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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


war. Die Schloßherrin wußte, wer ihn jetzt ritt. Der Weg war holperig, mitunter steil; er führte aus dem Thale, in das hinein sich die Waldung erstreckte, zu der Anhöhe hinauf, wo Wald und Park sich vereinigten. So konnte denn das Pferd nur langsam näher kommen. Die Schloßherrin eilte ihm entgegen, mit klopfendem Herzen, mit fliegendem Athem, mit wogender Brust. Bei einer Biegung des Weges stand sie vor dem Pferde, vor dem Reiter.

„Ottokar!“

Die Stimme versagte ihr, und ihr Gesicht war schneeweiß, alles Blut war ihr zum Herzen gedrungen – sie war dem Umsinken nahe.

Der Reiter sprang vom Pferde, er warf dem Thiere die Zügel über den Hals und fing die Sinkende auf. Beide lagen einander in den Armen.

Sie waren ein schönes Paar, die Freifrau von Waltershausen und der Husarenrittmeister Freiherr Ottokar von Waltershausen. Sie, die feine, elegante, bleiche Dame, er, der gewandte, kräftige, elastische Soldat, dem die knappe Uniform wie angegossen saß, aus dessen Augen die Kühnheit blitzte, dessen ganzes Aeußere den sicheren männlichen Muth zeigte. Sein Gesicht trug die Formen und Züge seiner beiden Brüder, aber wie war er ein ganz Anderer, als diese, von denen der Eine träge Apathie, der Andere gar den Mangel an Geist zu Tage legte!

„Ottokar!“

„Emma! Endlich durfte ich Dich wiedersehen. Jahrelang warst Du grausam.“

„Ich war es nur gegen mich.“

„Gegen uns Beide war es das Geschick.“

„Es wird, es muß es bleiben, so lange wir leben. Aber laß uns diesen Augenblick genießen, Ottokar! Die nächste Stunde gehöre nur uns!“

Sie führte ihn auf dem Wege unter die Bäume des Waldes zurück. Sie gingen fest umschlungen und das Pferd folgte auf ein Zeichen des Officiers klug und gehorsam in einer Entfernung von wenigen Schritten.

Emma von Bartenfeld war die Nichte der verstorbenen Generalin von Waltershausen und eine Waise, ihr Vater war als armer Officier gestorben, und ihre Mutter hatte sie schon früher verloren. Die Tante nahm sich der Waise an, nahm sie zu sich. Emma wuchs auf und wurde mit ihren beiden Vettern Adalbert und Kurt erzogen. Die Brüder, in geistiger Beziehung von der Natur stiefmütterlich ausgestattet, konnten eine öffentliche Laufbahn nicht verfolgen und waren nur für ein stilles, zurückgezogenes häusliches Leben bestimmt. Dafür suchte die Mutter sie auszubilden; dazu gab sie ihnen die stille, gemüthvolle, mit reichen Geistesgaben ausgestattete Nichte zur Gesellschafterin und Erzieherin, aber dem Erbherrn Adalbert sollte sie später noch mehr werden. Bei seiner Unselbständigkeit bedurfte er einer verständigen und willenskräftigen Führerin.

„Emma,“ sagte die Tante eines Tages, „willst Du ihm die sichere, treue Lebensgefährtin werden? Willst Du, kannst Du mir und ihm dieses Opfer bringen?“

„Dir könnte ich jedes Opfer bringen, liebe Tante; denn Dir verdanke ich Alles. Aber Adalbert hat ein stilles, bescheidenes, genügsames Herz, die selbstlose Gutmüthigkeit, und ich bringe kein Opfer, wenn ich seine Gattin, Deine Tochter werde.“

Die Generalin umarmte die Nichte, die künftige Schwiegertochter. „Möge er auch Deinem Herzen theuer werden können, meine Emma!“ sagte sie.

„Ich werde ihn lieben.“

„Versuche es!“

Ich werde ihn lieben. Das achtzehnjährige Mädchenherz hatte es versprochen, hatte den Willen, das Versprochene zu halten. Da brachte der General seinen zweiten Sohn Ottokar auf Urlaub mit sich nach Hause. Er war Officier, junger Lieutenant in dem Regimente seines Vaters, und als Nachgeborener sollte er, gemäß der Gewohnheit des Adels, eine militärische Laufbahn einschlagen, worauf ihn sein ganzes Wesen auch hinzuweisen schien. Er hatte eine kräftige, gewandte, wohlgebaute Gestalt, einen kühnen Muth, ein feuriges Temperament und verband damit Geist und Edelmuth.

So sah Emma ihn; so sah sie ihn im Contraste zu seinen Brüdern. Und Ottokar Waltershausen konnte in dem still waltenden, verständigen und anspruchslosen schönen Mädchen nur das Opfer erblicken, das einer gewiß wohlgemeinten, aber unglücklich ersonnenen Combination gebracht wurde.

War es ein Wunder, daß die Beiden sich liebten, um so inniger und heißer sich liebten, als sie ihre Gefühle nicht austauschen, nicht einmal zeigen dürften, um so gewaltiger und verzehrender sich liebten, als endlich doch in einer glücklichen und doch so unglücklichen Stunde die Herzen sich fanden, sich einander entdecken mußten? Wohl trennten sie sich dann mit dem Schwure, sich ewig zu lieben, aber sich nie wiederzusehen. Den Schwur hielten sie. Sie sahen sich in vielen Jahren nicht wieder, und ihre Liebe war um so inniger geblieben, zu einer stillen verschwiegenen, um so süßeren Sehnsucht angewachsen.

Da wurde auch die Waltersburg von einem jener Bauernüberfälle bedroht, die damals wie eine furchtbare Volksepidemie durch das ganze deutsche Land sich zogen, die mit ihren Gewaltthätigkeiten, Plünderungen, Zerstörungen noch heute in dem Gedächtnisse Vieler leben. Man mußte sich bei Zeiten dagegen zu sichern suchen. Der Rentmeister, der erste Beamte des Schlosses, begab sich zu seinem Herrn.

„Herr Baron, überall im Lande haben die Bauern sich gegen ihre Gutsherrschaften empört, sie überfallen die Schlösser, plündern sie, stecken sie gar in Brand, verlangen Erlaß aller Abgaben, Befreiung von Diensten –“

„Man liest es in den Zeitungen,“ unterbrach der Baron den Beamten. „Aber unsere Bauern haben sich noch völlig ruhig verhalten.“

„Nichts, Euer Gnaden, steckt mehr an, als der Geist des Aufruhrs. Es dürften daher mindestens Vorsichtsmaßregeln geboten sein.“

„Ich denke,“ unterbrach ihn nochmals der Baron, wir sind hier sicher. „Das Schloß ist fest, denn es ist auf allen Seiten von dem vergitterten Hofe eingeschlossen.“

„Wir dürften doch in einer gefährlichen Lage sein, Euer Gnaden. Das Gitter würde dem ersten Anpralle weichen, und die entfesselte Menge, einmal im Schloßhofe, könnte schon an Thüren und Fenstern Verwüstung genug anrichten.“

„Sie hätten nichts davon, Heimann.“

„Sie hätten ihre Zerstörungswuth befriedigt, Rache ausgeübt.“

„Aber, mein lieber Heimann, die Bauern sind ja noch vollkommen ruhig.“

„Aeußerlich, Euer Gnaden. Der durch seine Hetzereien berüchtigte Bauernadvocat ist schon seit drei Tagen im Dorfe.“

„Heimann,“ sagte der Baron, „lassen Sie den Menschen arretiren! Geben Sie sofort dem Dorfschulzen den Befehl dazu!“

„Gnädiger Herr, wir würden dadurch den Aufruhr in helle Flammen treiben.“

„Aber was fangen wir denn an?“

„Dürfte ich mir erlauben, Euer Gnaden einen Vorschlag zu machen, so würde ich unterthänig anheim geben, zur Sicherheit des Schlosses von der Regierung ein Militärcommando hierher zu erbitten.“

„Ah, mein Bruder Ottokar!“ rief der Baron.

Der Rentmeister hielt den neuen Gedanken seines Herrn fest, er hatte damit einen Anker für seinen Zweck gewonnen.

„In der That!“ sagte er. „Wenn Euer Gnaden mir den Befehl ertheilen würden, so könnte ich noch heute abreisen, den Oberpräsidenten um das Commando bitten und zugleich den Wunsch Eurer Gnaden zu erkennen geben, daß das Commando unter den Befehl des Herrn Baron Ottokar gestellt würde.“

„Thun Sie das, besorgen Sie Alles, lieber Heimann!“

„Darf ich noch eine Bitte unterthänig hinzufügen?“

„Sprechen Sie!“

„Kein Dritter darf von der Sache wissen. Wir liefen sonst Gefahr, daß die Aufrührer etwas erführen und sofort losbrächen.“

„Sie haben Recht, Heimann. Kein Wort darüber soll über meine Lippen kommen, nicht einmal Kurt gegenüber. Darf auch meine Frau nichts wissen?“

„Es würde die gnädige Frau unnöthig beunruhigen.“

„Ja, ja!“

„Ich darf also unverzüglich abreisen?“

„Auf der Stelle, und kommen Sie sobald wie möglich zurück!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_038.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)