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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

eine Blüthe nach der andern nach den darin hausenden Käferchen und kleinen Insecten abzusuchen, läßt aber dabei fortwährend seinen glockenreinen flötenden Gesang hören, dessen hauptsächlichste Strophe wie: „Tiu, Tiu Ti“ lautet. Von seiner beständigen Beschäftigung mit den Aepfelblüthen nimmt er deren Geruch so vollständig an, daß eine präparirte Haut dieses Vogels drei Monate nachher, nachdem ich ihn getödtet hatte, ganz den intensiven Duft dieser Blüthe beibehielt. Im Käfige ist er nicht wohl zu erhalten, da er sich blos von äußerst kleinen Insecten nährt. Ein Versuch, drei Junge aufzuziehen die ich noch fast nackt aus einem Neste in meinem Garten genommen hatte und in einem Käfige an das offene Fenster stellte, mißlang ganz und gar. Sie nahmen durchaus kein Futter, welcher Art es auch sein mochte, von mir an, wurden aber getreulich von den beiden alten Vögeln, welche den ganzen Tag ab- und zuflogen, geätzt und gefüttert, bis sie vollkommen flügge waren, und es blieb mir am Ende nichts übrig, als den Käfig zu öffnen und ihnen die Freiheit zu geben. Wahrhaft zu bewundern ist die Art des Nestbaues dieser Vögel. Sie hängen es, fest angeknüpft, in der Form eines Beutels an die äußerste Spitze eines Zweiges, hoch oben in die Baumwipfel. Die Innenseite des Beutels ist zu einer Art Filz von dem zartesten Moose und der feinsten Pflanzenwolle zusammengewirkt. Das Ganze ist ein kleines Meisterwerk.

Der Gartenoriol, ein sehr zierlicher, schlanker Vogel von gleicher Größe wie der vorige, überall lichtgelb mit kleinen braunen Federspitzen. Die Füße und der Schnabel sind bläulich. In seiner Lebensart hat er viel Aehnliches mit dem Baltimore-Oriol, seine Stimme ist aber bei weitem nicht so wohllautend, obwohl er mehr und anhaltender singt als jener. Ein langer Vogel dieser Art, den ich aufzog und mit gefangenen Stubenfliegen und kleinen Raupen ernährte, war ein trefflicher Turner.

Von dem Catbird habe ich schon an einem andern Orte gesprochen, und es bleibt hier nur noch zu erwähnen, daß außer ihm noch mehrere zum Geschlechte der Motacillen gehörige grasmücken- und bachstelzenartige Vögel meistens von grau und braun gemischten matten Farben ihre Sommerresidenz in den Gärten nehmen. Alle haben einen mehr oder weniger vortrefflichen Gesang, wenn auch keiner jenen des Catbird erreicht.

Ein außerordentlich niedliches und zierliches Vögelchen ist unser amerikanischer Zaunkönig, kaum vier Zoll lang, überall rothbraun mit schwarzen, fein gewellten Querlinien. Es trägt den Kopf und sein kurzes Schwänzchen immer stolz und steilrecht aufgerichtet, läßt von Morgens früh bis spät Abends fortwährend seinen dem Buchfinkenschlag ähnlichen Gesang hören und baut sein Nestchen in die Mauerlücken an den Häusern und Stallungen. Während einer langwierigen Krankheit, die mich einen ganzen Sommer lang in’s Zimmer bannte und während der ich den größten Theil des Tages im Schaukelstuhle am offenen Fenster zubrachte, hatte ein Pärchen dieser Vögel sein Nest hart neben meinem Fenster in ein kleines Loch in der Mauer gebaut, und ich gewöhnte sie nach und nach, mir gefangene Fliegen aus der Hand zu nehmen; das Männchen setzte sich zuweilen auf die Stuhllehne oder auf die Krempe meines Hutes und schmetterte lustig sein kleines Lied.

Schon zweimal während meines hiesigen Aufenthaltes kamen im Frühjahre große Flüge des Seidenschwanzes. Sie waren ganz der europäischen Art ähnlich und hatten ebenfalls jene kleinen hornartigen scharlachrothen Plättchen an den Flügelspitzen; nur kann ich mich nicht mehr mit Bestimmtheit erinnern, ob der europäische Seidenschwanz ebenfalls das breite gelbe Band über der Schwanzspitze hat, welches ich an denjenigen bemerkte, welche uns hier ihre kurzen Besuche abstatteten. Einmal kamen auch im Frühjahre auf wenige Tage Schaaren von Kreuzschnäbeln. Im Garten wimmelten alle Bäume von ihnen. Sie waren aber etwas kleiner, als ihre in Europa lebende Geschlechtsverwandten und ihr Gefieder auf schwärzlichem Grunde überall unregelmäßig dunkelroth, gelb und grün schattirt.

Von den aus Europa nach St. Louis und Belleville importirten Spatzen hatten sich auch einmal einige in meinen Garten verirrt, sie blieben aber ebenfalls nicht lange, und es möchte wohl hier am Platze sein, mitzuteilen was ich von dem Schicksal der nach St. Louis gebrachte europäischen Singvögel und Sperlinge erfahren konnte. Vor einigen Jahren wurde nämlich der auf der Südseite der Stadt gelegene schöne, schattenreiche Lafayettepark mit einigen hundert Nachtigallen, Lerchen, Buchfinken, Hänflingen, Distelfinken, Kohl- und Blaumeisen und endlich mit einer gleichen Anzahl von Sperlingen besetzt. Nur den ersten Sommer hielten sich die Singvögel an diesem reizend schönen Platze, jedoch ohne zu nisten und zu brüten. Nur ganz wenig Meisen sind geblieben und haben schon mehrmals gebrütet. Von allen Uebrigen, mit Ausnahme der Spatzen, ist auch keine Spur mehr vorhanden. Auch diese letzten scheint der idyllische Aufenthalt im Lafayettepark nicht befriedigt zu haben, und sie haben ihr Hauptquartier drei Meilen davon entfernt, beinahe am Nordostende der Stadt in dem noch ziemlich baumlosen kleinen Hydepark und den umliegenden, dicht bebauten und bevölkerten Stadttheilen aufgeschlagen, wo sie sich bei ihrer bekannten Fruchtbarkeit nicht wenig vermehrt und bis jetzt noch nichts von ihrer alten Frechheit und Ungezogenheit eingebüßt haben. Obwohl man nun allgemein ihre Nützlichkeit als Vertilger schädlicher Insecten anerkennt, wird ihnen doch zum Vorwurf gemacht, daß sie alle hier einheimischen Singvögel aus dem Parke vertrieben haben.

Ueber meine lieben Colibris, die größte Zierde und den lebendigen Juwelenschmuck meines Gartens, werde ich später einmal einige Mitteilungen machen.

Die ganze kleine Vogelwelt in meinem Garten lebt in Eintracht miteinander, und diese wird nur zuweilen gestört, wenn irgend ein anderer Vogel der Domäne der Colibris, dieser kleinen Heißsporne, zu nahe kommt, was aber immer bald wieder geschlichtet ist. Ein anderer Fall ist es, wenn ein junger Vogel zu früh ausfliegen will, und zur Erde fällt, wo sich dann ein allgemeines Lamento erhebt, bis ich, aufmerksam darauf geworden, die vorwitzige kleine Creatur wieder in ihr Nest gesetzt habe. Hat sich aber gar eine fremde Katze im Gebüsch versteckt und einen jungen oder alten Vogel erschnappt, so kommt die ganze Republik in Bewegung und Aufruhr. Die blauen Häher erheben ihr Kriegsgeschrei, und darauf kommt aus allen benachbarten Gärten, was Schnäbel und Federn trägt, zur Verfolgung des Räubers zusammen, und die Häher setzen ihm mit derben Schnabelhieben dermaßen zu, daß schon zum Oefteren das arme Schlachtopfer wieder aus den räuberischen Krallen befreit und gerettet wurde. Die kleineren Vögel erheben ein großes Geschrei, wobei sich besonders die allerkleinsten, wie die wilden Canarienvögel und Herr Zaunkönig, durch ihre Bravour auszeichnen; es dauert dann manchmal bis zum Abend, bis Frieden und Ruhe wieder hergestellt, und die Aufregung sich gänzlich gelegt hat. Ueberhaupt herrscht mit eintretender Abenddämmerung Stille im Garten, wenn nicht ein Spottvogel-Nachtsänger die ganze Nachbarschaft durch seine abwechselnden Melodien wach erhält, oder – später im Sommer – Grillen und Cicaden ihr nächtliches Concert anstimmen.

F. B. B.


Ein interessantes Grabmal. (Mit Abbildung S. 171.) Unter den Kirchhöfen der Stadt Hannover ist es der bereits seit mehreren Jahren geschlossene Garten-Kirchhof, welcher durch seine kunstvollen Denkmäler und eine Reihe hier gebetteter berühmter Personen – auch Charlotte Kestner (Werther’s Lotte) liegt hier begraben – das meiste Interesse erregt. Es sind aber nicht nur diese Eigenschaften, welche den Besuch des genannten Kirchhofes zu einem lohnenden machen, auch die Natur hat dazu ihren Tribut gezollt.

Wenige Schritte von der östlichen Seite des auf dem Kirchhofe stehenden einfachen Gotteshauses sieht man auf einem Stufenunterbaue, in schräger Lage, wie solches das Bild unseres Künstlers zeigt, einen imposanten Grabstein, der durch mächtige eiserne Sparren mit dem Unterbaue verbunden war. Das Monument, im Jahre 1782 erbaut, trägt außer den üblichen Familieninschriften an seinem Fuße die stolzen Worten: „Dieses auf ewig erkaufte Begräbniß darf nie geöffnet werden.“ (Siehe das Gedicht von Heinrich Seidel: „Auf ewig“ in unserer Nr. 12 vom Jahrgang 1873.)

Entgegen dieser menschlichen Bestimmung fand jedoch, vielleicht vom Winde verweht, das Samenkorn einer Birke Eingang in die Spalten der Steinfügungen des Unterbaues. Aus dem winzigen Samenkorne ist mit den Jahren ein starker üppiger Baum geworden, der nun, der stolzen Inschrift des Denkmals spottend, den schweren Oberbau desselben emporgehoben hat und unter demselben herausgewachsen ist. Die starken eisernen Sparren sind gesprengt und das Gefüge des Unterbaues auseinander getrieben worden. Das auf diese Weise geöffnete Grab erinnert den Beschauer an die Hinfälligkeit menschlicher „für die Ewigkeit“ getroffener Bestimmungen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_174.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)