr. Slade, während eines eifrigen Gesprächs, mit einer zweiten bedeckte, frei in die Luft und der von Geisterhand bewegte Griffel schrieb lange; er beschrieb die ganze Tafel. Hierbei war es seltsam, daß das Schreiben aufhörte, sobald das Medium seine Hand von der Tafel wegzog. Als wir die obere Tafel entfernten, war die ganze Seite mit Sätzen in deutscher, dänischer und französischer Schrift bedeckt.

Dr. W. gerieth bei diesem Anblicke in Ekstase, und das Medium begann allerlei Geisterspuk zu produciren; bald betastete er den Oberschenkel meines linken Beines, bald ließ er die Tafel unter dem Tische herumfahren, bald gab er dem Stuhle einen Tritt, auf welchem er Geisterhände zu sehen vorgab. Während mein deutscher Nachbar darüber in eine Art Verzückung gerieth, las ich die spiritistischen Mittheilungen; sie lauteten: „Wir finden, was wir suchen. Der geschickteste Mann wird gelobt und der Ungerechte getadelt.“ Ein zweiter Spruch lautete: „Und Jesus antwortete ihnen: der Gott, den Ihr glaubet, ist der, welcher mich gesandt hat.“

„Mr. Slade,“ sagte ich, „es braucht kein Geist vom Grabe herzukommen, um solche längst bekannte Sentenzen und Bibelsprüche niederzuschreiben. Weiß Ihr Geist nichts Besseres, so kann er schlafen gehen, weiß er aber mehr als wir, so antworte er mir auf die einfache Frage: Lebt meine Schwester?“

Hierauf erwiderte das Medium mit unbefangenem Lächeln: „Ich bin nur ein einfacher Zuschauer, und es hängt vom Geiste ab, ob er antworten will. Versuchen wir's!“

Diesmal legte wir Slade die Tafel auf den Kopf und der Griffel schrieb: „I can't inform You now“ („Ich kann Ihnen jetzt keine Mittheilung machen“).

„Kann er uns nicht jetzt darüber unterrichten,“ sagte ich lächelnd, „so wird er es später auch nicht können.“ – Wieder schrieb der Geist, und diesmal schützte er Müdigkeit vor. Mr. Slade erklärte, der Geist wolle noch den Tisch rücken. Wir legten die Hände auf, und der Tisch hob sich einen halben Fuß von der Erde. Ich erkannte hieraus, welch ein bärenstarker Mann dieses Medium war, denn während er mich ersuchte, meine Füße auf seinen rechten Fuß zu stellen, hob er den Tisch mit dem linken.

Als ich in das Conversationszimmer zurücktrat, hatte sich die Gesellschaft vermehrt, und ich hörte nur Ausrufe, wie: „Phänomenal! Wunderbar! Nun sollen uns die Materialisten, wie Helmholtz und Virchow, nur kommen!“ Die mit Bibelsprüchen bedeckte Tafel wurde sofort mit Glas eingerahmt.

Ich reichte Mr. Slade die Hand, welche dieser zärtlich mit seinen Händen umschloß. Diese Hände des Mediums oder vielmehr seine seltsamen langen Finger machten mich stutzig.

Auf dem Nachhausewege wurde es mir klar, daß das Schreiben der Geister ein ganz artiges und mit staunenswerthem Geschick ausgeführtes Taschenspielerkunststückchen sei. Ich ahnte die Lösung, allein ich mußte vollkommene Gewißheit haben.

Zu dem Ende schmiedete ich ein Complot. Meine Frau, die ein scharfes Auge besitzt, begab sich in Begleitung des Schauspielers Julius Ascher, welcher, wie kaum ein Anderer, den Naiven zu spielen vermag, und mit der Gattin desselben zum Medium, stellte sich als trauernde Wittwe vor und bat um eine Sitzung; dieselbe wurde sofort gewährt, und die beiden Frauen stellten bis zur Evidenz die geschickte Manipulation des Schreibmediums fest.

Das ganze Geheimniß beruht auf folgender Täuschung. Die kurzen, in flüchtigen Zügen hingeworfenen Antworten des Geistes schreibt Slade selbst, die vollbeschriebene Seite der Tafel, welche wir frei in der Hand halten, ist vorher beschrieben. Die letztere Schrift ist correct und sehr sauber, dabei in verschiedenen Sprachen gehalten. Die kurzen Sätze sind flüchtig, quer geschrieben und immer in englischer Sprache abgefaßt.

Wie aber schreibt Slade diese wenigen Worte? Mir fiel sofort auf, daß wir das Geräusch des Schreibens nur hörten, wenn der breite Daumen des Mediums sich auf dem obern Rand der Tafel befand, und daß Slade dem Geiste ein so winziges Griffelstückchen mit den Zähnen abbiß. Nun, der schlaue und geschickte Yankee schreibt die wenigen Worte mit dem langen Mittelfinger seiner Hand, wobei das Griffelstückchen in den langen Nagel gepreßt ist. Es gehört dazu eine große Gewandtheit und Uebung, die sich eben Slade zu eigen machte. Meine Frau beobachtete genau das, was ich sah, daß sich die Muskeln des Armes bewegten, so lange Slade schrieb.

Nun wird man einwenden: Ist denn bei der vollbeschriebenen Tafel das Geräusch etwa nicht hörbar, welches ein schreibender Griffel verursacht? Allerdings und dieses Geräusch bringt er mit dem Fingernagel hervor. Meine Alliirten sahen auf der Tischplatte den Schatten des sich bewegenden Fingers. Als der schlaue Yankee merkte, daß dieser ihn verrathe, zog er seine weite Manschette vor. Um sicher zu erfahren, ob die beschriebene Tafel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_795.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)