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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

auch singen kann. Sie enthält eine vollkommene Nachahmung der menschlichen Sprachwerkzeuge, wobei denn auch statt der Zungenpfeifen als Tonwerkzeug eine wirkliche, aus Kautschuk nachgebildete Stimmritze dient, wie solche schon früher von dem berühmten Berliner Anatomen Johannes Müller bei seinen Untersuchungen über den Mechanismus der menschlichen Stimme benützt worden war. Ein gewöhnlicher Blasebalg, dessen langsame oder stoßweise Luftausgabe sich sehr genau beherrschen läßt, vertritt auch hier die Lunge. Der von ihr hervorgebrachte Luftstrom setzt zwei Kautschukbänder, welche, über die Luftrohrmündung gespannt, eine enge Spalte bilden, in Schwingungen, indem die Spalte durch die Elasticität der Bänder immerfort neu geschlossen und durch den Luftstrom sogleich wieder geöffnet wird. Je öfter dies in einem bestimmten Zeitabschnitte geschieht, um so höher wird der dadurch erzeugte Ton.

Um nun durch ein und dieselbe Stimmritze Töne von verschiedenen Höhen hervorzubringen, läßt Faber die Stimmbänder gerade wie im menschlichen Kehlkopfe einen ganz spitzen Winkel mit einander bilden, sodaß die Stimmritze die Form eines sehr schmalen und spitzen Dreieckes zeigt. Durch eine besondere Vorrichtung können ferner die Stimmbänder an dem engsten Theile der Spalte an einander gedrückt werden, wodurch der schwingende Theil der Bänder verkürzt und der Ton nach Belieben erhöht werden kann. Dieser einfach gleichförmige musikalische Ton erhält nun in einer durchaus der menschlichen nachgebildeten und in allen Theilen beweglichen Mundhöhle den Vocalklang und die nothwendige Articulation, und man sieht an dem Munde der sprechenden Figur, daß alle Bewegungen naturgetreu vollführt werden, so z. B. bemerkt man das Zittern der Zunge, wenn sie das r ohne Schnarren deutlich ausspricht. Kurz, Faber hat das Problem so vollständig wie möglich gelöst; die Sprache klingt nicht wie aus einem hohlen Fasse (nach Kepler’s Befürchtung), sondern ist sehr ausdrucksvoll, aber so leicht ist der Apparat nicht zu handhaben, daß sich Prediger, Abgeordnete und Lehrer mit widerspänstigem Organe seiner nach Euler’s gutgemeintem Vorschlage bedienen könnten.

Wie mit einem Zauberschlage ist seit wenigen Monaten in dem Telephon eine neue und höchst vollkommene Sprechmaschine in Aller Hände gelangt. Denn die Sprache wird in demselben keineswegs als solche fortgeleitet, sondern neu auf mechanischem Wege erzeugt, und zwar einfach von einer einzigen schwingenden Metallscheibe. Wenn die älteren Mechaniker und Physiker, die Jahrzehnte daran gesetzt haben, die Vocale und Consonanten mühsam durch complicirte Pfeifen hervorzubringen, auferstehen und dies hören könnten, so würde ihnen das wohl einen ganz anderen Eindruck machen, als der gegen physikalische Wunderleistungen sehr abgehärteten Mitwelt. Da die neuere Wissenschaft vom Schalle eine Menge Apparate erdacht hat, die Schallschwingungen aufzuzeichnen, ja sie sogar zu photographiren, so lag der Gedanke nahe, die Schwingungen des Telephonplättchens ebenfalls von ihm selbst aufzeichnen zu lassen, vielleicht um dadurch die mündliche Depesche in eine schriftliche zu verwandeln, die doch am Ende sicherer ist, „denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“. Der amerikanische Physiker A. Edison machte sich also daran, einen solchen Phonographen oder mechanischen Klangschreiber herzustellen. Aus dem Schallplättchen eines Telephons, oder eines einfachen Mundstückes, welches fest vor einer drehbaren Walzentrommel angebracht ist, befestigte er senkrecht einen kleinen Metallstift, der bei jeder Schwingung die Trommelfläche berühren muß. Diese Trommelwalze kann nun durch ein Uhrwerk mit der größten Regelmäßigkeit vor dem Stifte so bewegt werden, daß sie sich nicht nur um ihre Achse dreht, sondern gleichzeitig langsam vor der Schallplatte mit ihrem Zeichenstifte vorbeischiebt. Der Letztere wird mithin, wenn die Schallplatte durch den elektrischen Strom oder direct durch die Stimme in Schwingungen versetzt wird, auf der Walzenfläche eine Folge von Punkten markiren, die in einer engen Schraubenlinie um die Walze herumlaufen. Diese Punkte müssen offenbar in ihrer gegenseitigen Entfernung genau den Tonschwingungen entsprechen, mit denen die Platte angesprochen wird, und es ist kein Zweifel, daß man mit Geduld und Vergrößerungsgläsern diese Punktschrift auch lesen und entziffern lernen würde.

„Indessen, wozu sich unnütz anstrengen?“ fragte Herr Edison. „Eine schwerleserliche Handschrift reicht man am besten dem Autor mit der Bitte, vorzulesen, und wenn jene Punkte ein getreuer Abdruck des Lautes sind, so muß letzterer sich auch daraus wieder herstellen lassen; die Maschine muß am besten selbst lesen können, was sie geschrieben hat.“ Um dies zu ermöglichen, bekleidete der Erfinder seine Walze statt mit einer anderweitigen Schreibfläche mit einem Stanniolblatte, welches um so leichter die Punktirung der schwingenden Nadel aufnimmt, als es auf einer feinen Schraubenrinne der Walzenoberfläche, die genau dem Gange des Stiftes entspricht, hohl aufliegt. Der schwingende Stift kann darauf besser wirken und zähnelt eine Schablone aus, die also graphisch genau diejenige Rede oder den Gesang, in Schwingungspunkte aufgelöst, wiedergiebt, die in dem Mundstücke des Apparates ertönten.

Um den Inhalt dieser Schrift von der Maschine vorlesen oder vorsingen zu lassen, ist nun nichts weiter nöthig, als die Walze nochmals mit gleicher Geschwindigkeit vor einem kleinen Lesestift vorbeigehen zu lassen, der, dem Schreibstiftchen ganz gleich, auf einer Schallplatte sitzt und sich von diesem nur dadurch unterscheidet, daß ihn eine schwache Feder in die Vertiefungen des Stanniolblättchens hineindrückt. Die Leseplatte muß in Folge dessen genau die gleichen Schwingungen vollführen, wie die Schreibplatte, folglich den Stimmklang mit allen seinen Eigenthümlichkeiten getreu wiedergeben. Natürlich muß das Uhrwerk einen genau gleichmäßigen Gang haben, denn bei schnellerem könnte es passiren, daß die Baßstimme des Redners in den Discant seines jüngsten Söhnchens verwandelt würde, daß er sich also um dreißig Jahre verjüngt zu hören glaubte.

Obwohl diese Leistungen der Theorie nach erfolgen müssen, hat man doch Mühe, an das Wunder zu glauben, bei welchem mit den einfachsten Mitteln unendlich mehr erreicht wird, als man jemals auch nur im Traume gehofft hat. Schon die ersten Versuche des Erfinders waren aber so erfolgreich, daß bei dieser Maschine kein in ihr Bereich fallendes Problem unmöglich erscheint. Ohne Schwierigkeit spricht sie deutsch oder englisch, welche Sprachen den complicirtesten Sprachmaschinen nicht aus der Kehle kommen wollten, und kein Zweifel, sie würde ebenso leicht chinesisch und hottentottisch sprechen. Ein amerikanisches Journal erzählte vor einigen Wochen, daß der Erfinder eines Tages in das Redactionslocal gekommen sei, den Phonographen auf den Tisch gestellt und eine Kurbel gedreht habe. „Sogleich erkundigte die Maschine sich so deutlich, daß es ein Dutzend rings umherstehender Personen vernehmen konnte, nach unserem Befinden („How do you do?“), fragte darauf, ob wir den Phonographen lieb hätten, bemerkte, daß sie sich wohl befände. und wünschte uns zum Schlusse eine herzliche gute Nacht.“ Was muß man nicht Alles von einer Maschine erwarten, die so anfängt und schon in den ersten Monaten ihres Daseins so viel leistet? Gedichte mit der Stimme des Dichters, Testamente mit derjenigen des Erblassers vorlesen zu lassen, wäre eine Kleinigkeit. Wichtige Thron- und Parlamentsreden können als Phonogramme versandt werden, und ein neuer Demosthenes könnte seine sämmtlichen Reden in Zinn herausgeben. Euler’s Wunsch ist hier mehr als erfüllt, denn nicht blos schlechte, sondern auch gute Kanzelredner könnten bei eingetretener Heiserkeit ihre Predigt vom Küster abdrehen lassen. Die Tage der rothen Theaterzettel scheinen gezählt, denn gesetzt, Helmerding würde plötzlich unpäßlich, so ließe er seine Stimme gastiren und ein anderer Schauspieler schnitte seine freilich unnachahmlichen Gesichter dazu. Ein Engländer hat vorgeschlagen, zu derartigen für die Nachwelt aufzuhebenden Reden und Dialogen das Mienenspiel in einer entsprechenden Folge zu photographiren und die Bilder zu einer sogenannten stroboskopischen Scheibe zu verbinden, sodaß man die Person in ihrem Mienenspiele vor sich sehen könnte, während man sie reden oder singen hörte, und mit diesem Non plus ultra von Zukunftsspaß wollen wir für heute diese hoffnungsvolle Perspektive schließen.

Carus Sterne.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_172.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)