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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


auf Eindrücke aus der Kinderzeit zu sprechen, und er hob als den mächtigsten den hervor, welchen er von Napoleon empfangen. „Nicht als Imperator, nicht als Besieger von Fürsten und Völkern, nicht als genialer Mann, der das Chaos der Revolution geschlossen und die Geschicke eines der geistvollsten Völker in seine starke Hand genommen, steht er vor mir da, sondern – als Menschenfresser.“

Erstaunt sah ich Thackeray an.

„Ja, ja, so ist es in der That.“ lachte er. „Ich war sechs Jahre alt, als die Meinen mit mir von Indien die Rückreise nach England antraten. Auf einer einsamen Insel im Meere legten wir an und ein alter Diener trug mich einen langen Weg über Feld bis zu einem umzäunten Garten, in welchem ein Mann promenirte. ‚Das ist Bonaparte, das Ungeheuer; jeden Tag frißt er drei Schafe und soviel Kinder auf, wie er bekommen kann,‘ raunte er mir zu.

Nie werde ich vergessen, welch gemischte Empfindungen bei diesen schrecklichen Worten sich in mir regten. Ich glaube der erste Keim von Haß wurde in mir wach und wendete sich gegen meinen Führer. Wie durfte er mich der Gefahr aussetzen von dem fürchterlichen Manne verspeist zu werden? Und dennoch schlang ich – so viel Falschheit ruht selbst in einem Kinderherzen – meine Arme um den Hals des alten Dieners und flüsterte ihm zu, nicht: er möge mich sofort aus der Nähe des Grausamen bringen, sondern: mir thäte der Kopf weh; ich wünsche mich niederzulegen. – Noch heute steht Alles so lebendig vor mir da; ich könnte die Scene zeichnen –“

„Thun Sie es!“ bat ich. „Madame Firmin hat uns bereits gesagt, daß Sie ein Künstler, ein Maler sind.“

Thackeray zog eine Art von Notizbuch hervor, das in seiner Größe die Mitte zwischen einem Album und einer Brieftasche hielt, nahm einen Bleistift zur Hand, und mit wenigen Strichen entstand der Garten, der wandelnde Mann, der Diener mit dem Knaben auf seinem Arme.

„Allerliebst,“ sagte ich, als Thackeray mir das schnell entworfene Bild überreichte, „aber weshalb haben Sie allen Personen eine solche Stellung gegeben, daß sie dem Beschauer den Rücken zuwenden?“

„Das ging nicht anders zu machen. Wo Sie sind, ist Sonne, da konnte ich meine Gestalten nicht hinblicken lassen – sie wären geblendet worden.“

Diese Worte wurden in einem Tone gesprochen, von einem seinen Lächeln und Mienenspiele begleitet, die jeder Beschreibung spotten. Sie schienen mit Grazie und Humor sagen zu wollen: „Bilde Dir nicht allzuviel auf meine Schmeichelei ein: sie soll hauptsächlich das Eingeständniß verdecken, daß die Aufgabe, drei charakteristische Köpfe in wenigen Minuten auszuführen sich mir als allzuschwierig erwies.“

Die Unterhaltung wurde bald eine allgemeine und man besprach die neueste französische Literatur und vor Allem Victor Hugo’s Werke, der sich durch seine „Feuilles d’automne“ und „Notre-Dame de Paris“ bereits einen europäische Ruf begründet. Einer der anwesenden Herren sprach seine Meinung dahin aus, daß dem Dichter, dem Schriftsteller, ein viel schöneres Loos beschieden sei, als dem Maler, dem Componisten, dem Bildhauer. Seine Werke erreichten den Thron und die Hütte, durcheilten alle Länder, während der Componist den großen Apparat eines Sängerpersonales und Orchesters, der Maler und Bildhauer die Salons und Kunstinstitute bedürfe, um seine Schöpfungen dem großen Publicum zugänglich zu machen.

Thackeray entgegnete schnell. „Nur der Maler, der Bildhauer ist der wahrhaft freie, unabhängige Mann. Hat er ein Werk geschaffen, so stellt er es aus; er bedarf, um dessen Wirkungsfähigkeit zu erproben, der Beihülfe keines anderen Menschen. Niemand kann davon etwas abnehmen, Niemand etwas hinzuthun. Schlechter steht der Operncomponist, der mit einer großen Zahl widersprechender Elemente zu rechnen hat, über welche er keinerlei Gewalt zu üben vermag. Das schlimmste Loos ist aber dem Dichter beschieden. Nehmen wir an, ich hätte ein Meisterwerk – meine Erstlingsarbeit – verfaßt und das Glück gehabt, mit einem Buchhändler von hoher Intelligenz und Redlichkeit einen Verlagscontract zu unterzeichnen. Da stirbt der Edle ganz plötzlich; sein Geschäft wird verkauft und ich – ein an Händen und Füßen gefeselter Sclave – gehe an einen neuen Herrn über. Mein jetziger Gebieter ist filzig, flößt mir die größte Antipathie ein. Ich protestire gegen seine Rechte auf mein Werk und erreiche nichts weiter. als daß er einen grimmen Haß auf mich wirft. Was kann er Alles thun? Er druckt mein Meisterwerk auf Löschpapier und mit so winzigen Lettern, daß nur ein Falkenauge zwei Seiten davon hinter einander zu lesen vermag, ohne Schmerzen in seinem Sehorgane zu empfinden. Bei pathetischen oder besonders rührenden Stellen werden Druckfehler angebracht, welche den Sinn meiner Worte in’s Lächerliche verkehren und selbst das Zwerchfell eines Menschenhassers erschüttern müssen. Noch mehr: mein Herr erwirbt das Machwerk eines literarischen Handlangers, kündigt es lobpreisend an und empfiehlt gleich darauf meine Arbeit mit den mich als Schriftsteller vernichtenden Worten: ‚es gereicht mir zu besonderer Freude, dem Publicum ein gleich classisches Werk, den Roman von Herrn X., übergeben zu können.‘ Keine Waffe bleibt mir, um abzuwenden, was über mich hereingebrochen; voll Ingrimm fordere ich den schändlichen zum Zweikampfe; er tödtet mich, wie er meine Schöpfung umgebracht, und keine Menschenseele erfährt, daß ein Genie gelebt und gelitten."

Alle Anwesenden wurden durch diese mit köstlicher Laune vorgetragene Skizze von den Leiden eines Schriftstellers in die heiterste Stimmung versetzt, und worüber Thackeray sich auch äußerte, man empfing den Eindruck, mit einem der liebenswürdigsten und begabtesten Männer zu verkehren. –

Als ich spät am Abende in meinem Reisetagebuche fixirte, was ich gehört, sprach ich dies ebenfalls mit allem Enthusiasmus des Jugendalters aus.

Dreizehn Jahre später erschien „Vanity fair“ und wies Thackeray seinen Platz unter den ersten Schriftstellern des Jahrhunderts an. Wie erstaunte ich, daß der Mann, dessen Namen ich lange Zeit vergeblich unter den neu auftauchenden hervorragenden Malern Englands gesucht, nun plötzlich als ein Autor von hoher Bedeutung sich kund gab! Je öfter ich mich aber an jenen Abend in Paris erinnerte, je deutlicher erkannte ich in allen Aeußerungen von Thackeray die Blüthe des liebenswürdigen Humors, dessen Reife einst so viele Menschen entzücken sollte.


Aufforderung. Am 9. Novbr. 1878 wird sich ein Menschenalter erfüllen seit jenem 9. November 1848, an welchem Robert Blum in der Brigittenau bei Wien verblutete. Die Idee, für welche er sein Leben hingab, die Einheit und Freiheit des deutschen Vaterlandes, ist verwirklicht worden. Ein glücklicheres Geschlecht ist herangewachsen, das gerecht und unparteiisch die Verdienste wie die Fehler der Männer zu würdigen vermag, die im „tollen Jahre“ 1848 muthig und erfolglos um die höchsten Güter der Nation stritten. Es erscheint daher die Zeit gekommen, auch das Leben und Wirken eines der edelsten Kämpfer und Opfer jener Tage, das Leben und Wirken Robert Blum’s darzustellen. Ein treues, vollständiges Lebens- und Charakterbild dieses Mannes ist bis jetzt noch nicht gezeichnet worden. Noch heute „schwankt, von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, sein Charakterbild in der Geschichte“. Zur Klärung dieses reinen großen Bildes beizutragen sind Viele berufen, die kaum ahnen, daß sie es können, daß sie sogar verpflichtet sind, es zu thun. Jeder Mensch wird in gewissem Sinne am besten geschildert durch sich selbst, durch Briefe, Aufzeichnungen, Aeußerungen, die er in vertrautem Verkehr ohne Rücksicht auf das Urtheil der Mit- oder Nachwelt Anderen überlieferte. So erfahren wir am sichersten, wie in seinem Kopfe die Welt sich spiegelte, wie er mit der Zeit geworden und gewachsen ist. Viel ist im Laufe von siebenzehn Jahren zur Beurtheilung Robert Blum’s auf diesem Gebiete gesammelt worden. Vieles, was zu seiner Beurtheilung wichtig wäre, z. B. seine Correspondenz mit dem Herausgeber der „Vaterlandsblätter“, Rudolf Rüder, mit seinem Schwager Günther, ist für immer (durch Feuer) verloren gegangen. Vieles aber ist auch heute noch im Besitze von Unbekannten. An sie ergeht hierdurch die freundliche Bitte, unter Beifügung der genauen Adresse der Absender alle Originalhandschriften von Robert Blum gegen die Zusicherung baldigster Rücksendung – oder wenn sie Bedenken tragen, sich von den Originalen zu trennen, Abschriften derselben – an einen der Unterzeichneten einsenden zu wollen.

     Leipzig, im Februar 1878.Ernst Keil.0 Dr. Hans Blum, Rechtsanwalt.     


Ein letzter „Luther“ in Noth. In weiteren Kreisen ist es schwerlich bekannt, daß von des großen Reformators Familie ein Seitenzweig sich in Böhmen erhalten hat und dort wieder zur katholischen Kirche bekehrt worden ist. Aus dieser verarmten Familie wurde im Jahre 1830 ein neunjähriger Knabe, Anton Luther, von seinem Geburtsort Stöckei in Böhmen in das Erfurter „Martinsstift“ übergeführt und in demselben erzogen. Bekanntlich besteht dieses Martinsstift seit 1817 und ist von der „Gesellschaft der Freunde in der Noth“ zu dem Zwecke gegründet worden, verlassene und verwahrloste Kinder aufzunehmen und ihnen die Segnungen des Vaterhauses zu gewähren. Als Heimstätte erhielt es einen Theil des Augustiner-Eremitenklosters, durch dessen Pforte einst Luther seinen Einzug gehalten hat, ebendeswegen führt der neue, durch die Munisicenz des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten an die Stelle der baufälligen Klosterräume nunmehr getretene schöne Neubau den Namen „Zur Lutherpforte“.

Anton Luther fand noch im alten Kloster, und zwar unter dem Director Reinthaler, Aufnahme, der auch nach der Schulzeit für sein Fortkommen zu sorgen suchte, aber leider mit so wenig Glück, daß jetzt der sechsundfünfzigjährige Mann als Modellschreinergeselle in dem Städtchen Tennstädt sein Brod verdienen muß. Es fehlt gewiß nicht an Verehrern des großen Reformators, welche dem letzten Abkömmling seiner Familie gern den trüben Lebensabend durch werkthätige Theilnahme erhellen. Da die „Gartenlaube“ das Sammeln für Unglückliche ohne besondere Ministerialgenehmigung unterlassen muß, so erlauben wir uns, die Adressen des Herrn Senator H. Gerber und des Herrn Kreisgerichtsraths Bürger in Tennstädt zu nennen, welche Herren zum Empfange der betreffenden Gaben bereit sind.


Ein deutscher Schriftsteller von geachtetem Namen und geschätzter Mitarbeiter der „Gartenlaube“ nimmt unsere Vermittlung zur Erlangung einer Stelle in Anspruch, welche seinen Kenntnissen und seiner Gesundheitslage entspricht, da die letztere durch die Fortführung seiner bisherigen Berufstätigkeit anfängt gefährdet zu werden. Eine Anstellung als Archivar, Bibliothekar, Custos oder sonstiger Beaufsichtiger von wissenschaftlichen oder Kunst-Sammlungen würde dem in den besten Lebensjahren stehenden, sehr sprachen-, geschichts- und literaturkundigen Manne, der das juristische und philologische Staatsexamen gemacht und den philosophischen Doctorgrad erworben hat, eine ihm angemessene Wirksamkeit eröffnen. Ist nicht irgendwo durch fürstliche, städtische oder Privatmachtvollkommenheit für diesen uns sehr am Herzen liegenden, hochbegabten Schriftsteller und Gelehrten eine Stelle zu beschaffen? Jedes dieser dringend gestellten Frage freundlich entsprechende Anerbieten würde uns zu aufrichtigem Danke verpflichten. D. Red.     



Kleiner Briefkasten.

C. F. Nr. 16 und C. Fr. in Berlin. Ungeeignet! Das Manuscript steht zu Ihrer Verfügung.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_142.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)