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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Hulda; sie hatte keine Spur der harmlosen Heiterkeit, wie sie der blondgelockten Schönen eigen war. Ihre Züge waren zigeunerhaft düster; ihre Augen blickten schmachtend und schwermuthsvoll und waren oft wie von Thränen verschleiert; ihre Lippen zuckten oft wie von innerem Groll, von tiefer Verbitterung. Sie hatte eines der Gesichter, die uns eine lange Leidensgeschichte erzählen. Wenn ihr irgend etwas Theilnahme abgewann, dann sah man, daß sie noch jung war; dann leuchteten ihre Augen, dann flog ein frischer rosiger Hauch über ihre Wangen; sonst vergaß man bei ihrem Anblick, an Jugend oder Alter zu denken; man sah nur ein zerstörtes Leben, über dessen Blüthen der Hauch des Schicksals verwüstend hinweggezogen war. In Rede und Bewegung hatte sie etwas Leidenschaftliches, und Skarnikatis, den ihr ganzes Wesen beunruhigte, verglich sie mit einem angeschossenen Elenthiere, das bald rechts, bald links durch das Gestrüppe zu brechen sucht. Der Hauptmann fand schon bei der ersten Unterhaltung, daß sie Geist hatte; merkwürdige Einfälle und Gedankenblitze zeigten sich in ihrem Gespräch, doch es war ein unruhiger Geist, scharf, erbittert, leidenschaftlich, ja gehässig. Der Hauptmann zögerte nicht, ihr die gewünschten Stunden zuzusagen; ihn überraschte und erfreute es zugleich, in der spießbürgerlichen Einsamkeit des Städtchens zwei junge Mädchen zu finden, mit denen er sich angenehm unterhalten konnte. Im Uebrigen fand es Niemand anstößig, daß junge Damen bei ihm zuhause Stunden nahmen; er galt für ein Original, für eine wunderbare Sprachmaschine, aber kaum für einen Menschen. Wenigstens dachten die Honoratioren des Städtchens hierüber nicht weiter nach, und da sie ihn nicht decliniren konnten, sahen sie ihn für ein Neutrum an.

Mehrfach traf es sich, daß Hulda in’s Zimmer trat, während Gabriele mit der krampfhaften Hast, die ihr eigen war, ihre Bücher und Hefte zusammenraffte, da ihre Lection eben beendet war. Obgleich der Hauptmann die beiden jungen Damen mit einander bekannt machte, so stellte sich doch kein freundschaftliches Verhältniß zwischen ihnen her; ja die sonst so sanfte Hulda maß ihre Mitschülerin mit feindlichen Blicken.

„Sie ist wohl sehr geistreich?“ sagte sie eines Tages, als Gabriele das Zimmer verlassen hatte und der Hauptmann den Giuseppo Giusti aufschlug, den er jetzt mit seiner Schülerin las, um sie an die schwierigeren Wendungen des neuen Satirikers zu gewöhnen.

„Scharf, wie unser Dichter,“ antwortete er.

„Und das gefällt Ihnen wohl?“ sagte Hulda. „Das sprüht, das funkelt. Wir andern lammfrommen Gemüther haben nichts so Pikantes zu bieten. Eine Zunge, die wie ein Guillotinenmesser den Nächsten abschlachtet – was ist dagegen ein Herz voll Güte und Liebe? Das erscheint langweilig; alles Sanfte, Ruhige wirkt ermüdend; eine stille Tiefe des Geistes wird nicht mehr anerkannt. Ein Bach, er mag noch so krystallklar sein, verliert sich im Gebüsch, wenn er keinen lärmenden Wasserfall zu Stande bringt. Das muß plätschern, schäumen, tosen; das ist der Geschmack der Welt und der Männer.“

„Sie irren, mein Fräulein,“ sagte der Hauptmann; „uns ergötzt wohl ein Sprühregen von Einfällen und alle die Fächerschläge der weiblichen Koketterie, aber tieferen Eindruck machen auf uns doch nur die Frauen und Mädchen, welche Naturen sind, die sich nicht zu geistreichem Wesen steigern, sondern sich mit aller Unbefangenheit und Wahrheit geben, bei denen Geist und Herz in harmonischem Einklang und was sie fühlen und sagen eine stille Offenbarung der Natur ist.“

„Doch ich glaube, die Fächerschläge sind den Herren der Schöpfung lieber als die tieferen Eindrücke, mit denen sie nichts anzufangen wissen. Und ist diese Gabriele denn nicht schön, nicht anziehend für geistreiche Männer, was immer noch mehr ist als schön? Leuchten ihre Augen nicht oft mit einem bestrickenden Glanze? Hat sie nicht etwas Geheimnißvolles, was auf dunkle Schicksale deutet?“

„Gewiß,“ sagte der Hauptmann, „sie hat Trauriges erlebt, wie sie oft erwähnte, und diese Erlebnisse haben ihr den herben Ausdruck in Wort und Ton gegeben.“

„Herb? O ja,“ sagte Hulda, indem sich ein trotziger böser Zug um ihre Lippen lagerte, „man kennt das. Um so verlockender ist dann das süße Liebeswort für den Glücklichen, der hingebender Neigung gewürdigt wird. Für die Welt die bittere Schale, für ihn – doch wo waren wir gestern stehen geblieben?“

(Fortsetzung folgt.)




Ferienstudien am Seestrande.[1]
Von Carl Vogt.
4. Fisch- und Laus-Asseln.

„Gesund wie ein Fisch,“ sagt der Mund des Volkes;

„Ach! Wüßtest du, wie’s wohlig ist
Dem Fischlein auf dem Grund!“

singt der Mund des Dichters.

So schön das klingt, so falsch ist es. Gesund dürfte wohl kaum je ein Fisch zu nennen sein, wenn wir das Wort in der Bedeutung auffassen, welche wir ihm in Bezug auf den Menschen geben, und wohlig dürfte es ihm nur selten werden, denn ein von innen und außen geplagtes, verstochenes und angefressenes Thier, dem noch obendrein beständig nackte Vergewaltigung droht, dürfte doch kaum wohlig genannt werden können. Zwar jedes Thierchen hat sein Plaisirchen – aber ich fürchte sehr, dieses Plaisirchen möchte gerade den Fischen nur sehr sparsam zugemessen sein. Giebt es eine unleidlichere Situation, als nicht kratzen zu können, wo es juckt, nicht zutappen zu können, wo es beißt? Und doch schwimmen die meisten Fische in solch’ unangenehmer Lage umher. Vielleicht aber haben sie mehr Geduld als unser Einer.

Du hast dich am Meeresufer auf einem überhängenden Felsen niedergelassen und deine Angel ausgeworfen. Der heitere Himmel mit seinem feucht verklärten Blau lockt dich sehr wenig, denn du starrst nach dem Schwimmer, dessen Bewegungen den schnappenden Fisch verrathen. Ein Ruck, ein Schwung, und ein prachtvoller, mit gelben Arabesken gezierter, goldgrün glänzender Lippfisch (Julis) zappelt auf dem Boden. Wie wohlig muß es dem Thiere da unten sein, daß es sogar in Alltagswochen und nicht nur in dem jährlich einmal wiederkehrenden Hochzeitsmonate solches Staatskleid anzieht! Aber indem du dich bemühst, den Fisch von dem Angelhaken zu lösen, siehst du in der Nähe seines Auges einen grauen Höcker, mehr lang als breit, etwa von Eigestalt, aber mit Querringeln gezeichnet und einer breitgedrückten, zuweilen fast zolllangen Kellerassel nicht unähnlich. Neben diesem Ungethüm sitzt vielleicht ein zweites Wesen, kleiner, schlanker, manchmal wohl noch ein drittes, beide dem großen Thiere ähnlich gestaltet. Jetzt schaust Du genauer zu. Tiefe, gewundene Gänge sind in der Haut um das Auge, die fast speckig ist, ausgefressen – jedes der Thiere sitzt in einem solchen blutrünstigen Canale. Der arme Fisch! Erst war er bewunderungswürdig, jetzt ist er bedauernswürdig. Er hat gewiß große Schmerzen erduldet und Alles versucht, die ungebetenen Gäste los zu werden. Aber er kann weder mit den Flossen, noch mit dem Schwanze die zerfressene Stelle erreichen. Man sieht es seiner Schnauze an, daß er sich bemüht hat, durch scharfes Reiben an den Felsen und Steinen den Schmarotzer los zu werden; hat man so besetzte Lippfische im Aquarium, so stellen sie sich gar seltsam auf den Kopf und gleiten mit der leidenden Hälfte an dem Boden hin – aber Alles ist umsonst. Der Schmarotzer ist glatt, hart, sein Kopf heruntergebogen in die ausgefressenen Höhlungen, sodaß es dem Fische nicht möglich ist, trotz aller künstlichen Schwenkungen, ihn abzustreifen. Gelingt dies ja doch nur schwer dem Naturforscher, der mit Messer und Pincette sich bewaffnet. Hat er die Thiere losgelöst, so sieht er, daß das größte ein Weibchen, die kleineren Männchen sind; daß sie alle, beide Geschlechter, mit krummen Klammerbeinen in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_838.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)