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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

seufzten. Ihm war es dabei gleichgültig, welcher Race jene angehörten, die im Elende schmachteten; er wollte einfach, daß Jammer und Noth, so weit es möglich, aus der Welt geschafft würden. Von diesen edlen warmherzigen Anschauungen geleitet, nahm er sich jener unglücklichen Kulis an, die von gewinnsüchtigen Peruanern zu Tausenden nach den Guanoinseln und Plantagen geführt und durch die drückendste Sclavenarbeit und die roheste Behandlung zu Grunde gerichtet wurden. Sturz spürte in Peru, auf Cuba und den chinesischen Häfen alle Gräuelthaten auf, welche an den armen Kulis begangen wurden; er brandmarkte in einer Anzahl von Flugschriften die Sclavenhändler, welche sich durch den Schweiß und das Blut dieser Unglücklichen mästeten, und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um diesem schändlichen Handel ein Ende zu machen. Daß der Kulihandel fast ganz unterdrückt wurde, ist zum guten Theile den eifervollen Bemühungen unseres Sturz zuzuschreiben. Er machte zudem der englischen und chinesischen Regierung den wohlgemeinten und praktischen Vorschlag, den Strom der chinesischen Auswanderung vorzugsweise nach dem menschenleeren Australien zu leiten.

In seinen letzten Lebensjahren trat Sturz noch mit glühendem Eifer für die Ausschließung Centralafrikas ein. In Wort und Schrift vermahnte er die Regirungen der Culturstaaten, daß etwas geschehen müsse, um dem entsetzlichen Menschenraub, den Livingstone, Nachtigal und viele andere Afrikareisende in solch’ erschütternder Weise geschildert hatten, ein Ende zu machen. Er erlebte noch die Freude, daß die Menschenfreunde Englands und der König von Belgien die Initiative ergriffen, um die Segnungen der Cultur auch in das Herz von Afrika hineinzutragen.

Als die Beschlüsse der Brüsseler Conferenz bekannt wurden, fühlte Sturz sein Herz derart von Freude bewegt, daß er dem König von Belgien in warmen Worten für den Dienst dankte, welchen er der Humanität zu leisten im Begriffe stehe. Mit keinem Worte erwähnte er in diesem Briefe des eigenen Verdienstes um die Sache. Selbstlosigkeit war eines der hervorragendsten Merkmale seines Charakters.

Viele, und vorzugsweise die, welche sich in einem kleinen Kreise bewegen, warfen Sturz vor, daß er ein Idealist sei, der seine Ziele zu weit stecke, und daß er mehr seiner Phantasie als der nüchternen Berechnung folge. Die so über ihn urtheilten, vergaßen, daß sein Blick weiter ausschaute als der unsere, sie vergaßen, daß ohne eine kräftige Phantasie Keiner im Leben Großes erreicht, und vergaßen endlich, daß Sturz nicht zu denen gehörte, die sich von Schwierigkeiten entmuthigen ließen. Er beugte sich dem Sturme nie; er wollte siegen und war in der Regel erfolgreich. Im Kampfe für die Unterdrückten, für die Ausbreitung der Cultur trug er die Waffen, bis die Hand schwach wurde, bis seine Kraft erlahmte.

„Ach,“ sagte er eines Tages mit trübem Blick zu mir, „ich fühle, daß mir die Fähigkeit abhanden kommt, Unternehmungen zu organisiren; ich muß mich damit begnügen, das Material zu sammeln und herbeizuschleppen.“ Und das that er redlich, bis der Tod ihn abrief.

Und nun darf ich wohl dem Leser gestehen, daß es mir selber eine große Befriedigung gewährt, dem Andenken des edlen Menschenfreundes dieses Blatt widmen zu dürfen, denn ich erfülle damit einen Herzenswunsch, den der Dahingeschiedene kurz vor seinem Hingang aussprach. In den Herbsttagen traf ich mit ihm am Saume des Thiergartens zusammen, und als er mir klagte, daß die lecke Maschine dem Willen nicht mehr gehorchen wolle, warf ich die Bemerkung hin, es wäre eine lohnende Aufgabe, sein reichbewegtes Leben in einem Buche zu schildern.

„O nein,“ erwiderte er bescheiden, „so viel ist mein Leben nicht werth, aber der Gedanke könnte mir die letzten Tage meines Daseins verschönen, daß irgend Jemand nach meinem Tode in der ‚Gartenlaube‘ in Kürze das schilderte, was ich für die Schwachen und Schutzlosen erreichte und anstrebte. Die ‚Gartenlaube‘ wird in allen Theilen der Welt gelesen und Viele werden sich finden, welche die Ziele zu erreichen streben, die für mich in weiter Ferne liegen.“

Johann Jacob Sturz ruht heute im Grabe, allein der menschenfreundliche Geist, welcher ihn beseelte, lebt fort, denn es giebt keine guten Handlungen, welche nicht den Anfang bildeten zu einer unabsehbaren Kette von guten Folgen. Er zeigte, was ein starkes Herz vermag; er war ein edler Charakter und blieb in allen Lagen des Lebens sich selber treu.

Sturz, der Menschenfreund, hat seine erlösende Mission erfüllt.[1]

     Berlin, 15. December 1877.

R. Elcho.


Bei Renthieren auf der Tundra.

Erlebnisse aus der Bremer Forschungsreise nach Westsibirien, mitgetheilt vom früheren Chef derselben Dr. O. Finsch.

Auf unserer Tour durch die Steppe Südsibiriens und Nordturkestans hatten wir das Trampelthier oder zweibucklige Kameel kennen und schätzen gelernt; kaum zwei Monate später, fünfzehn Breitengrade nördlicher, trafen wir mit einem anderen, von jenem zwar sehr verschiedenen, doch nicht minder beachtenswerthen Thiere im Dienste des Menschen zusammen: dem Ren.

Wir waren sechs Tage von Samarowa, einem stattlichen Dorfe unweit der Mündung des Iritsch in den Ob, mit unserer „Lotka Bismarck“, welche die deutsche Expedition der Fürsorge des dortigen Kaufmanns Semzow zu verdanken hatte, den letzteren Strom herabgerudert und hielten am 12. Juli vor Parawatsky-Jurti, nur noch hundert Werst von Obdorsk, dem nördlichsten festen Platze längs dem Ob, entfernt. Parawatsky-Jurti ist eine ostiakische Sommerstation und besteht aus etwa zwölf sauberen Holzhäusern, die sich in einer Lichtung des sanft aufsteigenden rechten Ufers, umgeben von mächtigem Nadelwalde, anmuthig gruppiren. Sie ist zugleich eine der stattlichsten, welchen wir am Ob begegneten, denn wir fanden hier die Zeichen einer Regsamkeit und Thätigkeit, die uns vollständig überraschte. Aber noch Anderes, Lebendes, erregte unsere Aufmerksamkeit besonders. Dort an jener Hütte schweelte ein Feuer, und unter dem Schutze seines mächtige Rauches lagerte, von der Qual der Mücke befreit, Renthiere, die ersten, welche wir in Sibirien sahen. Nach den Erfahrugen in Lappland, wo die Kleidung eines Europäers genügt, um eine ganze Renheerde zu wilder Flucht zu veranlassen, erwartete wir hier natürlich Aehnliches, fanden uns aber getäuscht. Bei unserer Annäherung erhoben sich zwar die Thiere, starrten uns verwundert mit ihren großen Augen an, aber sie erschraken nicht, sondern trotteten, unter dem eigenthümlichen Geknister ihrer Hufe, sorglos dem nahen Walde zu. Und was waren es für stattliche Geschöpfe im Vergleiche mit den lappländischen!

Ungefähr drei Wochen später sollten wir die Bekanntschaft, aber nicht blos vorübergehend, erneuern, freilich unter ganz anderen Verhältnissen, in einer ganz verschiedenen Gegend. – Wir hatten uns in Obdorsk nur so lange aufgehalten, wie unumgänglich nothwendig war, denn es galt hier den Proviant zu vervollständigen und vor allen Dingen eine Mannschaft für unsern „Bismarck“ zu engagiren. Und dies ist in Obdorsk während des Sommers eben nicht leicht, denn um diese Zeit erscheint der kleine Ort, dessen Gesammtbevölkerung nur fünfhundert Seelen zählt, wenigstens was männliche Wesen anbelangt, wie ausgestorben.

  1. Heute läuft die nachfolgende Mittheilung durch die gesammte deutsche Presse; „Von Seiten der chinesischen Gesandtschaft in Berlin ist an die Wittwe des vielgenannten verewigten Generalconsuls Sturz folgendes Schreiben gelangt:
    Kaiserlich chinesische Gesandtschaft.
         Berlin SW., Friedrichstraße.
         Februar 16. 1878.

    Seine Excellenz, der chinesische Minister Liu-Ta-Yen, haben vernommen, welche Verdienste der verstorbene Herr Generalconsul Sturz um die Erleichterung der Qualen derjenigen seiner chinesischen Landsleute hat, die in Cuba, Peru und anderen südamerikanischen Ländern in Sclaverei gehalten wurden. Seine Excellenz beklagt mit Ihnen und der ganzen Menschheit den Verlust eines so unermüdlichen und großmüthigen Bekämpfers dieser argen Mißbräuche und hat mich beauftragt, um den löblichen Zweck der Errichtung eines Grabmals zu Ehren des verstorbenen Herrn Generalconsuls zu fördern, Ihnen die beifolgenden zweihundert Mark zur Verfügung zu stellen.

    Ich habe die Ehre etc.“

    Die Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_184.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2019)