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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Nation zum Bewußtsein dieser dankenswerthen That gelangte, als dies aber geschah, brachte sie durch öffentliche Subscription eine Summe auf, welche geeignet gewesen wäre, die letzten Lebensjahre des edlen Mannes vor Entbehrungen zu schützen, wenn dieser das Nationalgeschenk für sich und seine Familie verwendet hätte. Daran aber dachte Sturz zu allerletzt. Ehe er an die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse ging, tauchte er hinab in die Schichten der geistig und leiblich Verarmten und kam zurück mit dem Alarmruf: „Hier thut Hülfe Noth.“

Von all den Resultaten, welche seiner schöpferischen und rastlosen Thätigkeit zu danken sind, wollten wir nur wenige herausheben: zunächst die, welche uns Deutsche direct angehen, dann jene, welche ein allgemeines Interesse haben.

Sturz war es, der vor mehreren Jahren in Schrift und Wort auf die Verarmung der Strandbewohner an unserer Nordseeküste hinwies und Vorschläge zur Abhülfe der Nothlage machte. Er that vor Allem dar, daß englische und holländische Fischer das deutsche Fischereigebiet ausbeuteten, und auf seine Anregung hin ergriff die Regierung Maßregeln, um die fremden Fischerboote von der deutschen Nordseeküste fern zu halten. Unsere Kanonenboote schützten das Fischereigebiet der deutschen Küstenbewohner vor fremder Ausbeutung, und der preußische Landtag bewilligte die nöthigen Mittel zur Anlegung von Austerbänken und Hebung der Fischzucht.

Da Sturz den Anlaß zu den letzteren Maßregeln auch gegeben, wurde ihm in socialdemokratischen Kreisen der Vorwurf gemacht, er leiste der Völlerei der Capitalisten Vorschub. Der Menschenfreund konnte dies lächelnd hinnehmen; er dachte nicht an die Genüsse der Gourmands, sondern an die Hülfe, welche den armen Fischern durch die Austernzucht wurde. Weiterhin machte Sturz eine Reihe praktischer Vorschläge, um den Transport und raschen Absatz der Seefische zu fördern, deren Verwirklichung den Fischern so gut Vortheile bringen mußte, wie den Bewohnern der großen Städte.

Eine andere Agitation brachte dem Berliner Schlachtvieh Erlösung von argen Qualen. Sturz war nicht nur ein Menschen-, sondern auch ein Thierfreund und beherzigte wohl das gute Wort: Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes. Nun schnitt es ihm in die Seele, wenn er sah, wie rohe Schlächter die Kälber knebelten, sie wie leblose Waare auf den Karren schleuderten und während einer langen Fahrt arge Qualen erdulden ließen. Ebenso roh und abscheulich fand er es, daß man das Schlachtvieh mit Hülfe kläffender und beißender Hunde durch die Straßen hetzte. Diesen Thierquälereien mußte gesteuert werden, und er machte energisch gegen die Brutalität Front. Dies war bei Weitem kein so leichtes Unterfangen, wie es jetzt vielleicht den Anschein hat, denn anfangs fanden es viele Mitglieder der Polizei und eine gute Anzahl von Journalisten einfach komisch, daß ein ehemaliger Generalconsul sich zum Anwalt der geknebelten Kälber mache. Allein Sturz war eine viel zu sittliche und wahrhaft religiöse Natur, als daß er sich hätte durch Spott von seinem Vorhaben abbringen lassen. Er organisirte ein kleines Beobachtungscorps von Berliner Straßenjungen, welches er besoldete, um den Viehhof und die Schlachthäuser überwachen zu lassen. Erblickten seine Posten einen Wagen mit geknebelten Kälbern, so riefen sie Sturz herbei und dieser ließ die Namen der Thierquäler durch den Schutzmann feststellen. Diese Bestrebungen trugen dem Thierfreunde manche Mißhandlung ein, welche tausend Andere abgeschreckt hätten. Viele Schlächter zielten vom Wagen herab mit der Peitsche nach seinem Gesicht, und ein roher Patron soll ihn gar mit der Faust angegriffen haben. Sturz verdoppelte nach all diesen Vorkommnissen seine eifervollen Bemühungen und blieb erfolgreich. Heute erfährt das Schlachtvieh in Berlin eine menschliche Behandlung, und die Fleischer stehen sich nicht um ein Haar schlechter dabei.

Johann Jacob Sturz.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Sturz war stets auf’s Eifrigste bemüht, die Thiere gegen Rohheiten zu schützen, und noch in den letzten Tagen seines Lebens gab er auf seine Kosten ein kleines Bilderbuch heraus, welches er in allen Schulen zu verbreiten gedachte, das den Kindern Liebe zu den Thieren einflößen und sie durch allerlei Sprüche zur Schonung und Milde ermahnen sollte. Vielen wird dieser Zug als unbedeutend erscheinen, aber sicher denen nicht, welche Werth auf die Erziehung der Jugend und den sittlichen Charakter eines Volkes legen.

Damit wäre Einiges, aber bei Weitem nicht Alles aufgezählt, was Consul Sturz in Deutschland im Interesse unserer Wohlfahrt und der Humanität wirkte. Seine Thätigkeit beschränkte sich nicht auf die Grenzen des Vaterlandes, sie ging weit über dieselben hinaus.

Sturz war ein echter deutscher Patriot, der, selbst als Vertreter eines fremden Staates, in den Zeiten kleinstaatlicher Misere keinen innigeren Wunsch kannte, als die Herstellung eines einigen Deutschlands. Als Beleg dafür mag nur eine Thatsache sprechen: Württembergische Bauern, welche sich in Palästina niedergelassen, erfuhren Bedrückungen seitens türkischer Beamten und wandten sich, da ein Vertreter ihrer Regierung fehlte, an das preußische Consulat um Beistand. Trotz aller Drohungen richtete der preußische Consul nichts aus, sobald sich aber der englische der Sache annahm, fanden die Deutschen Gehör und Abhülfe. Friedrich Wilhelm der Vierte sprach über den Fall mit dem Generalconsul Sturz und beklagte es, daß das starke Preußen im Auslande noch so wenig Ansehen genieße.

Sturz, dem jede Menschenfurcht fremd war, antwortete hierauf dem Könige: „Das wird auch niemals anders werden. Erst wenn statt der preußischen Flagge die deutsche sich in den Häfen fremder Länder zeigt, gelangen wir zu Ansehen, und nicht eher, als bis hinter den deutschen Auswanderern auch ein einiges starkes Deutschland steht, fällt diesen ein besseres Loos zu, als jenes, der Culturdünger für fremde Staaten zu sein.“

Bei dieser innigen Liebe zu seinem Vaterlande blieb ein starker kosmopolitischer Zug seines Wesens nicht ausgeschlossen. Wie er annahm, daß die Bürger eines Staates sich unter einander beistehen müßten, damit die Bedrängten nicht zu Grunde gingen, so glaubte er auch an die Solidarität der Nationen unter einander. Oft hat er es ausgesprochen, daß die Völker, welche sich der Segnungen einer weit vorgeschrittenen Cultur erfreuten, die moralische Verpflichtung hätten, denen beizuspringen, welche unter dem Fluche der Uncultur oder widriger Verhältnisse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_183.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)