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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gebunden.
Erzählung von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


7.

Die jungen Herren arbeiteten trotz des frischen Morgens und des Waldschattens im Schweiße ihres Angesichts an der alten Grabstätte der heidnischen Preußen. Sie hatten auf Harder’s Wunsch den höchsten Hügel ausgewählt. Der Referendar war der Eifrigste und Neugierigste; denn Harder hatte Damenbesuch zugesagt, und er merkte wohl, wer gemeint war. „Nun –?“ fragte er heimlich, „haben Sie sich noch so kaltes Blut bewahrt?“

„Vollkommen!“ versicherte Harder. „Es thut mir leid, Ihr Schicksal nicht theilen zu können.“

Der Referendar präparirte eine Cigarre. „Ach!“ sagte er lächelnd, „ich würde Ihnen diese Eroberung von Herzen gönnen; meine kleine Wunde ist längst vernarbt. Ich habe kürzlich eine Bekanntschaft gemacht, wissen Sie –!“ Er legte die Finger auf den Mund, als wollte er sich selbst Schweigen gebieten. Dabei blitzten ihm die Augen. – –

Irmgard hatte ihre Mutter vermocht, sie zu begleiten. Als die Damen anlangten, war eben einer der Spaten auf einen Stein gestoßen. Irmgard wollte nun selbst mithelfen, und man ließ ihr den Willen. Die Steine wurden oben und an der einen Seite gänzlich freigelegt, sodaß sich nun ein roher Bau erkennen ließ: auf einem Viereck von Feldsteinen lagen einige große platte Steine als Decke; vorn war eine Lücke gelassen, die wie eine kleine Thür zu dem Gewölbe erschien. Die Herren wälzten die Platten ab.

Der innere Raum war mit weißem Seesand mehrere Zoll hoch gefüllt gewesen; jetzt zeigte er sich fast überall mit der Erde überschüttet, die durch die breiten Fugen eingedrungen war. Es standen darin zwei Urnen von braungelbem Thon, die eine mit, die andere ohne Deckel. Die größere brach bei der ersten Berührung in kleine Scherben zusammen; die andere leistete, als Irmgard sie behutsam heraushob, mehr Widerstand; nur der Rand bröckelte ab. Sie schüttete den Inhalt von Asche und Kohlenresten auf ein Tuch. Dabei fiel zu ihrer großen Freude auch eine hübschgeformte Fibula von Bronze heraus, wie sie zum Zusammenhalten des Gewandes gebraucht wurde. Im Sande fanden sich noch das Eisengestell eines Pferdezaumes, eine Lanzenspitze, beides stark vom Rost angefressen, ein Häuflein rohbearbeiteter Bernsteinperlen, die zu einer Schnur gehört haben mochten, und einige Münzen aus der späteren römischen Kaiserzeit. Alle Gegenstände wurden von den Herren sehr galant dem Fräulein überreicht, unter dessen glücklichen Auspicien der Fund gemacht worden war.

Harder hielt, als die kleine Gesellschaft sich mit der Entzifferung der schwer leserlichen Inschriften auf den Münzen beschäftigte, eine Nachlese in der Asche, die der zusammengebrochenen Urne entfallen war, indem er sie mit einem spitzen Stöckchen durchsuchte. Dabei blieb etwas auf der Spitze stecken. Er nahm es ab, reinigte es von Erde und steckte es, wie er glaubte, unbemerkt zu sich.

Irmgard aber hatte ihn beobachtet. Als nun die Asche aus dem Tuch wieder in den Steinkasten geschüttet, die Steinplatte darüber gewälzt und die Erde in die Oeffnung des Hügels zurückgeworfen worden war, die kleine Gesellschaft aber den Rückweg antrat, schloß sie sich an Harder an, der absichtlich etwas zurückzubleiben schien, und begann ein Gespräch mit ihm. „Unsere Ausbeute ist recht zufriedenstellend,“ sagte sie. „Die Grabstätte scheint einem Krieger gedient zu haben, das eiserne Mundstück des Zaumes und die Lanzenspitze deuten darauf. Auch ist der Gewandhalter zu groß, um zu einem Frauenkleide gehört zu haben.“

„Ganz recht,“ antwortete er, „aber die Bernsteinperlen gehörten doch wohl einem weiblichen Schmuck an. Wir fanden ja auch zwei Urnen.“

„Aber in der zweiten war nur Asche. Oder haben Sie eine Entdeckung gemacht? Ich bemerkte, daß Sie einen kleinen Gegenstand aufhoben und an sich nahmen.“

„Ich stand also unter scharfer Aufsicht. Nun – eine Unterschlagung war nicht beabsichtigt, wie ich versichern darf.“

„Ach, wie können Sie so sprechen! Es hat ja jeder das beste Recht auf das, was er findet. Und wenn die Herren so freundlich waren –“

„Ich wollte aber auch etwas zu schenken haben, und etwas ganz Besonderes dazu. Wozu brauchten es die Andern zu wissen?“

„Sie machen mich neugierig.“

„In dem Steingehäuse – davon bin ich überzeugt – haben die Aschenurnen eines Mannes und einer Frau gestanden. Ich denke mir, die Frau war seine Frau, und sie starb jung. Er errichtete ihr dieses Grabmal und ließ in dem Steinkasten Raum für seine eigenen Reste. Nach seinem Tode wurde der Hügel geöffnet und seine Urne beigesetzt.“

Irmgard sah ihn überrascht an. „Woraus wollen Sie das schließen?“ fragte sie.

„Aus dem Umstande, daß die erste Urne zerfiel. Sie war die ältere und schon einmal dem Zutritte der Luft ausgesetzt gewesen, vielleicht auch beim Abräumen der Decksteine damals schon beschädigt worden.“

„Das läßt sich hören. Aber warum sagen Sie, daß die Frau jung war, als sie starb? Wissen Sie nicht auch gar, das sie schön gewesen ist?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_091.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)