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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Abend mit einem Besuche beehrten. Ich merke nun wohl, daß Sie nicht ahnten, wen Sie durch dieses Kärtchen herabbeschwören würden. Machen Sie aber nur gute Miene zum bösen Spiel und nehmen Sie mit dem struppigen Menschen vorlieb, der sich Ihnen vorstellt!“

Er trieb den Scherz in dieser Weise weiter, um sich über seine eigene Beklommenheit hinwegzuhelfen, aber auf Irmgard verfehlte die leichte Art der Sprache ganz die gehoffte Wirkung. Sie hatte ihrer Mutter von dem Zurücklassen der Karte nichts gesagt und benahm sich nun wie ein Kind, das über einem dummen Streich ertappt wird und dem Angeber zürnt. Der Aerger trieb ihr Thränen in die Augen. „Warum ließ ich mich auch überreden!“ schmollte sie.

Ihre Mutter begriff nun den Zusammenhang. „Das hat sich wundersam gefügt,“ sagte sie leise, sehr wundersam. „Aber warum weinst Du, Närrchen? Herr Max Werner ist ja, wie ich Dir sagte, ein lieber Freund.“

Irmgard löschte mit den feinen Fingerspitzen die herabrollenden Thränen von der Backe fort. „Ich weine auch nicht,“ entgegnete sie trotzig, „es hat mich nur so erschreckt, weil ich Dir nicht … Ich gehe auf mein Zimmer. Hast Du etwas im Hause zu bestellen?“

„Nichts weiter, als daß ich das Frühstück hier im Pavillon aufgestellt wünsche.“

„Und wenn Sie die Güte haben wollten, mein Fräulein, mich Ihrem Herrn Vater zu melden,“ setzte der Maler hinzu, in der Meinung, eine Pflicht der gesellschaftlichen Höflichkeit nicht versäumen zu dürfen.

Das Mädchen blickte mit scheuer Verwunderung zurück. „Meinen Vater? Sie wissen nicht …“

Auch Frau von der Wehr schien peinlich berührt, sie legte die Hand auf den Mund, als ob sie um Schweigen bitten wollte.

Werner wurde erst jetzt auf die schwarzen Kleider der Damen aufmerksam. „Ach, mein Gott –“ stammelte er ganz verschüchtert, „sollte sich etwas ereignet haben, wovon ich in meiner Einsiedelei …“

Irmgard eilte fort, dem Hause zu. „Mein Mann wurde bei Gravelotte schwer verwundet,“ sagte Frau von der Wehr nach einer Pause mit so leiser Stimme, daß die Worte dem Maler kaum verständlich wurden; „er ist wenige Wochen darauf – verstorben.“

Werner griff an seine Stirn. „Todt!“ rief er. „Ihr Mann todt – und Sie sind Wittwe.“

„Nun schon seit Jahren.“

Er rieb mit der flachen Hand die Stirnhaut, als müßte er die plötzlich abgespannten Nerven durch ein äußerliches Reizmittel wieder zur Thätigkeit zwingen. „Seit Jahren,“ wiederholte er, „seit Jahren. Und ich wußte nichts – erfuhr nichts. Wie konnte ich auch? Ich hatte ja geflissentlich jede Verbindung – mit der Heimath abgebrochen. Seit meiner Schwester Tod – erhielt ich keinen Brief mehr von dort … mein Neffe stand im Kriege bei der Südarmee. Ich wollte – für Sie verschollen sein, Elise, um nicht Ihre Ruhe …“

Die schöne Frau senkte den Blick. „Sie hatten Ihren Zweck vollkommen erreicht,“ bestätigte sie. „Ich kannte Ihren Aufenthalt nicht, hätte Sie gar nicht unter den Lebenden gewußt, wenn nicht von Zeit zu Zeit auf Ausstellungen ein Bild mit Ihrem mir bekannten Malerzeichen –“

„Sie erinnerten sich meiner,“ rief er, „Sie hatten mich nicht vergessen? O, wie Sie mich heute empfangen haben – nein, nein! Sie hatten mich nicht vergessen!“

„Gewiß nicht,“ sagte sie, „die Glücklichen vergessen.“

„Und Sie waren - nicht …“

„Fragen Sie nicht – jetzt nicht!“

„Sie trauern noch immer …“

„Um ein verkümmertes Leben. Ich glaubte nie mehr froh werden zu können.“

„Ihr Gemahl –“

„Er war ein Ehrenmann und ist auf dem Felde der Ehre gestorben – Ehre seinem Andenken!“

„Ehre seinem Andenken – todt! todt – der Mann todt –“ Er schien in sich hineinzuträumen, bis sein Auge den Blick völliger Starrheit annahm. Dann raffte er sich auf. „Ich nehme Abschied für heute,“ sagte er; „und wenn ich auch morgen noch nicht den Muth haben sollte … lassen Sie mir Zeit, mit diesen Geschehnissen fertig zu werden, die auf einmal Alles – Alles – Leben Sie wohl! Ich sehe Sie wieder, Elise!“ Er stürmte fort.

3.

Werner hielt sich erst eine Weile auf dem Wege, der nach seinem Hause führte. Als er aber an der Felsecke vortrat, wendete er sich links und stieg einen steilen Bergpfad hinauf, ohne Ausruhen höher und höher. Die Mittagssonne brannte heiß aus das kahle Gestein. Sobald er den Wald erreicht hatte, gab er den Fußpfad auf und streifte wegelos durch das dichte Laubholz. Als er aus der oberen Lichtung hinaustrat, waren viele Stunden vergangen.

Nun zwang ihn die Ermüdung doch zur Rast. Er setzte sich auf einen Stein, stützte das Gesicht an die Hände und blickte träumerisch über die grünen Baumwipfel weg nach der Stadt in der Tiefe. Als die Sonne unterging, rief er ihr zu: „Morgen, wenn Du aufgehst, soll ein neues Leben beginnen.“ Er fand nicht weit vom Waldrande ein üppiges Mooslager, darauf legte er sich und überließ sich seinen Gedanken. Während seiner einsamen Wanderung war ihm vieles Vergangene wieder gegenwärtig geworden. Er hatte sich nun damit gleichsam von Neuem abzufinden gehabt.

Die Tage seines bisherigen Lebens, was waren sie anders als die alte, ewig neue Geschichte von gescheiterten Hoffnungen, von Liebesnoth und Liebesleid? Seine Wiege stand in einem saarländischen Bauernhause. Bei dem Pfarrer in dem Kirchdorfe Heiligen-Kreuz sah er einige Bilderwerke, die ihn zum Zeichnen anregten. Man wurde auf seine Talente aufmerksam und gab ihn zu einem Malermeister in Königsberg in die Lehre. Bald war er seinem Meister über den Kopf gewachsen. Der brave Mann dachte menschenfreundlich genug, seine Kunstfertigkeit nicht für sich auszunützen. Er stellte ihn in der Akademie vor und ließ ihm mehrere Stunden des Tages zu seinen Studien und Uebungen frei. Als er das Handwerk ausgelernt hatte, beschloß er, sich ganz der Kunst zu widmen. Es fehlte ihm bald auch nicht an eigenem Verdienste, da ihn der Director der Anstalt wohlhabenden Familien als Lehrer empfahl. So kam er in das Haus des reichen Kaufmanns Fränkel. Elise, die Tochter des Hauses, die er unterrichten sollte, war damals erst dreizehn Jahre alt, aber sie wurde sechszehn, während er die Stunden regelmäßig fortsetzte, und der Ton zwischen Lehrer und Schülerin blieb der vertraulichste, daß sie einander liebten, war Beiden gewiß, ehe noch diese gegenseitige Neigung sich in Worten ausgesprochen hatte. Erst als Elise in die Gesellschaft eingeführt wurde, regte sich bei Werner das eifersüchtige Gefühl, sich den Besitz der Geliebten zu sichern. Er sagte ihr Alles und beschwor sie, ihm für’s Leben anzugehören.

Sie ließ ihm keinen Zweifel, daß sie ihn liebe, aber doch bemächtigte sich ihres Wesens eine Bangigkeit und Unruhe, die ihn seines Glückes nicht froh werden ließ. Die Frage des ängstlichen Mädchens: „Was wird der Vater dazu sagen?“ brachte ihn ganz außer Fassung.

Als Max Werner bei dem Vater seinen Antrag anbrachte, lachte dieser ihn aus. „Sie sind ein Narr!“ Und nun bot Fränkel Alles auf, jede Beziehung seiner Tochter zu dem Maler abzuschneiden, und als dieser Versuch, wenn er auch äußerlich gelang, an der beharrlichen Liebe des Mädchens scheiterte, kam der reiche Mann eines Tages in die Werkstatt des Künstlers. „Gut,“ sagte er, „ich will nachgeben, wenn ich die Gewißheit erhalte, daß beide Theile sich über ihr Gefühl nicht täuschen. Lassen Sie meiner Tochter zwei Jahre Zeit, ihr Herz zu prüfen. Aber die unumgängliche Bedingung ist, daß bis zum Ablauf dieser Zeit jede Verbindung zwischen Ihnen und ihr aufhört. Unternehmen Sie eine Studienreise nach Italien – es wird mir eine Ehre sein, einem so lebensvollen Manne dazu die reichlichen Mittel zu gewähren.“

Werner durfte an dem Ernst der Worte Fränkel’s nicht zweifeln, leider glaubte er auch an die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung und stimmte zu. Er wußte ja jetzt, daß Elise ihn nicht aufgegeben hatte. So reiste er nun mit leichterem Herzen ab. Nach zwei Jahren – es war in Rom, wohin er sich gewandt hatte – erhielt Werner einen Brief: Elisens Verlobungsanzeige.

Er kannte ihren Verlobten, den Hauptmann von der Wehr;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1878, Seite 022. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)