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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


blaß, sagte aber nichts. Es wurde ihm dann bemerkt, daß ein Strohbund ein Ding sei, auf welches halsstarrige und freche Regisseure so gelegt würden, daß ihre Rückseite oben sei, und das Weitere könne er sich vielleicht vorstellen. – Andern Tages hatten wir, was wir verlangt, und auch später kam meines Wissens keine Klage vor. Der Herr Baron aber erhielt für seinen Wein nicht nur den geforderten Preis, sondern auch noch Pfropfengeld, sodaß er an uns noch etwas Anständiges verdiente. Ob das so geblieben ist, als wir fort waren, war mir eine Zeit lang zweifelhafter, als die Beantwortung der Frage, ob es so hätte bleiben sollen. Deutlicher gesprochen: ich wüßte keinen vernünftigen Grund dafür anzugeben, wenn man den Millionär Rothschild mit Requisitionen, und zwar seinem Vermögen angemessenen Requisitionen, auch dann noch verschont hätte, als man nicht mehr sagen konnte, sie seien für den König und seine Umgebung. In der That wurde später in Versailles erzählt, daß schon am Tage nach unserer Abreise ein halb Dutzend Requisitionscommandos in Ferrières erschienen sei und eine Menge Dinge abgeholt habe, und daß selbst die Hirsche im Gehege am Teiche von unseren Soldaten vergnügt aufgegessen worden seien. Zu meiner tiefen Betrübniß aber mußte ich dann aus glaubwürdiger Quelle erfahren, daß dem nicht so, die Ausnahmestellung des Schlosses vielmehr bis zu Ende des Krieges gewahrt geblieben war. Um so widerwärtiger fühlte man sich durch einen Brief berührt, der aus Paris an die Gräfin M. abgesandt worden und nach dem Rothschild in der dortigen Gesellschaft, jene Rede unseres Chefs lügenhaft übertreibend, verbreitet haben sollte, die Preußen hätten seinen Regisseur in Ferrières prügeln wollen, weil die Fasanen, die er ihnen vorgesetzt, nicht getrüffelt gewesen wären.

Am andern Morgen kam der Minister in die Jagdzimmer, die wir zum Bureau umgewandelt hatten, sah sich das auf dem Mitteltische liegende Jagdbuch an und zeigte mir das Blatt vom 3. November 1856, welches besagt, daß er an diesem Tage mit Galiffet und Andern hier gejagt und zweiundvierzig Stück Wild, vierzehn Hasen, ein Kaninchen und siebenundzwanzig Fasanen geschossen. Jetzt jagt er ein vornehmeres Wild, den Wolf von Grand Pré, wovon er damals wohl noch nichts ahnte und seine Jagdgenossenschaft sicherlich noch weniger.

Um elf Uhr hätte er die dritte Besprechung mit Favre, dann fand eine Berathung beim Könige statt, bei der auch Moltke und Roon zugegen waren. Das gab uns einige Stunden Zeit zur Besichtigung des Schlosses, soweit es uns zugänglich, und seiner Umgebung, die in einem nach Süden hin gelegenen großen Park, einem im Norden sich anschließenden Blumengarten, einem etwa vierhundert Schritt östlich vom Schlosse befindlichen Complex von Ställen und Wirthschaftsgebäuden, denen gegenüber, jenseits der Fahrstraße, eine ausgedehnte Gärtnerei mit Obstpflanzungen, Gemüsebeeten und langgestreckten prächtigen Gewächshäusern liegt, sowie einem noch vom Parke eingeschlossenen Schweizerhäuschen besteht, welches zum Waschlocale dient.

Ueber das Schloß will ich kurz sein. Es ist der Form nach ein Viereck, das zweistöckig ist und an jeder der vier Ecken einen dreistöckigen Thurm mit stumpfer Bedachung hat, der Styl ein Gemisch aus verschiedenen Schulen der Renaissance, bei dem es zu keiner rechten Gesammtwirkung kommt und das Ganze namentlich nicht so groß aussieht, wie es ist. Am besten nimmt sich noch die Südfront mit ihrer stattlichen, vasengeschmückten Freitreppe aus, die zu einer Terrasse führt, auf welcher Orangen- und Granatbäume in Kübeln stehen. Der Haupteingang ist auf der Nordseite, wo man zunächst in ein Vestibül mit Büsten römischer Kaiser gelangt, die ganz hübsch sind, von denen aber nicht recht zu begreifen ist, was sie im Hause des Krösus der modernen Judenheit zu suchen haben. Von hier führt ein etwas gedrücktes Treppenhaus, dessen Wände mit Marmor bekleidet sind, in den Hauptsaal des Schlosses, um den eine von vergoldeten ionischen Säulen getragene Galerie herumläuft. Die Wand über derselben ist mit Gobelins bekleidet. Unter den Gemälden des mit allerlei Prunk ausgestatteten Saales befindet sich ein Reiterbild von Velasquez. Auch sonst ist unter den prächtigen Sachen manches Schöne. Im Ganzen aber macht der Raum den Eindruck, als ob der Besitzer weniger an Schönheit und Behagen, als daran gedacht hätte, recht Theueres zusammenzustellen.

Läßt das Schloß hiernach ziemlich kalt, so verdienen die Garten- und Parkanlagen um dasselbe alles Lob. Das gilt sowohl von den Blumenbeeten vor der nördlichen Façade mit ihren Statuen und Springbrunnen, wie, und zwar in noch höherem Grade, von den vorderen Partien des Parkes, der weiterhin zum Walde wird und nur von geradlinigen Fahr- und Reitwegen durchschnitten ist, von welchen einige nach einem großen Vorwerke führen. Jene vorderen Theile zeigen schöne fremdländische Bäume und geschmackvoll zusammengestellte Gruppen von solchen und hiesigen, anmuthigen Wechsel von Wald, Wiese und Wasser und zuweilen überraschende Durchblicke durch Buschwerk und Wipfel. Vor dem Schlosse flachen sich Wiesen, von Kieswegen durchschlängelt, nach einem Teiche mit weißen und schwarzen Schwänen, türkischen Enten und anderem Geflügel ab. Jenseits des Wasserspiegels erhebt sich rechts ein künstlicher Hügel, wo Schlangenwege durch Strauchwerk, Laub- und Nadelholz nach dem Gipfel führen. Links vom Teiche kommt man an ein Gehege mit Hirschen und Rehen, und weiter hin murmelt ein Bach zwischen hohen Waldbäumen am Saum einer Lichtung. Auf den Wiesen vor der Freitreppe weiden Schafe und gehen Hühner, denen sich zuweilen Fasanen zugesellen, welche auf den ferner gelegenen Blößen in ganzen Trupps auftreten, und deren der Park mehrere Tausende beherbergen soll. Diesen guten Dingen gegenüber verfahren unsere Soldaten, als ob das Alles ungenießbar wäre, und doch haben sie ohne Zweifel eine andere Ansicht und dazu bisweilen einen gesunden Hunger. „Tantalus in Uniform!“ sagte ein mythologisch gestimmtes Gemüth, als wir drei von den leckeren Vögeln, die auch ohne Sauerkraut à la Rothschild, das heißt in Champagner gekocht, gut zu essen sind, so nahe an einer seitab aufgestellten Schildwache vorbeiwandeln sahen, daß sie von ihr mit dem Bajonnet aufgespießt werden konnten. „Ob ein französischer Mobiler das wohl aushielte?“ fragte ein anderer Begleiter.

Auf dem Hügel am Teiche suchten und fanden wir, von Abeken’s Kunstliebe aufmerksam gemacht, eine Statue, mit welcher der Schloßherr diesen Theil seines Besitzes geschmückt hatte. Sie scheint eine von seinen Nebengottheiten neben Adonai zu sein, steht auf dem Gipfel, von Buschwerk umgeben, ist von rothem Thon und stellt eine Dame vor, die einen Spieß in der Hand und eine Mauerkrone auf dem Kopfe hat und etwa anderthalbmal so groß als gewöhnliche Damen ist. Auf dem Piedestal steht – vermuthlich, damit man dem preußischen Generalconsul nicht Unrecht thue und auf den Verdacht gerathe, er habe seinem Park eine Borussia einverleibt – mit großen Buchstaben AVSTRIA. Ein Besucher, voll von ungeregelten Hochgefühlen, hatte, diese Warnung übersehend, der Dame mit Bleistift auf’s Hemd geschrieben: „Heil Dir, Germania, Deine Kinder sind einig!“ Ein Vetter des „Kladderadatsch“ aber hatte darunter bemerkt: „Det war doch früher nich. Ein Berliner Kind“ – eine Glosse, welche ihm auch bei einem zweiten dithyrambischen Gefühlsausbruche eingefallen war, mit dem ein anderer Begeisterter den Schild der thönernen Mamsell bekiselackt hatte, und der lautete: „Deine Kinder sind auf ewig vereint, Du große Göttin Deutschland! 22. September 1870.“

Von unsern Entdeckungsreisen zurückgekehrt, erfahren wir, daß der anfangs so anmaßende Regisseur uns bei näherer Betrachtung doch nicht für so unwillkommene Gäste betrachtet. Er fürchtet sich ungemein vor den „francvoleurs“, wie die Franctireurs von den Besitzenden auf dem Lande jetzt vielfach bezeichnet werden, und diese Furcht hat ihn unserer Anwesenheit neben ihrer verdrießlichen Seite auch eine freundliche abgewinnen lassen: er hat gemeint, daß jene Herren, die mit den Mobilen und den Chasseurs d’Afrique um die Wette überall in der Nachbarschaft geplündert und Verwüstungen angerichtet, bei Clayes in den Landhäusern Alles kurz und klein geschlagen und die Bauern mit dem Säbel in der Hand gezwungen haben, ihre Wohnungen zu verlassen und in die Wälder zu flüchten, wenn wir nicht da wären, leicht auf den Einfall kommen könnten, dem Schlosse ihren Besuch abzustatten und es am Ende gar niederzubrennen. Möglicher Weise in Folge dieser Betrachtung hat er sich besonnen, daß der Keller des Herrn Baron auch Champagner enthält und daß er uns davon eine Anzahl Flaschen abtreten kann, ohne eine Todsünde zu begehen. Wir fangen auf Grund dieser Meinungsänderung an, uns heimischer zu fühlen.

Man erfährt, daß beim Generalstabe die Nachricht eingetroffen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_874.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)