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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

den quiekenden Nager zwischen den Zähnen. Nun raschelt es lebhafter im Laube und auf einen leisen Murkston der Igelmutter kommen hintendrein fünf halbwüchsige Igelchen, von denen die beiden Vordersten sich über die entgegengebrachte Beute hastig, aber keineswegs friedlos herstürzen. Während diese die Maus zerreißen, mischen sich die drei nachkommenden Geschwister unter die Schmausenden. Unterdessen hat sich, von sichtlicher Unruhe getrieben, die Igelmutter wieder nach dem Platze begeben, wo sie soeben die Maus gefangen. Das Rüsselschnäuzchen ist emsig thätig und wühlt jetzt im Laube am Rande des Weges; unter der Beihülfe der scharfnageligen, grabenden Füße hebt sich die Erde und jetzt erfolgt ein zufahrender Ruck des Vorderleibes und dann wird das Quieken einer Maus hörbar. Wirklich, eine zweite Maus hängt am Gebisse des Räubers und ist zu Tage gefördert. Das Verkriechen im unterirdischen Gange hat ihr nicht geholfen; der aufmerksame Igel hatte sie beim Fange ihrer Gefährtin bemerkt, und darum trieb ihn der Eifer sogleich zur Fortsetzung der Jagd. Diesmal wird die Maus von dem gleichzeitig der Mutter entgegenkommenden „Geheck“ in dichtem Knäuel im Beisein der Versorgerin verzehrt. Da knackt unter meinem Fuße ein dürres Reis, und wie ein elektrischer Schlag durchzuckt es die Panzermuskeln der Igelfamilie, und da liegen sechs zusammengerollte Kugeln vor mir. Noch weiche ich nicht vom Platze und stehe regungslos. Nach wenigen Minuten entrollt die Alte ihren Stachelmantel, und vertraut folgen ihrem Beispiele die Kleinen, die erst seit Kurzem befähigt sind, den Mantel über die verletzbaren Körpertheile zu ziehen, der Familienwohnung zutrippelnd. Hier wurden indessen die Jungen nicht geheckt. Ihre Geburtsstätte war ein seit Jahren unterhöhlter Hügel, ungefähr hundert Schritte von dieser Wohnung entfernt, mitten im Gestrüppe, Gestein und Genist. Dort hatte ich die tagalten Kleinen entdeckt. Beim Untersuchen der Wohnung hörte ich die ängstlich besorgte Mutter ein trommelartiges Knurren ausstoßen, ähnlich wie es der Dachs hören läßt. Die nackten Jungen mit verschlossenen Ohren und Augen konnten kaum 17 Centimeter lang sein, und die in weichzelliger, dehnbarer Hautunterlage steckenden weißen Stacheln waren eben im Durchbruche begriffen. Das Nest, welches äußerlich aus einer festeren Laub- und Moosschicht bestand, war inwendig mit feineren Gras-, Genist- und Moosstoffen ausgelegt. Ich griff zur Schonung des Gehecks sehr behutsam in das Familienheiligthum ein und entfernte mich alsbald wieder, nachdem ich die äußere Ordnung hergestellt hatte.

Nach einigen Tagen sah ich zum zweiten Male nach den Igeln und fand die Stacheln der Jungen schon ziemlich weit der Haut entwachsen. Acht Tage später zeigte sich mir das Nest leer. Nach längerem Suchen fand ich die ganze Familie hier in neu errichtetem, aber sehr lose und nachlässig geformtem Nachtlager. Die besorgte Alte hatte ihre Jungen in Sicherheit gebracht, unzweifelhaft im Maule hierhergeschleppt. Sehr rührig war die Pflegerin, die mehrere Wochen alten Kleinen mit von außen zugetragener Nahrung zu versehen, obgleich ihnen das Gesäuge noch lange nicht entzogen wurde. Hier wurde Puppe, Käfer, Schnecke und Wurm erbeutet, dort nach Engerlingen und Mäusen gewühlt, dort endlich Grille, Heuschrecke, Eidechse und eine Blindschleiche gefangen. Bei allen diesen Unternehmungen bekundet sich ein scharfer Geruch- und Gehörsinn. Unter treuer Mühewaltung, Pflege und Anleitung bis zum Herbste gelangen die jungen Igel zur vollkommenen Selbstständigkeit und gehen nun getrennt ihre Wege.

Nimmt man im Verhältniß von Alt und Jung und im geschwisterlichen Verbande nur Friedfertigkeit wahr, so findet man ein rühmliches Gegenstück auch im Verhältniß der beiden Geschlechter zu einander, zur Zeit der Werbung und Paarung. Zwar legt der Regel nach jedes stachelbewehrte Individuum der Igelsippschaft sein eigenes Nest an, aber es sind Fälle beobachtet worden, daß das Paar ein und dieselbe Wohnung in Zärtlichkeit theilte. Immer aber kommen Beide, wenn sie auch getrennt wohnen, häufig an stillen Plätzen auf nächtlichen, wie auch auf Tagausgängen zusammen. Hartnäckige, erboste Raufhändel und schneidige Liebesduelle zwischen borstigen Nebenbuhlern habe ich niemals gesehen.

Oft findet man Weibchen, welche den Sommer über, umgeben von Männchen, ohne Nachkommenschaft bleiben; sie sind einjährige Igel, welche, noch nicht fortpflanzungsfähig, in Abgeschiedenheit und Abneigung gegen Geselligkeit ihren Haushalt eingerichtet haben und beim Begegnen von Ihresgleichen so fremd erscheinen, wie Nachbarn in großen Städten, die nicht wissen oder nicht wissen wollen, daß sie neben einander, vielleicht unter einem Dach wohnen.

In gewissen Jahren treten die Igel viel zahlreicher auf, als in andern. Wesentlichen Einfluß auf ihr Gedeihen hat der Charakter des Winters, zumal des Spätherbstes. Tritt der strenge Nachtfrost bei vorausgegangener Nässe frühzeitig ein, so sterben die jungen Igel in großer Anzahl. An einem Octobermorgen fand ich nach scharfem Nachtfroste auf dem Wege zwischen einem Bach und dem von ihm gespeisten Teich sechs junge Igel an den Bosqueträndern starr hingestreckt. Diese Thiere sind gegen die Kälte außerordentlich empfindlich. Wohl ihnen darum, wenn sie zeitig als wohlgenährte, fettstrotzende Winterschläfer sich winterlich einrichten! Zu diesem Zweck tragen sie Laub, Moos, Heu und Stroh in Menge ihren geschützten Schlupfwinkeln zu und geben diesen Stoffen im Innern eine sorgfältige Polsterwandung. Nach Lenz wälzt sich der Igel und spießt die Stoffe massenhaft an seine Stacheln, um dann beladen der Wohnung zuzuwandeln. Hier hält er einen tiefen Winterschlaf, aus welchem ihn erst die Märzluft weckt. Uebrigens erwacht er zuweilen, bei gelindem Wetter, auch in Wintermonaten.

Nirgends finde ich indessen diese Angabe in den naturgeschichtlichen Werken; selbst in den besten und neuesten fehlt diese Beobachtung. Mitten im Januar habe ich die Fährte eines Igels, welcher in dem Nothbau eines Dachses, tief unter einer verzweigten Baumwurzel sein Winternest angelegt hatte, von der Röhre aus in die Wiese und an den das Thal durchfließenden Bach verfolgt. Hin und zurück gingen so viele Fährten, daß ein breites Pfädchen getreten war und mir anfänglich die Vermuthung nahe lag, es habe hier ein Iltis seinen regelmäßigen Wechsel. Ein Durchschlag vor dem vorliegenden Dächsel förderte den zusammengerollten Igel sammt dem Neste zu Tage. Trotz einer langsam schmelzenden Schneedecke herrschte damals eine ungewöhnlich milde Witterung anhaltend vierzehn Tage lang, Dieses eine Beispiel läßt den allgemeinen Schluß zu, daß der Igel, wenn auch in einen wirklichen Winterschlaf vertieft, doch vom Witterungseinfluß zum zeitweisen Erwachen und nächtlichen Ausgang veranlaßt wird. Wenn dies in der Nähe des am nordwestlichen Abhang des Vogelsberges gelegenen Alsfeld sich ereignet hat, wie vielmehr lassen sich ähnliche Erscheinungen in milder gelegenen Gegenden der Ebene erwarten!

Des Mäuse- und Rattenfanges wegen suchen Hausbesitzer Igel einzufangen und setzen sie in Keller und Kammern. Möglich, daß das nächtliche Gepolter, welches das Thier im Hause verursacht, zur Entstehung mancher Spukgeschichte Anlaß gab. Einen Weinrausch bringt man dem Igel als Mittel der Zähmung hier zu Lande nicht bei, wie dies denen empfohlen wird, welche mit ihm in ein intimes Verhältniß treten wollen. Es bleibt bei der Einkerkerung, wo ihm keine Nahrung gereicht wird, er vielmehr zu dem ewigen Kampf mit den nagenden Plagegeistern verurtheilt ist. Natürlich stirbt er hier Hungers, wenn er nicht zu seinem Glück einen Ausweg in’s Freie findet. Im Freien aber ist der Schauplatz seiner nutzbringenden Thaten. Gefräßig von Natur, zieht er Fleischnahrung der immerhin nicht unbeliebten Obstnahrung entschieden vor, und dies treibt ihn immer von Neuem zur Jagd auf Kerbthiere, Schnecken, Würmer und Mäuse an. Zur Bewältigung selbst gefährlicher, boshafter Thiere betritt er aber auch als wahrhaft ritterlicher Streiter den Kampfplatz. Dies beweist seine Jagd auf die ihm liebste unter allen von ihm gesuchten Beuten, die Kreuzotter, deren Gift ihm merkwürdiger Weise nicht schadet, wenn ihm auch wüthende Bisse in die Lippen und die Zunge beigebracht werden.

Die glänzenden Siege, welche der Igel in den Kisten des Naturforschers Lenz im Kriege mit Hamstern und Kreuzottern erfochten hat, machen ihn würdig, daß man ihm, statt ihm mit dem Stock mordend in die Weichtheile zu stoßen oder ihn, in Lehm gewickelt, am Bratspieß des Zigeuners über ein höllisches Heidenfeuer zu halten, den Lorbeer auf seine Stacheln steckt und ihn mit heiler Haut überall seine harmlosen Wege gehen läßt.

Hören wir aber, da mir hierin die eigene Beobachtung abgeht,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_032.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)