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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

er wirklich erlebte. Gerade deshalb, meinten wir, müßten diese theils heiteren, theils rührenden, stets aber buchstäblich wahren Erlebnisse einen größeren Leserkreis lebhaft und in ganz anderer Weise anziehen, als ähnliche Erfindungen eines Schriftstellers von Fach. Noch erwiderte Wohlmuth ablehnend, aber es müssen ihm doch fern von Wien Andere in gleicher Weise und mit besserem Erfolge zugesprochen haben, denn – was er damals in Wien erzählte, liegt jetzt als schmuckes Büchlein vor uns. Der ausdrückliche Wunsch des Verfassers, ich möchte in einem einführenden Vorwort ihn den Lesern vorstellen, versetzte mich in einige Verlegenheit, wußte ich doch recht gut, daß Wohlmuth nur zuzugreifen brauche, um für sein Erstgeborenes einen vornehmeren und gewichtigere Pathen zu finden. Seiner Entgegnung jedoch, daß er wenigstens keine aufrichtigeren und herzlicheren zu finden wüßte, fügte ich mich willig und erfüllte somit seinen Wunsch, indem ich wahrheitsgetreu die Entstehung des Büchleins erzählte, das, wie ich glaube, eines empfehlenden Vorwortes gar nicht bedarf, um überall Freunde zu finden.

     Wien, im Frühjahr 1878. Eduard Hanslick.




Schiller in der Uckermark.

Endlich nach einer langen, engagementlosen, schrecklichen Zeit folgte ich, etwa Mitte Juli 1865, einem Rufe nach Soldin. Ich kam in dem kleinen brandenburgischen Städtchen am Abend an und ging direct ins Theatergasthaus, denn sowie die Magnetnadel ewig nach Norden, so strebt des Schauspielers Sinn ewig nach der Theaterkneipe. Im Gespräche mit meinen Collegen ließ ich die Bemerkung fallen, daß ich noch kein Zimmer gemietet habe. Freundlich erhob sich einer der anwesenden Gäste und bot mir unentgeltlich Logis an – es war der Polizeilieutenant.

„Sie haben kein Unterkommen?“ sprach der gastfreie Mann, „und wahrscheinlich auch keine Legitimationen. Also folgen Sie mir!“

„Hier ist mein Paß,“ rief ich und hielt dem für das Wohl des Staates ängstlich Besorgten meine Papiere unter die Nase.

„Aber er ist nicht richtig visirt,“ entgegnete ruhig lächelnd die eherne Stütze der preußischen Hermandad.

Dem Director nur, der sich kühn zwischen Hammer und Ambos, Regierung und Untertan warf, verdanke ich, daß ich nicht in’s „Kittchen“ gesteckt wurde. Director S. zog hier nur seine Gesellschaft zusammen, um an einem anderen Orte der Nerv und Mittelpunkt unseres künstlerischen Ensembles zu werden, und wir spielten hier vorläufig nur „auf Theilung“. Auf Theilung ließ Director S. nur an solchen Orten spielen, wo außer der Rollenvertheilung selten etwas anderes zu verteilen übrig blieb; über zwei und einen halben bis drei Groschen setzte es selten für einen Ferdinand oder Wilhelm, für eine Luise oder Lenore. Täglich mußten zwei von uns einladen gehen. Einmal steckte mir bei dieser Gelegenheit eine dicke, kunstentflammte Bäckersfrau einige Semmeln in die Tasche, doch der Ausdruck ihrer Kunstbegeisterung war etwas altbacken.

Ein tiefer Schleier deckte das Geheimniß unserer zukünftigen Kunststätte. Selbst uns wurden von oben herab nach den verschiedensten Richtungen liegende Orte genannt, denn Director S., dieser schlaue Talleyrand, wollte durch falsche Gerüchte seine Gläubiger irre führen. Endlich - es war eine sternlose, schwarze Nacht; ein geheimnißvolles Rauschen durchzog die Natur und unsere gläubigen Gläubiger träumten vielleicht von jenem bessern Jenseits, in welchem kein Verrath mehr herrschen soll - da wanderten wir mit unsern Reisetaschen vor’s Thor. Denn hier erst - weil Vorsicht die Mutter der Weisheit ist - harrte unser der mit Decorationen beladene Wagen und nahm uns zu dem andern Komödiantenplunder auf. Erst als in Letschin, einem großen, reichen Dorfe der Uckermark, der Wagen hielt, erfuhren wir, daß unser Bestimmungsort erreicht sei.

Hier gingen die Geschäfte glänzend und unser alter, kleiner, kugliger Director, dessen Antlitz ungefähr den Ausdruck eines Schneemannes hatte, dem Buben ein paar Kohlen als Augen in’s Gesicht gesteckt haben, schritt in dem Garten, in welchem die „Arena“ erbaut war, stolz einher, wie der bekannte Despot auf dem Miste. Ich sehe es noch vor mir, das drollige, „nun längst selig ausgestreckte“ Kerlchen, wie es in Zwillichrock und Zwillichhose, in seinen gestickten Pantoffeln, ohne Weste und Cravatte, das weiße Haupt mit einem breiten Strohhute bedeckt, eine – ewige Butterstulle kauend, mit spanischer Grandezza daher schritt. S. ließ mich eines Tages, da er eben dabei war seinen Mitgliedern die kürzlich bezahlte Gage wieder in „Sechsundsechszig“ abzugewinnen, in’s Wirthshaus kommen. Da machte er mir, mit der einen Hand seinen Bauch, mit der anderen meine Backe streichelnd, den Antrag, das Amt eines Requisiteurs, inclusive der Zettelbesorgung, gegen eine tägliche Entschädigung von fünf Silbergroschen zu übernehmen. „Den Franz Moor spielen,“ meinte er, „das kann jeder Ochse, aber die Requisiten gehörig besorgen, darin liegt was. Dadrinnen zeigt sich das Genie vor die Kunst.“

Da ich meine Rollen ohnehin auf dem sehr verwahrlosten Friedhofe studiren mußte, weil in meiner Stube, die einer Nußschale glich, zum Studiren nicht genug Raum vorhanden war, so schlug ich ein.

Früh morgens schon klebte ich nun mit derselben Begeisterung, mit der einst Luther seine Thesen zu Wittenberg anschlug, die Theaterzettel an; den Tag über glich ich einem ambulanten Trödelladen. Ob sich die Schleußen des Himmels öffneten und unendlichen Regen herabschickten, ob die heiße Sonne, durstig wie die Kehle eines Musikanten, wieder alles gierig einsog; kurz, bei jeder Witterung mußte ich in Letschin und in der Umgebung des Dorfes allerlei Utensilien, wie Spaten, Hacken, Flinten, Töpfe etc., zusammenborgen und dazu am Abend große Rollen, die ich Tags über en passant studirt hatte, vor das Publicum tragen. Doch, wem Gott ein Amt giebt, denn giebt er auch – Beine, könnte ich sagen. Trotz aller Anstrengung überlebte ich doch mein Amt.

Freilich war ich sehr beliebt, und Jeder borgte mir gern auf Treu und Glauben, um was ich bat. Selbst der Pfarrer lieh mir einmal seinen schwarze Rock für den allerdings sehr frommen Pastor Bürger in „Lenore“ und gab mir manchmal Auskunft, wo ich die nöthigen Requisiten am besten borgen konnte; kurz, die Kunst harmonirte mit der Kirche in der Uckermark so innig, wie in den besten Zeiten eines Raphael oder Tizian in Italien. Die Frau Pastorin war eine liebenswürdige alte Dame und hatte schöne Birnen und Aepfel im Garten. Sie rief mir manchmal, wenn ich ganz echauffirt, mit Requisiten schwer beladen über den großen Platz rannte, zu:

„Herr Wohlmuth! Etwas Obst? Sie essen es ja so gerne,“ und damit gab sie mir eine große Schüssel, mit Obst gefüllt, und jedesmal lag tief auf dem Grunde, wie der Nibelungenschatz auf dem Grunde des Rheins, ein Zehngroschenstück oder gar ein Thaler.

Der Director war mit mir sehr zufrieden und nickte mir täglich anerkennnend zu, wie ein Pagode, den man antippt. Aber die Ausnahme bestätigt die Regel. So kam es denn auch einmal vor, daß sich mein kugelrundes Despötchen erzürnte und zwar bei einer Aufführung der „Räuber“.

Du lieber Gott, ich hatte den Franz Moor und, damit ich nicht zu kurz käme, noch einen Räuber dazu zu spielen und war am Abend von den vielen Geschäften des Tages ermüdet. Einige Stunden vor der Vorstellung beriethen wir noch im Gasthause, wie die Bühne bei den Räuberscenen am besten zu füllen wäre. Mit der Tradition, ausgestopfte Ritterstiefeln, müde Gliedmaßen schlaftrunkener Räuber darstellend, aus den Coulissen hervorschauen und sie bei den Worten Karl’s: „Auf, auf! ihr trägen Schläfer!“ durch Vermittelung des Inspicienten erschreckt aufspringen und hinter den Coulissen sich zerstreuen zu lassen, mit dieser veralteten Tradition hatte S. längst gebrochen, ich weiß nicht, ob aus künstlerischen Scrupeln oder aus Mangel an Stiefeln. Da kam über einen würdigen Collegen, der bereits an die siebenzig Jahre der Kunst treue Handwerkerdienste leistete, der Geist der Erleuchtung, und mit gehobenem Tone, wie von einer Inspiration getrieben, rieth er, die unbeschäftigten weiblichen Mitglieder als Räubergattinnen auf der Bühne mitmachen zu lassen. Die Idee war originell und fand allgemeinen Beifall. Plötzlich rief Karl, der Hauptmann:

„Wissen Sie was, Director? Lassen Sie einige Hunde auf die Bühne bringen!“

Wir sahen unsern Collegen halb entsetzt, halb mitleidsvoll an, denn wir dachten, er habe an dem Studium seines Karl sein Bischen Verstand gänzlich verbraucht. Nach einer Pause fragte der Director behutsam:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_154.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)