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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

stark empfand, vielleicht auch, weil er die Stille liebte, die in der verhältnißmäßig einsamen Rue de Provence herrschte.

Diese Stille und Ruhe war jedoch am Tage nicht so idyllischer Art, wie manche Zeitungscorrespondenten sie damals schilderten. Ich denke dabei nicht an die Trommeln und Pfeifen ab- und heranziehender Bataillone, die man fast täglich auch bei uns hörte, und ebensowenig an den Lärm, den die Ausfälle verursachten, welche zweimal von den Parisern in der Richtung nach uns hin unternommen wurden, ja nicht einmal an die hitzigsten Tage des Bombardements, an die man sich gewöhnte, wie der Müller an das Klappern und Rauschen seiner Räder. Ich meine vorzüglich die vielen Besuche der mannigfaltigsten Art, die der Kanzler in diesen ereignißvollen Tagen empfing, und unter denen sich auch unvollkommene befanden. Manche Stunde glich unser Haus einem Taubenschlage; so viele Bekannte und Fremde gingen ein und aus. Von Paris aus kamen erst nichtofficielle Horcher und Postenträger, später in Favre und Thiers officielle Unterhändler, zuweilen mit mehr oder minder zahlreichen Begleitern. Aus dem Hôtel des Reservoirs erschienen Fürstlichkeiten. Wiederholt war der Kronprinz, einmal auch der König da. Auch die Kirche war unter den Besuchern durch hohe Würdenträger, Erzbischöfe und andere Prälaten vertreten. Berlin schickte Reichstagsdeputationen, Parteiführer, Banquiers; von Württemberg und Baiern stellten sich Minister zum Abschluß von Verträgen ein; die amerikanischen Generale, Mitglieder der fremden Diplomatie in Paris, darunter auch ein schwarzer Gentleman, der Vertreter Haytis, wünschten den vielbeschäftigten Staatsmann in der kleinen Stube oben zu sprechen, und daß auch die Neugier der englischen Reporters sich an ihn heranzudrängen suchte, versteht sich von selbst. Dabei Feldjäger mit gefüllten Depeschensäcken, Kanzleidiener mit Telegrammen, Ordonnanzen mit Nachrichten vom Generalstabe und über dem Allen Arbeiten hochwichtigster Art vollauf, Verdruß und Aerger, getäuschte Erwartungen, die wohlberechtigt gewesen, thörichte Urtheile der deutschen Zeitungen, Wühlereien der Ultramontanen – kurz, es war mitunter schwer zu begreifen, wie sich der Kanzler unter allen diesen Ansprüchen an seine Arbeitskraft und Geduld, unter diesen Störungen und Reibungen im Großen und Ganzen seine Gesundheit (er war in Versailles nur einmal zwei oder drei Tage unwohl) und die Frische bewahrte, die er oft noch spät am Abend in ernster und scherzender Rede an den Tag legte.

Haus der Madame Jeffé in Versailles, Bismarck’s Wohnung.
Nach der Natur aufgenommen.

Erholung gestattete sich der Minister nur wenig. Ein Spazierritt zwischen halb drei und vier Uhr, eine Stunde bei Tische, eine halbe Stunde bei dem darauf folgenden Kaffee im Salon, dann und wann später, nach zehn Uhr Abends, beim Thee noch eine längere oder kürzere Unterhaltung mit Denen, die zu haben waren, ein paar Stunden Schlaf nach der Morgendämmerung – die ganze übrige Zeit des Tages war, wenn nicht ein Ausfall der Franzosen oder sonst eine bedeutendere militärische Action ihn an der Seite des Königs oder allein nach einem Beobachtungsposten rief, dem Studiren und Produciren auf seinem Zimmer oder Besprechungen und Unterhandlungen gewidmet.

Bei Tische sah der Kanzler ziemlich alle Tage Gäste bei sich, und man lernte auf diese Weise fast alle bekannten und berühmten Namen, die in dem Kriege hervortraten, von Angesicht zu Angesicht kennen und hörte sie sich äußern. Wiederholt aß Favre mit uns, erst zögernd, „weil seine Landsleute drinnen hungerten“, dann auf verständigen Rath und Zuspruch hörend und den vielen guten Dingen, die Küche und Keller boten, so rechtschaffen wie Andere Gerechtigkeit widerfahren lassend. Einmal nahm auch Thiers mit seinem gescheidten Gesichte an unserem Diner Theil. Ein anderes Mal erwies uns der Kronprinz die Ehre, mit uns zu speisen und sich die ihm bis dahin nicht bekannten Mitarbeiter des Kanzlers vorstellen zu lassen. Wieder ein anderes Mal war Prinz Albrecht zugegen. Von anderen Gästen und Besuchern des Ministers nenne ich noch den Präsidenten des Bundeskanzleramts, Delbrück, der mehrmals wochenlang in Versailles war, den Herzog von Ratibor, den Fürsten Putbus, von Bennigsen, Simson, von Friedenthal und von Blankenburg, die baierischen Minister Graf Bray und von Lutz, die würtembergischen von Wächter und Mittnacht, ferner den Erzbischof Ledochowski und dann den Nuntius Chigi, Odo Russell, den jetzigen englischen Gesandten beim deutschen Reiche, von Roggenbach und den Fürsten Radziwill. Die Unterhaltung war, wenn der Chef zugegen, immer lebhaft und mannigfaltig, oft lehrreich. Die materiellen Genüsse lieferte zum Theil die Heimath in Gestalt von Liebesgaben, die in fester und flüssiger Gestalt zuweilen in Ueberfülle einliefen, sodaß die Speisekammer sie kaum faßte. Zu den edelsten gehörten eine Sendung Flaschen vom besten Pfälzerwein (wenn ich mich recht erinnere, Deidesheimer Kirchenstück und Forster Hofstück, die Jordan – oder war’s Buhl? – gespendet) und eine riesige Forellenpastete von Friedrich Schulze, dem Wirthe des Leipziger Gartens in Berlin, dessen patriotischer Wohlthätigkeitssinn uns zugleich reichlich mit vortrefflichem Biere versorgte. Zu den rührendsten zähle ich ein Gericht Champignons, welche Soldaten in einer Höhle ober einem Keller gefunden und dem Kanzler gewidmet hatten. Werthvoller noch und poetischer war ein Strauß Rosen, welchen andere Soldaten im feindlichen Feuer gepflückt.

Bedient wurden wir in der Hauptsache von unsern Kanzleidienern. Was weiblichen Händen überlassen werden mußte, wurde von einer gemieteten Aufwärterin und der Gärtnersfrau besorgt. Letztere erwies sich als eine feuerige französische Patriotin, welche die „Prussiens“ von Herzen haßte und Paris auch dann noch für uneinehmbar hielt, als Favre bereits die Capitulation unterschrieben hatte. Bazaine, Favre, Thiers waren ihr „Verräther“; vom Exkaiser sprach sie nur als von einem „cochon“, welches man, wenn es sich wieder in Frankreich betreffen ließe, auf das Schaffot schicken werde. Dazu blitzten die schwarzen Augen der kleinen, mageren, hektischen Frau so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_067.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)