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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Hieronymus Lorm.[1]

     Mein Lied.

Ich klage nicht, daß mir kein Ruhm erblüht;
Die Welt belohnt nur, was von Weltluft glüht.
Ich singe nicht als Wachtel im Getreid’;
Ich singe wie der Hirsch nach Wasser schreit.

Wer mich vernimmt, dem ist das Auge naß;
Er holt tief Athem, vor Erregung blaß.
Die Welt vernimmt mich nicht – sie findet schnell
Und mühelos im Sumpf der Freude Quell.

Wär’s anders – ich verstummte. Denn mein Lied
Ist nur der Geist, vor dem die Welt entflieht,
Der, wenn sie schläft im Dunkeln, still erwacht –
Der Mutterschooß des Sternes ist die Nacht.






     Der Waldmann.

Im Walde haust ein alter Mann,
Der kaum sein Leben fristen kann.
Er trinkt vom Quell; er pflückt sich Beeren;
Sein Kleid will nicht dem Winter wehren.

Er hat kein Glück in dieser Welt
Und keinen Gott im Himmelszelt.
Er hat kein Weib, kein Kind und Keinen,
Der mit ihm möchte lachen, weinen.

Vor seiner Höhle traf ich ihn –
Da kam die Frage mir zu Sinn:
Warum, o Himmel! lebt dies Leben
Und hat sich nicht den Tod gegeben?

Als ich die Worte laut gewagt,
Hat er die Antwort mir gesagt:
„Mir ist kein Baum noch vorgekommen,
Der selbst die Axt zur Hand genommen.

Ich lebe wie der Baum: ich muß.
Ich lebe nach des Schicksals Schluß,
Und kann ich nicht versteh’n das harte –
Es hat mich hergepflanzt – ich warte.

Hab’ mir das Leben nicht bestellt
Und nicht verlangt auf diese Welt,
Gesorgt nicht, daß ich sei auf Erden,
Und sorg’ nicht, was soll weiter werden.“



Blätter und Blüthen.


Ein wälscher Ballhorn hinter ehrbarer Maske. In der Verlagsbuchhandlung von Baillière und Sohn in Paris erscheint gegenwärtig ein Buch unter dem Titel: „A. E. Brehm. Wunder der Natur. Der Mensch und die Thiere“. („Merveilles de la nature. L’Homme et les animaux.“) Die erste Lieferung, welche mir vorliegt, enthält in wörtlicher Uebersetzung folgende Sätze:

Seite 13. „Das Knochen- und Muskelsystem, von übertriebener Ausbildung, giebt ihrem (der Süddeutschen) Körper etwas Schwerfälliges in seinen Formen. Ihre Nase ist breiter und weniger vorstehend (als bei den Celten); ihre Backenknochen sind stark hervortretend; ihre Kinnladen endlich zeigen eine Ausbildung, welche im Verhältnisse steht zu den Bedürfnissen ihres Magens, obwohl die Eßlust dieser Bevölkerungen gar nicht zu vergleichen ist mit derjenigen der Norddeutschen. … Schwaben erzeugt nicht viel mehr als Hafer und Kartoffeln, dennoch aber leben die Einwohner der Ueberzeugung, daß ein Fremder, welcher sich einige Zeit bei ihnen aufhält, dies nur aus dem Grunde thut, sich einmal recht satt zu essen. Diese Naivetät geht natürlich Hand in Hand mit dem tiefsten Aberglauben. Die württembergischen Bauern z. B. haben die Gewohnheit, bei jedem Neubaue einen lebendigen Hahn unter dem Grundsteine einzumauern. Dieser Aberglaube hat bis jetzt durch nichts erschüttert werden können. Gewohnheit stellt sich bei ihnen jedem Fortschritte entgegen.“

Seite 14. „Die Formen der Norddeutschen sind noch massiger, als die der Süddeutschen. Eine körperlich so gebildete Race mußte naturgemäß mit einem riesigen Appetite begabt sein, und dem ist auch so. Der Kauapparat hat bei ihnen eine ungewöhnliche Entwickelung erlangt. – Die Sinnlichkeit herrscht bei den Norddeutschen vor, aber diese Sinnlichkeit ist weniger auf geschlechtliche Verhältnisse gerichtet, als der Verdauung zugewendet, sodaß die Sitten ziemlich rein geblieben sind. Thatkräftig, zähe, thätig, richtet der Deutsche seine Verstandesgaben nicht auf das Ideal, sondern auf die Sinnlichkeit und sucht das Nützliche mehr als das Schöne. Er ist bestimmt, praktisch und wunderbar begabt für die materielle Seite der Gesittung. Daraus folgt, daß die Künste auf die tiefste Stufe gestellt werden. – Der mecklenburgische und holsteinische Bauer arbeitet oft fünfzehn Stunden des Tages. Aber welche ungeheure Menge von Nahrung vertilgt er auch dabei! Wahr ist freilich, daß auch diejenigen Individuen, welche nicht arbeiten, nichts desto weniger eine wahrhaft wunderbare Menge von Nahrung zu sich nehmen.“

Seite 17. „Wir müssen noch etwas sagen über die Preußen, das heißt über die Bewohner Mecklenburgs, Pommerns, Brandenburgs und Schlesiens. Man verwechselt gewöhnlich die Preußen mit den Deutschen, aber schon vor einigen Jahren hat Herr Gordon, welcher sie genau kennt, gesagt: ‚Die Preußen sind weder Deutsche noch Slaven – sie sind Preußen.‘ - Sie sind das Ergebniß eines Gemenges von ureingeborenen Völkern mit Slaven und Finnen. Später vermischten sich einige germanische Völker mit ihnen, und zuletzt, nach Widerrufung des Edictes von Nantes, fand in Preußen eine französische Einwanderung statt. Diese Verschiedenheit des Ursprungs erklärt uns die Verschiedenheit, welche man zwischen den Sitten und dem Charakter der Preußen und der Deutschen beobachtet. Wir haben die Rohheit der ersteren, ihre Grausamkeiten, ihre Raubsucht kennen gelernt. Die Rauhheit der preußischen Sitten erinnert an die Slaven des Nordens und trennt die preußische und germanische Race vollständig.“

Die Leser, welche mein schriftstellerisches Wirken verfolgt haben, erkennen in vorstehend wiedergegebenem sinnlosem Geschwätz sicherlich ohne weiteres eine grobe Fälschung, denjenigen aber, welche mit meinen Schriften nicht vertraut sind, erkläre ich hiermit; daß ich niemals etwas Aehnliches geschrieben oder auch nur zu ersinnen vermocht habe, wie dies in dem genannten, erbärmlichen Machwerke mir unterstellt wird, daß ich mit Herrn Baillière niemals in Verbindung gestanden, noch solche anzubahnen versucht habe, daß ich endlich weder den kindischen Schreiber, welcher sich unter meinem Namen an dem gesunden Menschenverstande versündigt, kenne, noch bis zu dem Augenblicke, welcher mir die „Wunder der Natur“ in die Hand spielte, etwas von dem Erscheinen eines derartigen Buches gewußt habe.

Ich bin gewohnt, unter den rauhen Händen der Jünger und Nachfolger Ballhorn’s Spießruthen zu laufen und in Folge dessen ziemlich unempfindlich geworden. Ich habe erlebt und ertragen, daß mein „Thierleben“ in einer mich anwidernden Gestalt denen geboten wurde, für welche ich das Beste kaum für gut genug erachte; ich erfahre ohne Kümmerniß, wenn meine Werke von Halbwissern und Vielschreibern aller Art als verborgen, aber ergiebig fließende Quelle angesehen und ausgebeutet werden; ich lese mich oft und meist so, daß ich mich selbst kaum wieder erkenne; ich gestatte wohl oder übel, daß eines meiner Werke französischen Leserkreisen in einer Umwandelung geboten wird, wie sie der Uebersetzer der französischen Bildung für angemessen halten mag: aber ich gestehe Niemand die Berechtigung zu, unter meinem Namen, also gewissermaßen durch meinen Mund, mein eigenes Volk zu schmähen oder zu verunglimpfen, und ich trete der maßlosen Dreistigkeit Desjenigen entgegen, welcher solches versucht. Denn ich gehöre meinem Volke an mit jeder Faser meines Seins und achte, ehre und liebe es wie meine Mutter.

Aus diesem Grunde brandmarke ich den namenlosen wälschen Schreiber und seine Helfershelfer, welche sich des Namens eines geachteten deutschen Schriftstellers bedienten, um ihrem bedeutungslosen Grolle auf Deutschland und die Deutschen Luft zu machen, als ehrlose Fälscher und Verleumder.

Ich wünsche dieser meiner Erklärung die weiteste Verbreitung zu geben und ersuche deshalb alle Redactionen deutscher Zeitungen und Zeitschriften, meine Abwehr unterstützen zu helfen. Die Redactionen französischer Zeitungen aber, welche einem Deutschen gegenüber die Begriffe der Ehre noch nicht verlernt haben, fordere ich auf, in meinem Namen zu erklären, daß der Wechselbalg, welcher bei Herrn Baillière das Licht der Welt erblickt hat, französischen, nicht aber deutschen Ursprungs ist, ich wenigstens unschuldig bin an der Geringschätzung französischer Durchschnittsbildung, welche ein so klägliches Erzeugnis von in Deutschland undenkbarer Unwissenheit und Geschmacklosigkeit in jeder Zeile bekundet.

Berlin, am Neujahrstage 1878.
A. E. Brehm.




Torpedos und Anti-Torpedos. Es giebt eine Classe von Lustspielen, die man Intriguenstücke zu nennen pflegt und deren allgemeiner Charakter in der Devise: „List über List“ ausgedrückt werden kann. An diese Uebertrumpfungen des Gegners durch immer neue, die Machinationen desselben noch überbietende Künste erinnert, freilich in mehr tragischer Richtung, die jetzige Ausbildung des Torpedo-Krieges. Schon in dem satirischen Artikel: „Die Aussichten zum ewigen Frieden“, welchen die Gartenlaube im vergangenen Jahre veröffentlichte[WS 1], wurden Andeutungen über die neuesten Vervollkommnungen der Angriffstorpedos gegeben. Dieselben sind nunmehr so weit gediehen, daß so ein mechanisches Kunstwerk, wie sein Taufpathe, der Zitterroche (Raja Torpedo), die elektrische Batterie, mit der er zu dem vernichtenden Schlage ausholt, in seinem Hohlleibe trägt, mittelst comprimirter Luft oder Kohlensäure, die ihm als Proviant mitgegeben wird, sich in einer gewissen Wassertiefe bewegt, um die Panzerschiffe von unten, an ihren verwundbaren Weichtheilen anzugreifen etc. Höchst einfache Listen sind dabei zum Theil angewendet worden, um diese Bestien erst bissig werden zu lassen, nachdem sie eine gewisse Zeit im Wasser geschwommen sind, damit nämlich das Schiff, welches sie aussendet, und oft mittelst eines elektrischen Zügels wie ein Reitpferd steuert, nicht durch eine verfrühte Explosion in Gefahr gerathen kann, was in den Jugendjahren dieser Erfindung viele Menschenleben gekostet hat. Bei dem sogenannten „Bonbon-Torpedo“ steckt man der Bestie, um mich dieser bildlichen Sprache weiter zu bedienen, einen Bonbon in’s Maul, der sie so lange am Beißen verhindert, bis sich dieser Bonbon im Wasser aufgelöst hat, was eine gewisse Zeit erfordert. Der Bonbon sperrt nämlich die elektrische Leitung für den Zündstrom in einfach mechanischer Weise, und der Strom kann keinenfalls eher wirken, als bis er aufgelöst ist.

In Portsmuth ist eine besondere Torpedoschule eingerichtet worden, in welcher junge Seeleute für den gefahrvollen Umgang mit diesen Bestien einexercirt werden, andererseits aber auch, um sie unschädlich zu machen. Hierfür hat namentlich der Marinecapitain Arthur allerlei

  1. Proben aus den durch eigenartige Weltanschauung und ergreifende Innerlichkeit ausgezeichneten „Neuen Gedichten“ (Dresden, E. Pierson) des geistvollen Dichter-Philosophen, dem wir in unserer Nr. 35, 1877, ein freudig anerkennendes biographisches Denkmal gesetzt haben. Die in der eben erwähnten Sammlung niedergelegten lyrischen Poesien Lorm’s werden sicherlich die verdiente allgemeine Verbreitung finden.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Artikel ist in Heft 24, Jahrgang 1876 abgedruckt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)