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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Schleppe des Mac Mahon’schen Ehepaares übergehen wir. Der zwölfte December hat den sechszehnten Mai gerächt. „Die persönliche Regierung“ — sagt die „Magdeburger Zeitung“ am Tage des Triumphs sehr richtig — „welche sich kein civilisirter Staat, kein selbstbewußtes Volk heute mehr gefallen läßt, hat in Frankreich in ihrem obersten Vertreter den Todesstreich empfangen, und dieser Schlag hat den Clericalismus, die Landplage des modernen Europa, hundertmal empfindlicher getroffen, als der Verlust, der ihm stündlich, wie es scheint, im Vatican bevorsteht.“ — Und Gambetta, ist er mit dem Siege zufrieden? Diese Frage ist wirklich an ihn gestellt worden, und er antwortete so: „Wie sollte ich nicht zufrieden sein, da ich eine so leidige Krisis so glücklich endigen sehe? Dies ist der erste von der Legislative über die Umtriebe der persönlichen Gewalt ohne Revolution, ohne Emeute, ohne Wirrungen davongetragene Sieg. Das ist eine neue Thatsache in unserer Geschichte und gereicht den demokratischen Einrichtungen zur Ehre.“

Bei einer solchen Vergangenheit, wie sie Gambetta im Kampfe gegen den Cäsarismus für die demokratische Republik, im Kampfe „bis auf’s Messer“ für sein Vaterland, im Kampfe gegen das römische Pfaffenthum für die Freiheit des gebildeten Geistes aufzuweisen hat, bei einer solchen Gegenwart, die ihn als den staatsmännischsten und begabtesten Republikaner Frankreichs, als anerkannten Führer seiner Partei sichtbar macht — kann man da nicht glauben, ihm erschließe sich noch eine glänzende und geschichtlich bedeutende Zukunft? Wer, der Frankreichs inneren Frieden, die Beschwichtigung seiner Parteileidenschaften unter einer Republik der Ordnung und Freiheit, seine ruhige Entwickelung lauernden Prätendenten zum Trotze wünscht, stände mit seinen Sympathien nicht auf Seite des Volkstribunen und seiner Getreuen? Ueber nationale Befangenheiten hinaus wird jeder freisinnige Mann in Gambetta den Patrioten und den Streiter für die hohen Güter der Menschheit würdigen; denn solche geistigen Größen kommen allen Nationen zu Gute, mögen sie sonst für oder wider einander sein.

Schmidt-Weißenfels.


Blätter und Blüthen.

Suleiman Pascha. (Mit Abbildung S. 17.) Ueber diesen General, der in den letzten Tagen zum Oberbefehlshaber in Rumelien erhoben wurde, lauten die öffentlichen Urtheile so verschieden, wie über die meisten übrigen Feldherren der Pforte. Von seiner Vergangenheit weiß man, daß er längere Zeit in europäischen Hauptstädten und dann in Provinzial-Garnisonen gelebt, bis man, auf seine Kenntnisse aufmerksam geworden, ihn zum Lehrer und später zum Director der Militärschule in Constantinopel beförderte. Dies geschah unter dem Sultan Abdul Aziz. An der Palastrevolution, welche die Beseitigung desselben ausführte, nahm Suleiman wesentlichen Antheil. Er holte in der Nacht der Gewaltthat den Prinzen Murad aus seinem Zimmer und brachte ihn zu dem Wagen, in welchem er von Hussein Avni in Empfang genommen und zum Seraskierat begleitet wurde. Die Belohnung für diese Mitwirkung zum Thronwechsel soll seine Erhebung zum Divisionsgeneral gewesen sein. Als solcher übernahm er gemeinsam mit Mehemed Ali Pascha die Führung der Truppen gegen die Montenegriner; ihm gelang die sehr schwierige Verproviantirung der hart bedrängten Festung Riksitsch; auch seine sonstigen Unternehmungen gegen Montenegro waren von Erfolg, sodaß man den Zweck beider Generale dort erreicht sah und beiden nun ihren Kräften angemessenere Kampffelder eröffnete, indem man Suleiman Pascha an die Spitze einer Armee stellte, welche über die Balkanpässe sich mit der Donau-Armee verbinden sollte, zu deren Führer zu gleicher Zeit Mehemed Ali an die Stelle des abberufenen Abdul Kerim Pascha erhoben wurde.

Dieser Wandel im Obercommando war die Folge des Ueberganges der Russen über die Donau und ihres Vordringens über den unbewachten Balkan und bis gegen Adrianopel hin. Während Mehemed Ali von Constantinopel aus zur See nach Bulgarien eilte, ging Suleiman gegen die Russen vor. Mit seinen im Kampf erprobten und gehärteten Truppen konnte er Marschleistungen wagen, die geradezu wunderbar genannt worden sind; er schlug die Russen nicht nur zurück, sondern verfolgte sie in den Schipkapaß und setzte sich mit Mehemed Ali’s Armee in Fühlung. Bis hierher ist sein Lob ein allgemeines. Am Schipkapaß zersplittert es. Die Kampfart, die sich kaum gegen die Montenegriner bewährt hatte, den rücksichtslosen Sturm, wandte er gegen einen Feind an, der ihm mit trefflicher Artillerie gegenüberstand. Daher der ungeheuere Menschenverlust, der ihn zwei Drittel seiner Armee kostete ohne nennenswerten Fortschritt dafür. Es war dieselbe blinde Menschenschlächterei, wie die russische Heeresleitung sie vor Plewna aufführte. Vom 21. August bis 5. September rechnet man ihm 15,000 Verwundete und 5000 Todte nach. Die Verwundeten lagen tausendweise ohne Pflege umher. Suleiman selbst gestand einmal: „Wenn nicht die Aerzte vom Stafford-Hause gewesen wären, so hätte ich meine Verwundeten erschießen lassen müssen.“ Dennoch scheint er im Schipkapaß nur den Befehlen des bekannten Constantinopolitanischen „Hofkriegsraths“ gehorcht zu haben, denn trotz der Klagen Mehemed Ali’s gegen ihn geschah das für alle Welt Ueberraschendste: Mehemed Ali, der ihn vergeblich aufgefordert hatte, zu ihm zu stoßen, um mit ihm gemeinsam die Russen anzugreifen, wurde plötzlich, Anfang October, des Obercommandos in Bulgarien entsetzt und Suleiman Pascha zu seinem Nachfolger ernannt. Man soll in Constantinopel mit der „Cunctator-Strategie“ Mehemed Ali’s unzufrieden gewesen sein; er erhielt das Commando über die sogenannte Sofia-Armee.

Suleiman schlug sein Hauptquartier erst in Rasgrad, dann an vielen anderen Orten auf, telegraphirte endlos über Recognoscirungen und Vorpostengefechte und ließ in Bulgarien genau wie sein Vorgänger auf die großen Thaten warten, die namentlich in der Befreiung Plewnas, eines ausgezeichneten Generals und einer tüchtigen Armee aus der eisernen russischen Umarmung gipfeln sollten. Osman Pascha blickte jedoch vergeblich auf seinen Wällen nach Ost und West. Die Witterung, die grundlosen Wege mochten viel Schuld an der langsamen Kriegführung Suleiman’s tragen; dennoch ging bereits das Gerücht seiner Ersetzung im Commando durch Ferif Fazly – da kam ihm der Sieg bei Helena (4. December) zu Hülfe, und schon glaubte man die Russen an ihrer gefährlichsten Seite bedroht, zwischen Tirnowa und dem Schipkapaß, als der Fall von Plewna einen Abschnitt in die Geschichte dieses russisch-türkischen Krieges und der Feldherrn-Laufbahn des Suleiman Pascha brachte. So fest und hoch steht er im Vertrauen des Sultans, daß ihm nicht nur der höchste Orden des Reichs verliehen, sondern auch die wichtigste militärische Stellung bei der nothwendigen Neugestaltung des Kriegs angewiesen wurde. Denn da man das Hauptgewicht jetzt auf die Vertheidigung der Balkanpässe und Rumeliens zum Schutz von Adrianopel und Constantinopel zu legen scheint, so hat Suleiman Pascha in diesen Tagen hier den Oberbefehl erhalten. Demnach ist dieser unselige Krieg nicht zu Ende.


Der letzte Brief eines Unglücklichen. Aus einer österreichischen Stadt, deren Namen wir vorläufig noch nicht nennen, geht uns nachstehender Brief zu, den wir hiermit auf Wunsch des Einsenders veröffentlichen:

„Geehrter Herr Redacteur! Diese Zeilen kommen von einem Manne, welcher, wenn selbe von Ihnen gelesen werden, nicht mehr unter den Lebenden ist; sie sind gleichsam meine letzte Arbeit, weshalb auch nicht Egoismus, Hülfebedürftigkeit oder Rache mir die Feder führt. Diese Zeilen sollen einzig und allein eine Warnung und für jene Männer, welche bei uns in Oesterreich Gesetze machen, ein Fingerzeig sein, ob nicht etwa einer furchtbaren Epidemie Einhalt gethan werden kann, die vor mir schon Hunderte in’s Elend und in die Arme des Todes gejagt hat und nach mir wohl noch Hunderte dazu drängen wird. Ich bin Beamter einer großen Unternehmung, diene siebenzehn Jahre und habe Frau und Kinder; Letztere sind nothdürftig versorgt, und ich bin überzeugt, daß sie ihre Mutter ebenso nothdürftig erhalten werden. Eine lange Krankheit meiner Frau brachte mich dahin, bei meinem nicht hohen Gehalte Schulden zu contrahiren; weil ich Niemanden hatte, dessen Hülfe ich in Anspruch nehmen konnte, mußte ich mich an Wucherer wenden. Anfänglich waren es Leichenkosten für ein mir verstorbenes Kind, 50 Gulden gegen einen Wechsel; dann stieg die Schuld immer höher, weil ich monatlich 8 Gulden Zinsen zahlen mußte; nun fiel ich in Hände, die nicht gegen Wechsel, sondern gegen Schuldschein borgen. Diesen Leuten giebt man Schuldscheine, in denen man sich verpflichtet, ihnen 10% per Monat für das geliehene Capital zu zahlen, auch in jenem Falle, wenn man gerichtlich eingeklagt wird und die zu beziehende Gage mit Beschlag belegt werden kann. Solche Schuldscheine werden sammt den Zinsen von der Behörde anerkannt, und diese hohen Zinsen zum Capital geschlagen. Ich wurde nun vier solchen Geldgebern binnen sieben Jahren 1800 Gulden schuldig, sodaß ich jährlich 2160 Gulden Zinsen zahlen sollte, ohne daß 1 Kreuzer vom Capitale abgezahlt wäre. Da ich nur einen Gehalt von 1200 Gulden habe, so kann ich unmöglich die Zinsen, vielweniger das Capital je im Leben zurückzahlen, und ich würde, wenn man mir meine Gage beispielsweise zehn Jahre abzieht, nach zehn Jahren eine horrende Summe, das heißt viel mehr schulden als ich zur Zeit der Klage schuldig war. Dieses unmögliche arithmetische Räthsel wird vom Gesetze anerkannt und durchgeführt.

Nun besteht bei uns in Oesterreich ein Gesetz, welches vorschreibt, daß jenen Beamten, welche ein fixes Gehalt haben und Schulden halber verklagt werden, unbedingt 600 Gulden bleiben müssen, und ich wäre glücklich gewesen und hätte, nachdem die Kinder halb versorgt waren, mit meiner armen Frau fortleben können – da wurde ich wegen Lähmung des rechten Armes (was Euer Wohlgeboren aus meiner Schrift ersehen werden), hauptsächlich aber wegen der besagten Schulden pensionirt. Es besteht aber für Pensionisten kein Gesetz mit obiger Wohlthat, und von demselben Tage an, an dem ich pensionirt, beziehen die Gläubiger die ganzen Bezüge, und ich, der ich nun unfähig bin, mir anderweitig mein Brod zu verdienen, müßte als Pfründner einer kleinen Gemeinde zur Last fallen und täglich in einem anderen Bauernhause das Mitleid anflehen, denn ich bin alt und krank.

Begreifen Sie nun, hochgeehrter Herr Redacteur, wie namenlos unglücklich ich bin, und wie mir nur der eine Weg des Selbstmordes übrig bleibt? Gott verzeihe mir! Mein armes Weib! Meine armen Kinder!

Wenn Sie, hochgeehrter Herr Redacteur, diese Zeilen erhalten, liege ich bereits in einer Schlucht unserer Alpen, wo ich sicher Ruhe vor meinen herzlosen Gläubigern, denen Gott verzeihen wolle, haben werde.

Ich bin im Augenblicke ein dem Tode Ausgesetzter; ich nenne keinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)