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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


großer Zahl bewaffnet sind, scharfe und schneidende Mundtheile besitzen und nur mit Gewalt sich losreißen lassen, so sehr sind sie mit den Klammerbeinen eingehakt. Aber dennoch können wenigstens die leichteren und kleineren Männchen mittelst ihrer flossenförmigen Schwanzklappe schwimmen, während die Weibchen nur langsam und mit Beschwerde kriechen können. Als schlanke Jungfrau freilich schwimmt das Weibchen lebhaft umher, mit der breiten Schwanzflosse sich durch das Wasser fortstoßend, später aber birgt es unter den Bauchschuppen die Eier, und dann hört die Beweglichkeit auf.

Es giebt Hunderte von Arten solcher Fischasseln, die an allen Theilen des Körpers verschiedener Fische sich festsetzen und in eine große Anzahl von Gattungen vertheilt worden sind, und man findet die mannigfaltigsten Uebergänge von stets frei schwimmenden, ja in sehr großen Tiefen sich aufhaltenden Formen mit Schwimmfüßen (Serolis), welche vielleicht nur zuweilen die Fische als bequeme Transportmittel benutzen, bis zu solchen, welche nur echte Klammerfüße im Alter tragen und einzig und allein auf die schmarotzende Lebensweise angewiesen sind. Alle gehören aber einer Gruppe von Krebsthieren an, welche in den Landasseln sich bis zu der höheren Bildung von luftathmenden Thieren erhebt. Die niedrigsten Formen mögen wohl von denjenigen Asseln dargestellt werden, welche bei anderen Krebsthieren schmarotzen.


Fig. 1. Garneele, (Palaemon serratus) vom Rücken aus in natürlicher Größe.
a. Die in der linken Kiemenhöhle sitzende Lausassel.


Wer während einer Badecur am Ufer des Meeres sein Frühstück einnimmt und sich die in zartem Rosenroth glänzenden Garneelen (Crevettes nennt sie der Franzose, Shrimps der Engländer) auftragen läßt, der wird fast immer unter der Menge einige finden, welche an dem Brustschilde einen seitlichen (Fig. 1) Buckel tragen; das Brustschild selbst ist aufgetrieben; ein weißlicher Ring, der einen schwärzlichen Mittelpunkt umgiebt, oder auch ein schwarzer Ring um einen helleren Mittelpunkt (die Färbung hängt von der Entwickelung der Eier ab) schimmert durch. Das Ding hat etwa die Größe eines Hemdknopfes. Um es abzulösen, muß man das Brustschild aufbrechen, denn es sitzt an der inneren Seite desselben festgehakt, in der Kiemenhöhle. Aber es ist gekocht, und nur wer frische Garneelen untersucht, wird sich überzeugen können, daß es eine Assel (Fig. 2) ist, aber nicht symmetrisch, sondern windschief, mit tief untergebogenem Kopfe, kurzen Stummeln statt Füßen und blattförmigen Anhängen unter dem Hintertheile, die vielleicht Kiemenblätter sind, jedenfalls aber durch ihre Bewegungen einen Wasserstrudel erzeugen können. Die braunschwarze Mitte ist ein Brutsack, vollgefüllt mit unendlich kleinen Eiern und Jungen. Sieht man genau zu, so findet man auch gewiß das sechs- bis zehnmal kleinere Männchen der Lausassel (Bopyrus) (Fig. 3), das an dem Hintertheile seines gigantischen Weibchens sitzt, ein schlankes, symmetrisches Thierchen mit niedlich ausgezackten Brustringen und länglicher Schwanzschuppe, das auf seinen kurzen, seltsam gleich Dachshundbeinen verdrehten Klammerfüßen noch ziemlich schnell läuft, wenn man es vom Weibchen losgelöst hat. Das hat noch eine dem Typus der Asseln entsprechende Form; das Weibchen, das immer an derselben Stelle in der Kiemenhöhle der Garneele sitzt und den Kopf nach hinten richtet, hat sich dem Wohnplatze angepaßt und die eine nach dem Bauche der Garneele gerichtete Seite ausgebuchtet, die andere eingezogen, je nachdem es auf der linken oder rechten Seite sitzt, sodaß es vollkommen unsymmetrisch geworden ist. Die Jungen (Fig. 4 und 5) haben beim Auskriechen aus dem Ei zwei große, gehäufte Augen, lange Schwimmfühler, drei Paar langer Klammerfüße und eine Unzahl von blattförmigen Schwimmfüßen am Bauche; die Männchen haben kleine, fast punktförmige Augen und vier kleine, kurze Fühler am Kopfe; die Weibchen haben gar keine Augen und keine Fühler, denn die Rudimente, die sie am Kopfe tragen, kann man kaum noch so nennen.

Ich habe Hunderte von Jungen unter dem Mikroskop an meinem Auge vorüber gleiten lassen – sie waren genau in gleicher Weise gebildet. Auch die Jungen von verschiedenen Weibchen glichen einander vollkommen. Da aber fast immer ein Pärchen in der Kiemenhöhle einer Garneele seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat, so muß man doch wohl annehmen, daß aus diesen gleich gestalteten Jungen zur Hälfte Männchen, zur Hälfte Weibchen werden. Beide Geschlechter müssen verschiedene Umwandlungen durchmachen, bevor sie zu der Gestalt kommen, welche sie definitiv behalten werden. Wir kennen diese Metamorphosen nicht im Einzelnen; wir sehen nur die beiden Endpunkte, einerseits das Junge mit seiner kugelförmigen, dem Ei angepaßten Gestalt, andererseits hier das schlanke, geringelte Männchen, dort das breit geschwollene, zur Unkenntlichkeit umgestaltete Weibchen. Wie ist es möglich, daß von einer gemeinsamen Grundlage aus so verschieden gestaltete Formen sich entwickeln konnten? Der Contrast könnte nicht größer sein, wie zwischen jungen Mäuslein, die sich einerseits in Springhasen, andererseits in plumpe Elephanten umwandeln würden. Wer einen solchen Vergleich wagte, würde ausgelacht, weil es sich um Säugethiere handelt, aber bei Krebsthieren findet schließlich nur der Laie die Sache auffallend; der Naturforscher wundert sich höchstens, daß die Unähnlichkeit nicht noch größer sei.

Mit bloßen Worten ist es heutzutage nicht mehr gethan. Man muß in das Einzelne gehen, um die Einflüsse aufzudecken, welche bei den organischen Processen ihre Rolle gespielt haben.

Anpassung? Nun ja! Das Weibchen der Lausassel hat sich seinem Aufenthaltsorte angepaßt und ist dadurch windschief geworden. Das Brustschild der Garneele, welches die Kiemenhöhle nach außen abschließt und an welche das Weichen sich ansetzt, hat keine gleichmäßig gerundete Gestalt. Es läuft nach vorn spitz zu und krümmt sich stark nach innen auf der Bauchseite. Die Lausassel bewirkt freilich eine Aufwulstung an der Stelle, wo sie sitzt, aber diese Aufwulstung ist nicht bedeutend genug, um die Gestalt des Brustschildes im Ganzen zu ändern. Die Assel wächst also nach der Seite aus, wo sie freieren Spielraum hat, und krümmt sich auf der entgegengesetzten Seite ein. Nach von mir in Roscoff gemachten Zählungen sitzt die Assel häufiger auf der linken, als auf der rechten Seite der Garneele – acht Mal auf der linken gegen fünf Mal auf der rechten Seite. Von dreizehn Asseln sind also acht nach links eingebogen, fünf nach rechts. Wollten wir den Vorgang bis in die äußersten Einzelheiten verfolgen, so würden wir mathematisch nachweisen können, daß die Assel sich ebenso nach dem Widerstand des Brustschildes modelt, wie der Fuß nach dem Schuh. Sie muß dies um so mehr, als sie bei zunehmender Größe bald die ganze Kiemenhöhle ausfüllt und, einmal an ihrem Platze festgehakt, denselben nie wieder verläßt. Ich vermuthe, daß sie über ihren Eiern, die allmählich den ganzen Körperraum füllen, stirbt, wie die Schildlaus des Weinstockes über den ihrigen, die noch von der zu einem Blatte eingetrockneten Haut der Mutter gedeckt werden. Ich schließe dies aus dem Umstande, daß ich Garneelen gefunden habe, welche zwar einen etwas aufgetriebenen Buckel besaßen, in welchem aber keine Lausassel mehr saß. Das Männchen, klein, freier beweglich, hat immer noch in der Kiemenhöhle Raum und behält seine Gestalt, weil es nach Bedürfniß den Platz ändern kann.

Es ist auch eine ganz gewöhnliche Erscheinung im Thierreiche, daß festsitzende Thiere ihre Gestalt nach der Unterlage ändern. Keine Felsenauster, keine Lochmuschel (Anomia) gleicht der andern; die festsitzende Schale hat sich der Unterlage angeschmiegt. So ist also die Windschiefheit der Lausassel eine ganz gewöhnliche Anpassung, die uns nur deshalb auffällt, weil sie auf ein Gliederthier, auf ein Krebsthier eingewirkt hat, bei welchen strenge Symmetrie meist die Regel ist, und weil sie, je nach dem Sitze in der Garneele, bald in die eine, bald in die andere Seite beschlägt.

Aber damit ist es nicht genug. Woher die große Verschiedenheit aller dieser Asseln im Bau ihrer Füße? Die frei lebenden haben Schwimmfüße, die festsitzenden Schmarotzer Haken- oder Klauenfüße. „Der Schöpfer hat es so gewollt,“ ist die Antwort einer ganzen Partei, und wir müssen dann glauben, daß jeder Fuß der Gegenstand eines besonderen schöpferischen Willensactes gewesen sei. Daß mit diesem Glauben die wissenschaftliche Forschung ein Ende hat, ist klar; die Berufung auf den schöpferischen Gedanken gleicht etwa der Antwort meines Vaters,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_839.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)