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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Zu welcher Nuance brauchen Sie denn heute Abend Hunde?“

„Lieber Director, Sie wissen doch, daß ich im zweiten Acte zu sagen habe: ‚Auch müssen alle Hunde los und in ihre Glieder gehetzt werden.‘ Da uns Menschen fehlen, so sehe ich nicht ein, warum wir, da es ja doch die Intention des Dichters ist, nicht mit einigen Hunden die Bühne füllen sollen.“

Diese Aeußerung belehrte uns, daß unser College vollständig bei klarem Verstande sei. Director S. war principiell nur gegen solche Dinge, die Geld kosteten, und stimmte also dem Hundeprotector bei. Es entstand nun die Frage, wo man passende Hunde requiriren könnte. Man machte verschiedene Vorschläge. Endlich aber rief Karl:

„Ach, was! Das ist Sache des Requisiteurs. Wohlmuth soll die Hunde besorgen; Hunde sind Requisiten.“

Ich schrie empört: „Ein Hund ist eine servile, lebende Bestie und kein Requisit! Wenn das so fortgeht, muß ich schließlich noch erste Heldendarsteller und so weiter besorgen.“

Es entspann sich nun eine lebhafte Debatte darüber, ob ein lebendiges Wesen, so es nicht dem höheren Viehstand angehört, ein Requisit sei. Da kam, unerwartet, wie ein Meteor vom Himmel fällt, die gewünschte Bestie zu uns. Ein Gutsbesitzer (so ließen sich die reichen Bauern der Umgebung am liebsten tituliren) trat nämlich wie ein Deus ex machina mit einem gewaltigen Hunde, Ulmer Race, in die Gaststube und überließ uns den Riesenköter zur dramatischen Verwendung. Somit war die Hundefrage gelöst.

Am Abend zeigte der vierfüßige Genosse, den ich hinten an die griechische Säulencoulisse band, mehr Kunstverständniß als das Publicum, denn er heulte und winselte kläglich.

Noch in der letzten Stunde, schon halb zum Franz Moor verpuppt, nur einen langen, ehrbaren Rock über mein geliebtes Scheusal gezogen, mußte ich von dem Gensd’arm des Dorfes für die zweiundsiebenzig unter Karl stehenden Räuber einen Säbel zur Niederwerfung der Kaiserlichen borgen. Karl hatte heute seinen guten Tag; er war „disponirt“ und riß die Leidenschaften in Fetzen, „in rechte Lumpen“; bei einzelnen Attituden und Gesten hatte man begründete Ursache zu fürchten, er könnte einige Coulissen und Deckstücke mitnehmen.

Als im zweiten Acte die Scene nahte, wo er seine Hand an einen Ast zu binden hat und der Tumult losgeht, steckte ich kurz vorher einen eben im Garten abgebrochenen Baumast dicht an einer griechischen Säulencoulisse (die vielleicht der plastischen Einfachheit halber bei jeder Decoration beibehalten wurde) auf die Bühne. Der realistische Künstler band seinen Arm aber, in seiner Begeisterung, in allem Ernst an den Baumast, und zog mich, seinen tückischen Bruder Franz, der in seinem Doppelberuf den Ast krampfhaft festhalten mußte, fast auf die Bühne. Endlich läßt Franz, ein Schwächling von Natur, los, und der Baumast baumelt am Heldenarme Karl’s. In diesem Moment erblickt der Ulmer Debutant, den ich kurz zuvor hatte auftreten lassen und einem Räuberweibchen mit der Weisung, die Bestie fest am Stricke zu halten, übergeben hatte, seinen Herrn im Publicum. Jetzt erst fühlt er ganz und tief die Schmach, die ihm angethan wurde, indem man ihn aus seiner bürgerlichen Stellung unter Komödianten geschleudert hatte. Sein innerster Hundestolz bäumt sich empört auf; er reißt sich, der Gewohnheit treuer als der Kunst, los, rennt dem unglücklichen, mit seinem Baumast kämpfenden Karl zwischen die Beine und springt, nachdem er so die Heldennatur Karl’s zu Falle gebracht, über das Brett, welches das Räubervolk von denn Publicum trennte. Welch eine ergreifende Scene! Das treue Thier zu Füßen seines Herrn und – Karl auf dem Rücken! Das Hurrah des Publicums wollte kein Ende nehmen. Der Director aber sagte: „Laßt gut sein, Kinder! Nächstens machen wir mit dem Stück ein volles Haus.“

Tags darauf war „Fünfzigjähriges Jubiläum“ des Directors. Diesen seltenen Tag feierte S. seit vielen Jahren an jedem Orte und zwar nicht ohne Erfolg. Der „Jubiläumsabend“, der mit großer Reclame angekündigt wurde, hatte oft einen Cassenerfolg von fünfundzwanzig bis dreißig Thalern aufzuweisen und verursachte gar keine Kosten, denn die dazu nöthigen Requisiten wie Lorbeerkranz, Adresse des Personals, waren schon längst inclusive der Anrede, die ein Schauspieler zu halten hatte, und der obligaten Rührung des Directors dem Theaterfundus einverleibt. Während meines Engagements bei S. ward mir die Ehre zu Theil, dem Jubilar die Rede, die dessen Verdienste um die deutsche Kunst hervorhob, zu halten. Bei dieser Gelegenheit fing S. an, präcise auf’s Stichwort seine Thränen zu bekämpfen und seiner Rührung mühsam Herr zu werden. In Ermangelung anderer Jungfrauen überreichten zwei von meinen Colleginnen dem Director den Lorbeerkranz, dieser ruhte auf einem mit dem Sammet einer verewigten Pluderhose überzogenen Sophakissen. Seine Blätter krümmten sich bereits - ich glaube der Trockenheit halber – sehr bedenklich. S. wurde weich; sein Auge, dank- und thränenerfüllt, coquettirte mit dem Himmel; die Fettmassen seines Gesichtes zuckten wehmüthig; die einzelnen Theile desselben gingen im Ganzen auf – das Gesicht verschwamm. College W. hatte die Rolle aus dem Repertoire, des Jubelgreises Würdenschädel mit dem Lorbeer zu schmücken. Er mußte wenigstens so thun, denn der erschütterte Greis lehnte jedesmal – bescheidener als mancher deutsche Schweinsrüssel – diese Ehre ab und zwar mit derselben Würde, mit der Cäsar einst die dargebrachte Krone zurückwies. Darauf stammelte S. den Kranz in der Hand behaltend, einige Worte des Dankes, verschwand von der Bühne, vertauschte den Lorbeer mit einer belegten Butterbemme – und die Feierlichkeit hatte ihr Ende gefunden. –

Wir verließen Letschin, um nunmehr in Straußberg der Kunst zu fröhnen. Aber Straußberg ist nicht Paris, und es gefiel mir nicht in Straußberg. Eines Tages sagte ich dem Director bei der Probe: „Herr Director! Heute gehe ich Ihnen durch.“ Er klopfte mir die Wangen und lachte – am Abend aber lachte er nicht.




Lenau als Geiger.
Aus der ungedruckten Selbstbiographie: „Reflexe“ von Dr. August Schmidt.

Man würde jetzt in Wien vergebens einen Club junger Poeten suchen, wie dort vor vierzig Jahrenn einige bestanden. Zumal die Species der Lyriker ist, wie die Steinböcke im Hochgebirge, beinahe ganz ausgestorben. Nur eine verschwindend kleine Zahl jüngerer Schriftsteller, wenn sie einmal von einer ganz absonderlichen Gefühlsstimmung übermannt werden, machen ihren gepreßten Herzen in einem lyrischen Gedichte Luft. Einige Dichter der älteren Schule treten bisweilen nach längerem, verdrossenem Schweigen mit vereinzelten Gedichten wieder hervor, mehr um dem inneren Schaffensdrange zu genügen, als einen nach dichterischen Genüssen lüsternen Leserkreis zu befriedigen; denn die realistische Zeit hat bekanntlich nur ein geringes Verständniß für die Gefühlsausflüsse lyrischer Poesie.

Was jedoch den jungen Literatennachwuchs betrifft, so fühlt dieser keineswegs das Bedürfniß nach Vereinigung zur wechselweisen Aneiferung oder nach einem Austausche der Meinungen und Anschauungen, durch welchen das junge Talent, wie der Stahl an dem Stahle, erst den erhöhten Glanz und Schliff erhält.

Anders verhielt es sich damals. Die Censur, welche der Polizeipräsident Graf Sedlnitzky und die ihm untergebenen Organe in ängstlicher Besorgniß vor jeden freiheitlichen Luftzuge mit drakonischer Strenge handhabten, hielt das politische Feld in unnahbarer Abgeschlossenheit für die Literatur und drängte mitunter auch Talente, die vielleicht gerade in dieser Richtung eine einflußreiche Stellung einzunehmen berufen gewesen wären, in die Bahn belletristischer Thätigkeit.

Das Lesepublicum aber, das gewohnt war, in den für die österreichischen Abonnenten eigens zubereiteten politischen Artikeln der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ den Ausdruck der freisinnigsten Anschauungen zu verehren, fühlte bei dieser jahrelang systematisch ausgeübten Bevormundung von Seiten der Regierung überhaupt gar nicht das Bedürfniß nach einem tieferen Einblicke in die Verhältnisse innerer und äußerer Politik. Man brachte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_156.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)