Seite:Die Gartenlaube (1877) 820.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


brummend der schnell herbeigeeilten Dienerschaft zu, derselben die nöthigen Befehle zu geben. Und kaum hiemit fertig, hatte er die beiden Brüder zu empfangen, deren Wagen eben an der Freitreppe vorfuhr.




17.

„– – und Ihnen, als dem ältesten Bruder, wollte ich die Sache zuerst mittheilen. Ich würde mich freuen, lieber Freund, wenn Sie mich ebenso gern in Ihrer Familie aufnehmen möchten, wie ich gern in dieselbe eintrete.“

„Ich denke, darüber dürfen Sie keinen Zweifel hegen,“ entgegnete Max, die Hand seines künftigen Schwagers herzlich drückend. „Wie wir Beide mit einander stehen, wissen wir. Unsere Freundschaft kann durch ein verwandtschaftliches Verhältniß kaum noch vergrößert werden. Wie mich diese Nachricht erfreut! Ich hoffe – ja ich bin überzeugt, daß das eine glückliche Ehe werden wird.“

Die Männer standen sich im Arbeitszimmer Kayser’s, wohin dieser seinen Gast geführt hatte, gegenüber. Es waren nur wenige Worte zwischen ihnen gewechselt worden, aber die Beiden kannten sich genug, um den Werth und die Aufrichtigkeit derselben richtig ermessen zu können. Mit einem nochmaligen festen Händedruck hatten sie die Sache für erledigt und gingen zu anderen Angelegenheiten über.

„Es wird Sie freuen zu hören, daß Ihre Vermuthung sich bestätigt hat,“ sagte Max. „Nicht alle Arbeiter der Fabrik haben sich an dem nächtlichen Ueberfalle betheiligt. Die bessergesinnten haben sich zurückgehalten und mir bereits ihr Bedauern über das Geschehene ausgedrückt. Ich habe Hoffnung, mich mit ihnen zu verständigen.“

„Das freut mich – das freut mich aufrichtig. Der Schrecken dieser Nacht und die schweren Folgen derselben werden sie zur Besinnung bringen. Und wenn Sie, lieber Freund, daraus auch noch die Lehre ziehen möchten, das Rechte, was Sie unzweifelhaft stets zu thun beabsichtigen, mit etwas weniger soldatischer Kürze und Barschheit, mit etwas mehr hier zu Lande üblicher Behaglichkeit zu bewerkstelligen, dann zweifle ich nicht, daß ein ehrlicher, dauerhafter Friede zu Stande kommen wird, zum Gedeihen der Fabrik und aller daran Betheiligten.“

Max lächelte.

„Vielleicht finde ich noch ein wirksameres Mittel, die Leute zu überzeugen, daß mir ihr Wohl am Herzen liegt trotz der von Ihnen gerügten Rauhheit meines äußeren Wesens. Ich habe gute Nachrichten bekommen, Nachrichten, die meinem Fabrikate, statt des verlorenen Absatzes im Westen, einen Markt in Deutschland eröffnen. Ich habe Ihnen die betreffenden Briefe mitgebracht – wollen Sie Einsicht davon nehmen?“

„Ich gratulire, ich gratulire von Herzen,“ sagte Kayser, als er die Papiere wieder zusammenfaltete und sie seinem Gaste hinreichte. „Das sind in der That gute Nachrichten. Es gehört eben nicht viel Scharfblick dazu, Ihnen jetzt zu prophezeien, daß Sie binnen wenigen Jahren ein wohlhabender Mann sein werden.“

„Ich bin noch nicht zu Ende,“ entgegnete Max. „Ich habe außerdem Aussicht, die Lieferungen für das Armeecorps unserer Provinz zu erhalten, auch ist mir verbürgte Kunde zugegangen, daß noch anderweitige sehr umfassende Bestellungen mir zugedacht sind – kurz: ich bin jetzt wirklich nicht zu sanguinisch, wenn ich hoffe, daß die bösen Zeiten nun hinter mir liegen.“

„Ich darf Sie wohl nicht versichern, daß mich das freut, als ob es mich selbst beträfe“, sagte Kayser.

„Und,“ fuhr Max lächelnd fort, „da ich mich nun endlich als freier Mann fühlen kann, der aufgehört hat, ein Sclave der Nothwendigkeit zu sein und es sich gestatten darf, dem Wunsche seines Herzens zu folgen, so soll meine erste freie That dem Wohle meiner Arbeiter gelten. Sobald die Arbeiten in der Fabrik wieder beginnen, werde ich ihnen aus freiem Entschlusse die Zulage gewähren, die ich ihnen früher habe abschlagen müssen. Da die neuen Maschinen mir bedeutende Arbeitskräfte ersparen und die Einnahmen jetzt reichlicher fließen werden, kann ich’s, ohne meine Creditoren dadurch zu schädigen.“

„Daß Sie correct und rechtschaffen handeln, habe ich nie bezweifelt, lieber Freund,“ sagte Kayser warm. „Aber nicht nur jetzt eben sondern bereits heute Nacht haben Sie mir auch den Beweis geliefert, daß Sie ein humaner, warmherziger Mann sind. Das hat meine Achtung für Sie noch erhöht. Als ich Sie heute mit so recht menschlicher Sorge um die Verwundeten bemüht sah, ich habe mir das Wort gegeben, Sie mein Lebelang als einen theuern Freund zu ehren. Ich bitte Sie, mir oft Gelegenheit zu geben, Ihnen diese Freundschaft zu beweisen.“

„Das trifft sich gut,“ entgegnete Max, „denn hier stehe ich vor Ihnen mit einer Bitte auf den Lippen, von deren Gewährung mein Glück abhängt.“

Der bewegte Ton, in welchem er diese Worte sprach, und die erhöhte Farbe seines Gesichtes weckten in Kayser eine Ahnung über die Art des Anliegens, das sein Freund an ihn hatte; auch mochte gleichzeitig die Erinnerung an die stürmische Scene, die er eben mit Paula gehabt, in ihm aufleben. Er fühlte sich einer kleinen Indiscretion gegen Max schuldig, denn er hatte sich zu Andeutungen und Winken herbeigelassen, zu welchen er nicht autorisirt worden war. Und da er auch ihm gegenüber die Erlangung der reichen Erbin als eine lediglich in seine eigene Wahl gestellte Sache dargestellt hatte, so wurde er mit Unbehagen die schwierige Lage inne, in welche er sich gebracht.

„Mein lieber Junge,“ sagte er, indem er mit beiden Händen beschwichtigende und abwehrende Bewegungen machte, „lassen Sie sich rathen: geben Sie die Sache auf! Sie sorgen am besten für Ihr Glück, wenn Sie sich den Gedanken ganz aus dem Kopfe schlagen.“

„Das kann Ihr Ernst nicht sein. Sie selbst haben mir eben erst den Beweis geliefert –“

„Aber ich bitte Sie, das ist ja eine völlig andere Sache,“ fiel ihm Kayser in’s Wort. „Sie können doch keinen Vergleich anstellen wollen zwischen ihr und Marie? Wenn es sich um eine zweite Marie handelte, dann wäre Ihr Wunsch durchaus gerechtfertigt – aber –“

„Verzeihen Sie!“ sagte Max lächelnd, „mein Wunsch ist unter allen Umständen gerechtfertigt. Setzen Sie den Fall, daß die Erwählte meines Herzens meinen Geschmack ebenso befriedigt, wie Marie den Ihrigen! Sollten Sie vielleicht anderweitige Absichten haben – sollte ich zu spät kommen?“

„O nein, durchaus nicht!“ sagte Kayser, seine beiden Hände auf Maxens Schultern legend und ihm eindringlich in’s Gesicht schauend. „Mir persönlich wäre es sehr lieb. Aber lassen Sie sich sagen, mein Junge: es ist nichts mit der Sache. Denken Sie nicht weiter daran!“

„Sie werden entschuldigen, wenn ich dieses seltsame Verlangen nicht erfülle,“ sagte Max ernster als bisher. „Darf ich annehmen, daß ich Ihre Einwilligung habe, meine Sache bei der jungen Dame persönlich zu führen?“

„Da haben wir wieder den alten preußischen Trotzkopf, der sich nicht rathen, nicht leiten läßt. – Es wird Ihnen leid thun, mir nicht gefolgt zu sein.“

„Ich bitte dringend um Ihre Entscheidung, lieber Freund.“

„So gehen Sie hin, wenn Sie es nicht besser haben wollen! Aber ich rathe Ihnen, nehmen Sie Ihre Augen in Acht!“

Max, welcher sich bereits der Thür zugewandt hatte, blieb stehen und schaute dem Sprechenden mit erstauntem Lächeln in’s Gesicht.

„Sie dürfen nicht so ungläubig aussehen – ich spreche aus Erfahrung. Schon bei der leisesten Andeutung unserer Wünsche und Hoffnungen machte sie mir eine Scene, von welcher mir noch die Ohren klingen.“

„Von wem sprechen Sie denn, lieber Herr?“ fragte Max verwundert.

„Nun, von der Erwählten Ihres Herzens – nannten Sie sie nicht so? Machen Sie sich keine Illusionen, mein Junge: es wird aus der Sache nichts – und man kann Ihnen nur gratuliren, daß es so ist. Da hat sie mir heute ein Zeug zusammengeschwatzt, ob dessen Widersinnigkeit Einem die Haare zu Berge stehen. ‚Schwesterliche Gesinnungen‘ hegt sie gegen Sie – haben Sie schon jemals solchen Unsinn gehört? Schwesterliche Gesinnungen!“

Bei diesen Worten Kayser’s schien endlich Licht in das Dunkel zu dringen, in welchem Max sich bisher vergebens zurecht zu finden gesucht hatte. Er brach in ein lautes, herzliches Lachen aus, während Kayser ihn halb unwillig, halb erstaunt anstarrte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_820.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)