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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

der Wand gegenüber eine Thür nach einer kleinen Stube öffnet, welche die Bibliothek des seligen Herrn Jeffé enthält. Unter der Haupttreppe hin gelangt man durch einen Gang in die nach der Terrasse zu gelegene Küche.

Im Salon befanden sich ein Pianino, Polsterstühle und zwei Spiegel. Auf dem Tischchen vor dem einen stand eine altmodische Stutzuhr, auf der ein dämonartiges Bronzebildchen mit großen Flügeln, welches sich in den Daumen biß – vielleicht ein Conterfei des Hausgeistes der Madame Jeffé, die sich später als ein nichts weniger als liebenswürdiges Frauenzimmer erwies – grinsend den Verhandlungen zusah, die zu den Verträgen mit den süddeutschen Staaten, zur Proclamirung des deutschen Kaisers und Reiches und später zur Uebergabe von Paris und zur Feststellung der Friedenspräliminarien führten, Verträgen, die sämmtlich in diesem Salon unterzeichnet wurden. Ein weltgeschichtliches Zimmer also. Auf dem andern Spiegeltischchen lag am Tage nach unserm Einzuge eine Karte von Frankreich, auf der die Fortschritte der französischen Armee durch eingesteckte Nadeln mit bunten Köpfen bezeichnet waren. „Vermuthlich von Madame,“ sagte der Minister, als ich mir’s betrachtete. „Aber sehen Sie, blos bis Wörth.“ Das Billardzimmer wurde zum Bureau für die Räthe, den Secretär und die Chiffreurs eingerichtet. Ein Theil des Wintergartens nahm, als im Januar starker Frost eintrat, das Commando auf, welches die Wachtposten vor dem Eingange stellte und zuerst aus Linieninfanterie, dann aus grünen Jägern bestand. In der Bibliothek machten sich’s Ordonnanzen, Kanzleidiener, hin und wieder ein dickbäuchiger lederner Depeschensack, der auch Nichtofficielles, z. B. unsere Winterkleider, zu befördern die Gefälligkeit hatte, und einige Tage lang ein großer Haufen französischer Briefe bequem, welcher die Fracht eines von unseren Soldaten aufgefangenen Luftballons gebildet hatte.

Geht man die Haupttreppe hinauf, so gelangt man zunächst wieder auf einen Vorsaal, der durch eine viereckige Oeffnung in seiner Decke und ein über derselben im Dache angebrachtes flaches Fenster eine Art Halblicht erhält. Zwei Thüren führen von hier in die Zimmer, welche der Minister inne hatte, zwei Stübchen, von denen keines tiefer als neun und breiter als sechs Schritte ist. Das eine, dessen Fenster die rechte Seite der Gartenfront des Hauses einnehmen, bildete sein Arbeitszimmer und zugleich sein Schlafgemach und war nur nothdürftig möblirt. Rechts an der Wand, der Thür gegenüber, stand sein Bett und weiterhin, in einer Art Nische oder Alkoven, ein Waschapparat. An der nächsten Wand befand sich eine Mahagonykommode mit messingenen Griffen zum Ausziehen der Schubladen, aus der sich in den letzten Monaten die Cigarrenkisten aufschichteten, welche Bremer Wohlthäter ihm gesandt hatten. Die Vorhänge vor den Fenstern waren von dunkelgrundigem geblümtem Wollenstoff. An der vierten Wand öffnete sich der Kamin. Ein Sopha, welches bisweilen vor das Feuer in letzterem gerückt wurde, ein Tisch in der Mitte der Stube, an dem der Minister, den Rücken den Fenstern zugekehrt, arbeitete und auf dem Landkarten nicht fehlten, endlich einige Stühle vervollständigten die, wie man sieht, überaus einfache Ausstattung des Gemaches.

Das andere Stübchen, welches etwas besser, aber keineswegs luxuriös möblirt war, sollte nächst dem Salon im Erdgeschosse zum Empfang Fremder dienen. Es war, wenn ich mich recht entsinne, die Stube des älteren Sohnes der Hausbesitzerin gewesen, und während der Verhandlungen über die Capitulation von Paris widmete man es Jules Favre zu seinen Meditationen und seiner Correspondenz. Es hat nur ein Fenster, welches auf die Seite neben dem Hause, wo die Tanne steht, hinausgeht, und an dem sich Vorhänge von grünem Wollenstoff befinden. Die Tapete ist grau in Grau gefärbt. Die Möbel bestehen in einem Secretär, aus dem zwei Globen und ein Tellurium stehn, einer großen Kommode mit Marmorplatte, einem Sopha, mit baumwollenem Stoff überzogen, der auf rothem Grunde graue und schwarze Paradiesvögel und Zweige zeigt, einem großen und einem kleinen grünbekleideten Lehnstuhle, ein paar Rohrstühlen, einem runden Tische, der in der Mitte steht und auf welchem Schreibmaterialien liegen, endlich einem kleinen Spiegel über dem Kamin. Alle Möbel sind von Mahagony. Vor dem Sopha breitet sich ein kleiner grüner Teppich mit rothen Arabesken aus. Auf dem Kaminsimse befindet sich eine altmodische Uhr mit kriegerischen Emblemen, zwei Obelisken mit brennenden Granaten, Kugeln an Ketten, Trophäen und einem das Schwert zückenden Krieger in römischer Tracht. Ueber der Uhr stehen zwei kleine blaue Vasen mit goldenen Streifen. Die Wände sind mit allerlei Bildern behangen, einem Oelgemälde in ovalem Goldrahmen, das eine hübsche junge Frau in einen schwarzen Kleide, einem andern, das einen Herrn in der Tracht der zwanziger Jahre darstellt, einem Stahlstich nach Raphael’s Madonna delle Sedie, einer Photographie, darauf ein alter Herr und eine alte Dame, einer Landschaft, endlich einer Lithographie, deren Inschrift besagt, daß Gustav Jeffé an der und der Kirche, an dem und dem Tage im Juni 1860 zum ersten Male zur Communion gegangen. Gustav ist der älteste Sohn des Hauses, die Dame in Schwarz vermuthlich dessen Mama in ihren besseren Jahren, das andere Portrait scheint der Großpapa Gustav’s zu sein.

In dem Zimmer, dessen Thür sich links von der zur Stube des Kanzlers führenden öffnet, wohnte Graf Bismarck-Bohlen, ebenfalls nach dem Parke und Garten hinaus, ihm gegenüber, mit Aussicht auf die Straße, Abeken. Neben der Hintertreppe hatte Secretär Bölfing ein Stübchen inne, während ich in der zweiten Etage über Bohlen’s Zimmer untergebracht war. Ich hatte hier ein gutes Bett, zwei Stühle, einen für mich, den andern für etwaigen Besuch, eine geräumige Kommode und einen Tisch, an dem sich’s ganz behaglich arbeitete, obwohl er von keinem Tischler geschaffen, sondern von unserem Tausendkünstler Theiß improvisirt worden war und eigentlich nur aus zwei Böcken bestand, aus denen ein ausgehobener Fensterladen ruhte. Für den Kunstfreund in mir hatte Herr Jeffé senior, nach Bericht der Gärtnersfrau ein leidenschaftlicher Maler und Zeichner, durch einige seiner artistischen Leistungen gesorgt, die unter Glas und Rahmen an den Wänden hingen. Der Naturfreund fand in dem erst herbstlichen, dann in Winterschnee und silbernem Reif prangenden Park recht artige Befriedigung seiner Wünsche. Gegen den Hauskobold, den Alp und andere nächtliche Ungethüme schützte der geweihte Buchsbaumzweig, der an der Wand hinter meinem Bette befestigt war.

Der Park hinter dem Hause ist nicht groß, aber recht hübsch mit seinen Schlangenwegen, die unter alten, von Epheu und Immergrün übersponnenen Laubbäumen und zwischen dichtem Busch- und Strauchwerk hinlaufen; von der Mauer rechts her rieselt aus moosbedeckten, mit Farrenkraut und breitblätterigen Pflanzen bewachsenen Steinen ein Quell hervor, der ein Bächlein und einen kleinen Teich bildet, auf dem Enten schwimmen. Links an der Mauer ziehen sich von einer Wagenremise aus, über welcher die Gärtnersleute wohnen, eine Reihe von Obstspalieren und vor denselben theils offene, theils mit Glas bedeckte Gemüse- und Blumenbeete hin. In den Gängen des Parkes sah man in hellen Herbstnächten die hohe Gestalt und die weiße Mütze des Kanzlers aus den Büschen in den Mondschein heraustreten und langsam weiter wandeln. Ueber was sann er nach, der schlaflose Mann, welche Gedanken wälzte er in seinem Haupte, der einsame Wanderer, welche Pläne keimten oder reiften ihm in stiller Mitternachtsstunde? – Minder andächtig stimmte ein anderer Freund des Parkes, der ewig junge Musenjünger Abeken, wenn man ihn mit wenig melodischer, aber desto lauterer Stimme des Abends in dem Gesträuche Strophen griechischer Tragiker oder „Wanderers Nachtlied“ recitiren hörte, und fast komisch nahm sich’s aus, wenn der alte Jüngling am nächsten Morgen unter den dürren Blättern am Boden empfindsam nach Veilchen für die Frau Geheime Legationsräthin in Berlin suchte. Doch ziemte sich’s am Ende nicht, daß ich darüber inwendig lächelte; denn ich habe zu bekennen, daß ich, von ihm angesteckt, meiner Frau Doctorin endlich auch einige schickte und Freude damit anrichtete.

Wie man sieht, war nicht das gesammte mobile Auswärtige Amt im Hause der Madame Jeffé einquartiert. Bucher hatte eine stattliche Wohnung auf der Avenue de Paris bezogen. Keudell und die Chiffreurs waren in Häusern untergebracht, die etwas weiter oben aus der Rue de Provence stehen. Graf Hatzfeldt wohnte dem unseren schräg gegenüber. Mehrmals war übrigens davon die Rede, den Kanzler umzuquartieren und ihm ein geräumigeres und eleganter ausgestattetes Haus zur Verfügung zu stellen. Indeß unterblieb die Ausführung, vielleicht weil er selbst das Bedürfniß nach einer solchen Aenderung nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_066.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)