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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aber das Glück blieb ihm treu. Wie er auf der ersten Reise Livingstone gefunden, so hat er auf der zweiten den größten Strom, die Schlag- und Pulsader eines neuen Lebens des Erdtheils, gefunden und befahren.

Bei allen Huldigungen, die ihm auf der Heimreise erwiesen wurden, wollte der große Mann immer nur als Journalist gelten. In der Dankrede bei seinem Ehrenfeste in Paris führte er aus: daß in allen seinen Gefahren und Strapazen ihn der Gedanke aufrecht gehalten hätte, er sei am Ende nur ein Journalist. „Als die Eingebornen an den Ufern des Lualaba mir den Weg nach der See verlegen wollten und ich ihnen die Stirn bot, sagte ich mir, ich sei ja nur ein Journalist. Und als ich endlich erschöpft und ausgehungert die Küste des atlantischen Oceans erreichte, erinnerte ich mich wieder, daß ich nur ein Journalist war, und ehe ich auch nur ein Glas Wein und einen Zwieback zu mir genommen hatte, setzte ich ein Telegramm auf und schickte es ab. Der Instinct des Journalismus war es, der mich bestimmte, wie ein Pfeil bis zum Victoriasee zu fliegen, der mich auf meiner Wanderung durch diese Urwildniß aufrecht erhielt, der mich trieb wieder Kehrt zu machen, das Udjidjiland zu besuchen und so zu vollenden, was die Entdeckungsreisenden vor mir noch offen gelassen hatten. Der Ehrgeiz des Journalisten war es, der mich sprechen ließ: ‚Ich will mein Vorhaben nicht aufgeben, sondern vorwärts gehen und die Arbeiten Livingstone’s vollenden‘.“

Einem dankenswerthen Briefe aus San Paolo de Loando an die Redaction dieses Blattes lag die Photographie unseres kleinen Bildes bei. Dasselbe zeigt Stanley unter den Mitgliedern einer portugiesischen wissenschaftlichen Expedition, die kurz vor ihm eingetroffen waren. Der Brief giebt auch von der äußern Erscheinung des außerordentlichen Mannes folgende Schilderung: Henry M. Stanley, an der Schwelle der vierziger Jahre, ist ein Mann von mittlerem Wuchse, untersetzter, doch nicht sehr kräftiger Gestalt. Seine Körperhaltung ist eine gleichmäßig ruhige mit gerade aufgerichtetem Haupte. Geberden begleiten nur in seltenen Fällen seine Worte, aber die großen Augen leuchten an bedeutsamen Stellen. Sein bis auf den Schnurrbart glatt rasirtes Gesicht ist faltenlos; die Züge haben etwas ungewöhnlich Strammes. Das Haupthaar, das er kurz trägt, ist dicht und in Folge der letzten Reise bedeutend ergraut.

Wir freilich haben bei dem Gedanken an die unaufhörlichen Kämpfe im nie betretenen Lande, an die Noth und Drangsale des beschwerlichen Zuges, an die unbeugsame Charakterstärke, die Umsicht und den Heroismus Stanley’s das Bild eines Heroen aus der Zeit des Columbus, dem Zeitalter der Entdeckungen Amerikas.


„Suste weiter nischt ack heem.“
Aus den alten Tagen des „Dichter-Vagabunden“.
Von Wilhelm Anthony.

Für die echte und wahre Popularität eines Mannes spricht nichts schöner und beweiskräftiger, als wenn man ihn zu einer Zeit, da diese Bezeichnung nach seinen Kalenderjahren eigentlich gar nicht zutreffend erscheint, allgemein den „Alten“ heißt – und darum so schön, weil’s eben beweist, daß der Alte längst vor Abschluß der Tagesrechnung eine gewaltige Summe von Thaten oder Erfolgen aufzuweisen gehabt, für welche die allgemeine Volksschätzung allbereits ein vollgewogenes Menschenleben voraussetzen zu können vermeinte. Wie solch ein Wort wird und wächst, das läßt sich im Einzelnen schwer nachweisen; es fliegt wie das Mariengarn über Wald und Feld und alle Schlagbäume. Jeder spricht’s nach, und Jedem ist’s recht. Jeder hat dasselbe Gefühl der Pietät, der Ehrfurcht und der – man möchte sagen – zu solch einem „Alten“ kindlich aufschauenden Dankbarkeit. Den „alten Holtei“ nannte man schon so, als er eben erst auf dem Zenith seines Lebensweges angelangt war und körperlich wie geistig frisch auf der Höhe stand. Die stürmische Odyssee seines ersten Lebenstheils lag bereits hinter ihm; der Vielgewanderte hatte sein Ithaka an dem traulichen Heerde seiner einzigen Tochter in Graz gefunden und spann sich dort wie ein fleißiger Seidenwurm still am Schreibtisch ein. Nach dem, was damals schon hinter ihm lag, konnte man ihn gleichwohl den Alten nennen, und wär’ es auch nur wegen der „Vierzig Jahre“ gewesen, die er ja nicht nur geschrieben, sondern auch erlebt hat. Und was hatte er daneben nicht Alles gedichtet und gesungen und im Dienste der Musen gewirkt an allen Enden! Und was hatte er daneben nicht Alles gelitten und verloren!

„Meine treuesten Freunde: Kummer und Schmerz!
Meine größten Feinde: ich und mein Herz!“

So konnte er schon damals ausrufen im schmerzerfüllten Rückblick auf den von Leichensteinen umfriedeten Lebensweg.

Vom „jungen Holtei“ weiß die Welt genug, sollte und könnte es wenigstens wissen; er selbst und viele Andere, die seines Werthes echten Goldgehalt erkannt, haben dafür nach Kräften gesorgt – vom „alten Holtei“ aber ist dann nicht viel mehr die Rede gewesen. Und darum soll’s hier geschehen; ein Epilog zu jener achtzigsten Geburtstagsfeier, welche der Nestor der schlesischen Dichter vor wenigen Wochen bekanntlich unter der herzlichsten Antheilnahme von Nah und Fern beging. Wohlverstanden, bezieht sich das eben Gesagte auf die Personalia des Dichters: daß sein poetisches Wirken nicht einschlummerte, bewies manches neue Buch, und kam in einem Jahr einmal keins, so durfte man nur Trewendt’s „Volkskalender“ aufschlagen, um zu erfahren, daß der „Alte“ doch niemals ganz feiern könne. Die Person aber trat allgemach zurück; der alte Herr zog selbst die Kreise um sich enger und enger. Sein stilles Heim im dritten Stock des in einer nicht allzu freundlichen Seitenstraße gelegenen und damals auch wenig bequem ausgestatteten „Hôtels zu den drei Bergen“ war keineswegs geeignet, dem betagten Wittwer den anmuthenden Zauber einer behaglichen Häuslichkeit zu bieten, wie ihn der moderne Comfort auch ohne großen Aufwand je nach Geschmack, Beruf oder Geistesrichtung eines älteren Pensionärs herzustellen vermag. Zur Wahl dieser Wohnung hatten alte Erinnerungen beigetragen und dann – der Umzug! So blieb’s denn schon von Jahr zu Jahr bei der alten Klause. „Die steilen Treppen halten die Wiederkehr manches überlästigen Besuches besser von mir ab, als zehn Cerberusse es vermöchten,“ sagte er einmal.

Freilich war’s mit diesen Besuchen oft ein wenig arg. Daß Jeder, der dem Reiche der Künste angehörte, dem alten Herrn seine Visite machte, verstand sich von selbst und diesen stand die Thür stets offen, aber müßige Neugier, stoffarme Feuilletonisten und dann die typischen Figuren, welche keinem Vorzimmer eines populären und berühmten Mannes fehlen, als da sind: der einen Album-Vers erbettelnde Gymnasiast, die stille Verehrerin, die um eine Haarlocke bittet, die hungernde Wittib eines „Collegen“ (?) – wie denen den Zutritt sperren? Holtei’s reiches Gemüth und seine große Gutmüthigkeit wurden dabei oft genug irregeführt. Er gab so gern, daß man ihm nur dankbare Schuldner hätte wünschen mögen. Und er sprach auch so gern, wenn eben ein Besuch kam, der ihn anregte. Die Lampenwelt stand dabei wohl immer noch ein wenig im Vordergrund. Fremde Gäste aus der Coulissenwelt brachten blos durch ihr Erscheinen und durch die Beziehungen, welche der Ort ihrer damaligen artistischen Wirksamkeit in den Erinnerungen des „Vielgewanderten“ anregte, eine solche Fülle von Anekdoten, Theatergeschichten und Reflexionen in seine Rede, daß der alte Herr stets die Kosten der Unterhaltung allein trug. Da wurden Namen aus dem goldenen Buch der Schauspielerwelt citirt, wie Anschütz, Marr, Löwe, Devrient – und mit vollem Feuer und Eifer bekannte sich der alte Herr zu der von jenen Großmeistern verfolgten idealen Richtung; mit heiligem Zorne wetterte er gegen den Götzendienst der falschen Kunst, die heut’ zu Tage in dem deutschen Musentempel sich eingenistet; mit edelstem und hinreißendem Enthusiasmus konnte er über die ethische und ästhetische Mission der Schaubühne reden, um dann zu einer persönlichen Anekdote, die hinter den Coulissen gespielt, überzuspringen und damit zu schließen. Freilich war der Humor solcher Schlußwendungen stets so überwältigend, daß auch der ärgste Hypochonder lachen mußte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_116.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)