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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Schon früh um sieben Uhr hatte mich mein Zaptieh, der gern wieder nach Rackowitza zurück wollte, ermuntert, nach dem Gouvernementsgebäude zu gehen und meine Papiere zu überreichen. Nachdem ich in der Kanzlei eine Zeit lang geharrt, wurde ich über einen Hof und verschiedene Stiegen eines Seitengebäudes in das Vorzimmer des „Civil-Paschas“ geführt, wo ich einen höheren Officier in voller Gala (wie Osman Pascha es verlangt) antraf. Es war der Adjutant des Muschir, Generalstabs-Oberst Tahir Bey, ein feingebildeter Mann, der sich sogleich in französischer Sprache mit mir verständigte und das noch bevorstehende Erscheinen des Civil-Gouverneurs, an den mein Empfehlungsbrief adressirt war, ankündigte. Während wir uns im Vorsaal unterhielten, wurden aus den inneren Gemächern des Gouverneurs blaue Fauteuils und zuletzt ein thronartiger rother Lehnstuhl nach dem Audienzzimmer geschleppt, und nachdem dieser Empfangssaal entsprechend ausgestattet war, erschien auch der Gouverneur selbst, ein, wie gesagt, noch junger, jovial aussehender Gentleman in europäischer Tracht, etwas zur Wohlbeleibtheit geneigt und mit einem Klugheit und Sinnlichkeit ausdrückenden Gesicht, wie man es nicht selten in Mailand unter dem dunkelhaarigen, echt italischen Elemente der Bevölkerung trifft.

Sobald der Titular-Pascha Zeri-Effendi auf seinem Gouverneursthron Platz genommen hatte, stellten sich auch die Audienzgäste ein, welche sich insgesammt vor dem Würdenträger verbeugten und mit freundlicher Handbewegung zum Sitzen eingeladen wurden. Es waren da namentlich ein alter türkischer Geistlicher mit weißem Bart, dann einige Geschäftsleute aus der Stadt, die gerne abgezogen wären aus dem bombardirten Orte und doch Osman Paschas strenges Wort im Gedächtniß hatten: „Fortziehen könnt Ihr, aber herein lasse ich die Fortgezogenen nie wieder.“

Ob wohl der liebenswürdige junge Gouverneur von diesem strengen Feldherrnwort etwas für diese Leute abhandeln konnte, die vor der Wahl standen, ihre Häuser nie wieder zu sehen oder sich in denselben den tödtlichen Geschossen auszusetzen? – Auch der Correspondent des Londoner „Standard“, Mr. Fitzgerald, ein sehr germanisch aussehender, sympathischer Engländer im Fez, der zu seinem blonden Barte recht gut stand, stellte sich ein und brachte als Morgengruß dem Gouverneur und dem Generalstäbler die Botschaft, daß die Rumänen von einer Feldschanze unterhalb Kalafat soeben auf ein nach dem Lom abmarschirendes türkisches Bataillon geschossen, aber wenig Schaden angerichtet hätten. Die türkischen Herren nahmen die Sache mit Gleichmuth auf und ließen sich dadurch nicht im Genuß des trefflichen Kaffees stören, der, nebst feinen Cigaretten, auf Befehl des Gouverneurs den Anwesenden servirt wurde. Tahir Bey hatte in der Nähe Zeri-Effendi’s Platz genommen, um, da dieser kein Französisch verstand, ihm die Unterhaltung zu verdolmetschen. Außer dem goldgeschmückten Säbel und der flotten Uniform fiel an diesem trefflichen Officier noch ein Ausrüstungsstück durch seinen seltenen Glanz in die Augen, das ich bisher noch nirgends gesehen, nämlich ein Paar Bundschuhe mit goldenen Schnüren und vergoldeten Spitzen.

Kurz vorher hatte ich in einem Wiener Blatte eine boshafte Notiz gelesen über die „Krönungs-Opanken“ Carol’s von Rumänien, die schon bestellt seien, und hatte kaum eine bestimmte Idee gehabt, wie ein solches Prachtstück der Fußbekleidung wohl aussehen möge; jetzt sah ich etwas Aehnliches vor mir und konnte mir schon aus dieser Aehnlichkeit den Schluß ableiten, daß Osman Pascha selbst in der Ausrüstung seiner Officiere das Heimische dem Ausländischen vorzieht.

Die Conversation, welche französisch geführt und fortlaufend in’s Türkische übertragen wurde, bewegte sich auf dem Gebiete der politischen Ereignisse und Aussichten, und namentlich war es die Haltung Rumäniens, sowie der russische Plan einer Secundogenitur in Bulgarien, welche von den Türken mit herber Bitterkeit besprochen wurden. Endlich erhielt Tahir Bey den Auftrag, mich zu fragen, ob ich an den „allgemeinen Krieg“ glaube, was er aber etwas origineller Weise in die Worte kleidete: Croyez-vous à la guerre commune? Ich hätte ihm gern gesagt, daß ein allgemein gewordener Krieg (une guerre générale) aus manchem Gesichtspunkt auch ein recht communer Krieg genannt werden könnte, doch begnügte ich mich zu antworten, daß eine solche Eventualität keinenfalls schon sehr nahe zu sein scheine.

Der „Civil-Pascha“ gab dem Gespräche eine minder verfängliche Wendung, indem er mich fragen ließ, ob ich mit meiner Wohnung zufrieden sei, oder wünsche, daß er mir besseres Unterkommen verschaffe. Ich lehnte das letztere Anerbieten dankend ab, außer für den Fall, daß mir, auch ohne Ferman des Sultans, ein längerer Aufenthalt bei Osman Paschas Corps gestattet würde. Um hierüber in’s Klare zu kommen, begleitete mich der Stabsofficier nach dem Theile des Konak’s, wo der nachmals so genannte Löwe von Plewna hauste. Er hieß mich in einem Zimmer voll Officiere und Ordonnanzen eine lange Weile warten und kam mit der Meldung zurück, Seine Excellenz sei eben nicht zu sprechen und vermöge auch nicht länger als auf drei Tage den Aufenthalt in der Festung zu gestatten. – Osman Pascha war nämlich damals in gelinder Wuth gegen die Kriegscorrespondenten. Einer derselben hatte versprochen, ihm Generalstabskarten der nördlichen Türkei von Wien aus zu senden, und war für den ungeduldig harrenden Muschir mit der Erfüllung dieses Versprechens nun schon zu lange im Rückstande; daher wollte der rauhe Krieger von uns Federhelden vorerst nichts mehr wissen.

Ich trennte mich von dem liebenswürdigen Tahir Bey mit dem Bedauern, daß mir derselbe zu spät enthüllte, wie geläufig ihm, der in Wien auf der Generalstabsschule studirt hatte, das österreichische Idiom sei. „Also bis Montag in der Früh,“ sagte er, den Termin meiner Abreise in echt „weanerscher“ Ausdrucksweise bezeichnend. –

Schon am Nachmittage suchte ich den englischen Collegen auf, der ein türkisches Haus mit recht stattlicher Einrichtung bewohnte. Der nationale Theegenuß fehlte ihm auch hier nicht, und die über Mr. Fitzgerald’s Dach hinsausenden Krupp-Geschosse, welche rechts und links in die Häuser einschlugen, vermochten nicht den tüchtigen Publicisten von den ernsthaftesten nationalökonomischen Studien abzuhalten. Die steigende Einfuhr der englischen Manufacturen in die Donauländer hatte Mr. Fitzgerald in den Spalten seines Blattes ziffernmäßig nachgewiesen und so den Engländern gezeigt, daß ein Handelsinteresse auf dem Spiele stehe, wenn der russische Bär seine Tatzen auf die unteren Donauländer lege. – Ueber Mr. Gladstone sprach sich – als von Russenfreunden in England die Rede war – Mr. Fitzgerald dahin aus, daß der einstige Premier durch übermäßige geistige Anstrengung sich einem sehr bedenklichen geistigen Zustand genähert habe, und daß Gehirnleiden in der Familie Gladstone mehrfach vorgekommen seien.

Von den Theorien zur grauen, oft auch blutigen Wirklichkeit zurückkehrend, führte mich der englische Berufsgenosse in der Nachbarschaft seiner Behausung umher. Da war zunächst das Pulvermagazin, ein viereckiges, weißes Gebäude, welches durch den daneben stehenden Thurm den Artilleristen in Kalafat leicht bemerkbar sein muß und von ihnen auch hartnäckig, aber mit wenig Geschick auf’s Korn genommen wird. Die Häuser gegenüber und die Soldatenzelte vor dem Pulvermagazin hatten das Ungeschick zu büßen, indem die Projectile auf ihnen platzten. Uebrigens ist das genannte Magazin das einzige casemattirte Gebäude in der ganzen „Festung“ Widdin.

Zum Militärspital schreitend, zeigte mir Mr. Fitzgerald ein Loch in der Mauer eines Bäckerhauses. Ein Krupp’scher „Zuckerhut“ war da hinein gefahren und hatte sich in die volle Backtruhe eingewühlt: seltsame Rosine in einem Kuchenteig! Tragischer wirkte ein anderer Schuß. Ein Projectil prallte von einer Mauer zurück und schlug einer armen Frau beide Beine entzwei. Nun kam das Spital, ein langes, gelbangestrichenes Gebäude, auf dem eine vom Wetter stark vergilbte weiße Fahne mit dem rothen Halbmond in solcher Größe, daß sie in Kalafat wohl wahrgenommen werden konnte, aufgepflanzt worden war. Oberhalb eines der hohen Parterrefenster hatte ein rumänisches Geschoß von fünfzehn Centimeter Basis die Wand glatt durchgeschlagen (es war also direct gezielt, nicht fehlgeschossen) und, explodirend in dem dahinter liegenden Krankensaal mit sechszehn Betten, mehr als die Hälfte der armen Kranken getödtet oder schrecklich verstümmelt. Ali Effendi, der diensthabende Arzt, ein Schüler der Pariser Medicinschule, zeigte uns das Unglückszimmer, in welchem Dielen und Mauern durch die Eisenstücke zerrissen worden waren. Der Arzt schilderte die Schreckensscene, namentlich die Leiden eines Kranken, dem beide Beine zerschmettert wurden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_814.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)