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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


jetzt oft erscheinen wie eine babylonische Verwirrung, ein sinnloses Durcheinander der sich abquälenden Menschheit, daß mich ein Zug unbegrenzter Sehnsucht in die Ferne zieht – ich weiß selbst nicht wohin, doch nein, ich weiß es nur zu gut – zu der feindlichen Macht, die meines Lebens stilles Genügen zerstört hat.“

Hulda’s Augen leuchteten. „Sie sprechen wohl von Gabriele?“ warf sie diesmal mehr freundlich als bitter ein.

„Und wieder wie damals vor der Mühle weisen Sie mich kalt zurück. So sagen Sie es doch wenigstens, daß ich Ihnen gleichgültig bin, daß Sie nichts für mich empfinden können!“

„Ich kann nicht lügen,“ flüsterte Hulda.

„O, das war nur ein geflüstertes Wort, doch es ruft mächtig jedes Echo in meinem Herzen wach. Ich bin Ihnen nicht gleichgültig, und dennoch weisen Sie mich zurück.“

Wieder regte sich der Onkel; der Hauptmann hätte ihm in diesem Augenblicke den giftigsten Schlaftrunk geben mögen und sein Seelenheil auf’s Spiel gesetzt. Glücklicher Weise siegte noch einmal der ungarische Trank über die böhmischen Landwege.

„Sie wissen jetzt,“ sagte Hulda, „was mich damals verstummen ließ. Es war die Sorge um Ihre Ruhe. In unklare, verworrene Verhältnisse hätte ich Sie hineingezogen, und wenig Aussicht war auf eine glückliche Lösung. Jetzt, ja seit heute ist es anders geworden –“

Der Hauptmann äußerte seine Freude über das Wort in Ausrufungen aus drei Sprachen und einem warmen, nicht unerwiderten Händedruck.

„Anders – wenn Sie mir Ihre Neigung bewahrt haben, wenn nicht Gabriele –“

„Corpo di bacco!“ rief der Hauptmann ärgerlich, „Mitleid ist nicht Liebe.“

„Nun denn,“ sagte Hulda mit warmer, wachsender Innigkeit, „so mögen Sie es erfahren, daß ich seit unserer Trennung keinen anderen Gedanken hatte, als Sie, daß ich in Sehnsucht Ihrer dachte. Nichtssagend und leer kam mir diese Jugend vor, welche die Begeisterung für das Edle und Schöne verloren hat, alt, abschreckend in ihrer geistigen Verknöcherung, in der kläglichen Lüge, mit der sie Liebe und Bewunderung heuchelte. Da dacht’ ich an Sie, an die Jugendfrische Ihres Geistes und Wesens. Was war nun Bremen und Hamburg, Calcutta und New-York? Ich warf das Städtchen in die Wagschale, und sie sank in unergründliche Tiefen hinunter – mein Alles, mein Leben!“

Der Hauptmann besiegelte dieses Geständniß mit einem feurigen Kuß. Er wunderte sich, daß über sein unerhörtes Glück nicht die Sterne aus ihren Bahnen fuhren; er sehnte sich nach einem mitfühlenden Freunde, und wäre es nur sein Skarnikatis.

Der Onkel fuhr auf und rieb sich die Augen – ein Hofhund hatte mit lautem Geheul angeschlagen; der Wagen rasselte über das Pflaster; man war in Adersbach. John Smith stand, eine feine Havanna rauchend, an der Thür des Wirtshauses.

„Nun, wie geht es den Naturwundern da drüben? Es sollen wunderbare Zahnstocher sein, welche dieser schlesische Gott – Rübezahl heißt er, glaube ich – bisweilen aus Langerweile benutzt. Ich langweile mich riesig, ohne ein Gott zu sein.“

Der Empfang von Seiten Hulda’s und des Kaufmanns war kalt genug, Smith ließ sich indeß dadurch nicht stören; dem Hauptmann gegenüber spielte er den indischen Lord und zeigte freundliche Herablassung. Doch der alte Kaufmann besaß feste Zähigkeit in seinen Vorsätzen; ohne solche Zähigkeit wird man kein Millionär; er wollte das Deck noch heute klären, wie er seiner Nichte wiederholt versicherte, und nahm Smith zu einer wichtigen Unterredung bei Seite. Dieser ließ die Cigarre ausgehen, denn er glaubte, es handle ach um ein glänzendes überseeisches Geschäft. Die Unterredung dauerte eine Stunde lang. Als die beiden Nabobs von einem Spaziergang in die Felder zurückkehrten, bestellte John Smith augenblicklich Pferde und Wagen. Ueber den Inhalt des Gespräches verlautete wenig; Smith erklärte nur, plötzlich abreisen zu müssen, und setzte sich noch zu kurzem, behaglichem Gespräche an den Tisch. Er leitete dasselbe unbefangen auf Gabriele, und Hulda machte aus ihrem Widerwillen gegen das geistig scharfe, aber herzlose Mädchen kein Hehl. Der Wagen des Engländers war vorgefahren.

„Es freut mich, daß sie Ihnen mißfällt, liebe Hulda. Wir haben den gleichen Geschmack. Im Uebrigen ist sie meine Braut, und ich werde sie heirathen. Man muß sein Wort halten; zwei schöne Augen ließen mich dies vergessen.“

Er drückte Hulda freundschaftlich die Hand und empfahl sich, ein Lied trällernd. Von dem schweigsamen Onkel erfuhren sie nur, daß Smith aus seinem Verhältniß und seinem Eheversprechen kein Hehl gemacht, dieses letztere indeß nur für eine Uebereilung erklärt habe.

Im Feuer des ersten Entzückens zögerte der Hauptmann nicht, um Hulda’s Hand anzuhalten. So sah der Gatte freilich nicht aus, welchen der Onkel für seine Nichte im Geiste erkoren hatte, und die Mienen desselben verfinsterten sich in bedenklicher Weise. Er gestand nun, daß er ihn für einen Ehrenmann, aber die Partie für seine Nichte nicht geeignet halte. Ein junger englischer Kaufherr, mit Pflanzungen in Brasilien und einer Estancia in Buenos Ayres mit unermeßlichen Rinderheerden, war sein Ideal gewesen. Er versprach, sich den Antrag, der ihm so plötzlich gekommen, zu überlegen. – –

Monate vergingen; die Brieftauben der Liebe flogen hin und her. Hulda’s zärtliche Zuschriften enthielten Versicherungen ausdauernder Liebe, doch sprachen sie stets von des Onkels hartnäckiger Abneigung, seine Zustimmung zu geben. Endlich kam ein entscheidendes Schreiben. Der Onkel sehe ein, daß er auch den Gerichten gegenüber seine Weigerung nicht aufrecht erhalten könne; er werde der Hochzeit kein Hinderniß in den Weg legen, aber er ziehe seine Hand ab von seiner Nichte, und auf jede Erbschaft müsse sie verzichten. Die Zinsen ihres eigenen, sehr bescheidenen Vermögens werde er ihr nicht entziehen; man erwarte den Hauptmann in Bremen.

Hell brannten die Freudenfeuer in Kopf und Herzen des braven Mannes. Was kümmerten ihn Erbschaft und Zinsen? Sah er doch aus jeder Zeile, wie er von dem reizenden Mädchen geliebt wurde! Das war ein Hin- und Herlaufen; Skarnikatis hatte immer Sonnenschein im Gesichte, der allen Zofen in den Nachbarhäusern auffiel; ja diese wollten sogar einmal eine Thräne in seinem Auge bemerkt haben, die sie nach genauesten Untersuchungen nur für eine Freudenthräne halten konnten; irgend ein Leid war ja dem treuen Diener nicht widerfahren.

Der Hauptmann miethete ein kleines Quartier mit der Aussicht auf die Berge; die Bedientenstube durfte nicht fehlen, und wenn die anderen Stübchen deshalb noch so eng wurden; denn nie hätte er sich von Skarnikatis getrennt. Er sicherte sich eine größere Zahl von Schülern und Schülerinnen, hoffte, daß auch Hulda ihre Clavierstunden fortsetzen würde, und begab sich dann mit seinem litthauischen Freunde auf die Reise nach Bremen. Er hielt es für ein glückliches Vorzeichen, daß an diesem Tage gerade seine italienische Woche begann. Seine Regimentsuniform mit allen Orden hatte er mitgenommen.

Der Empfang am Bahnhofe in Bremen war sehr freundlich; der Onkel schien es für eine Ehrensache zu halten, seine Abneigung gegen die Wahl seiner Nichte keineswegs zur Schau zu tragen. Bei der Vorfeier und der Feier der Hochzeit selbst waren die angesehensten Bremer Patricier mit ihren Frauen und Töchtern zugegen. Der Hauptmann war tief bewegt über die Auszeichnungen, die ihm zu Theil wurden, über die Herzlichkeit, mit der man ihm entgegenkam.

Zurück in das stille Städtchen! Er rüstete am Tage nach der Hochzeit die Abreise und sprach dem Onkel seinen herzlichen Dank dafür aus, daß er, obgleich er die Heirath nicht gebilligt, eine so großartige Hochzeitsfeier veranstaltet habe, die allerdings mit den bescheidenen Lebensverhältnissen, in die er Hulda einführe, in auffallendem Widerspruche stehe. Der Onkel lud ihn ein, noch einen Tag zu bleiben und die Villa in Augenschein zu nehmen, die er sich vor der Stadt habe bauen lassen.

Es war ein schöner Sommertag, als sie hinausfuhren. Schon von der Heerstraße aus sahen sie hinter dem eleganten Gitter hochwipflige Bäume, hinter denen sich das Landhaus verbarg. Da, über reizenden Baumanlagen und Terrassen, die mit mächtigen Oleanderbäumen geschmückt waren, erhob sich der säulengetragene stattliche Bau, gekrönt von einer neunfenstrigen Rotunde. Den Hauptmann ergriff ein Gefühl des Bangens und schwermüthiger Bedrängniß. An so glänzende Verhältnisse war Hulda gewöhnt – wie würde sie sich zurechtfinden in einem ängstlich kleinen, auf den täglichen Erwerb angewiesenen Leben!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_868.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)