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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


den Ammenmärchen und fürchtest Dich im vollen Ernste vor dem gespenstischen Nixenvolk.“

„Ich wollte, die Nixen rächten sich für den Spott und für die angedrohte Vernichtung,“ rief Gabriele mit einem Tone, der muthwillig sein sollte, aber sehr gereizt klang. „Mich freilich würde ihre Rache nicht treffen.“

„Aber mich, meinst Du?“ ergänzte Raven sarkastisch. „Sei ruhig, Kind! Dergleichen droht nur poetischen Mondscheinnaturen. An mir möchte sich dieser Nixenzauber doch wohl umsonst versuchen.“

Sie standen unmittelbar am Rande der Fontaine; das Wasser rauschte und rieselte eintönig aus der Muschelschale nieder, plötzlich aber gab ein Windhauch dem Strahle eine andere Richtung; er sprühte seitwärts, und ein funkelnder Tropfenregen ergoß sich gleichzeitig über den Freiherrn und Gabriele. Sie sprang mit einem leichten Aufschrei zurück. Raven blieb gelassen stehen.

„Das traf uns Beide,“ sagte er. „Deine Nixen scheinen sehr unparteiischer Natur zu sein. Sie strecken nach Feind und Freund ihre nassen Arme.“

Die junge Dame war nach der Bank geflüchtet und trocknete mit dem Taschentuche die Tropfen von ihrem Kleide. Der Spott ärgerte sie unbeschreiblich, gleichwohl wußte sie ihm nichts entgegen zu setzen. Jedem Anderen gegenüber wäre sie auf den Scherz eingegangen und hätte aus dem Zufall eine Neckerei gemacht – hier konnte sie es nicht. Der Scherz des Freiherrn war immer Sarkasmus; sein Lächeln schloß nie eine Spur von Heiterkeit in sich, und es war höchstens Ironie, die auf Augenblicke den gewohnten Ernst seiner Züge verdrängte. Er schüttelte mit einer raschen Bewegung die Tropfen ab, die auch ihn überschüttet hatten, und trat dann gleichfalls zur Bank, während er fortfuhr:

„Es thut mir leid, daß ich Dir Deinen Lieblingsplatz nehmen muß, aber das Urtheil über den Brunnen ist nun einmal gesprochen. Du wirst Dich darein finden müssen.“

Gabriele warf einen Blick auf die Fontaine, deren träumerisches Rauschen vom ersten Tage an einen geheimnißvollen Reiz auf sie geübt hatte. Sie kämpfte fast mit dem Weinen, als sie antwortete:

„Ich weiß es ja, daß Du nicht darnach fragst, ob Deine Befehle Jemanden wehe thun, und daß es ganz umsonst ist, Dich zu bitten. Du hörst ja niemals auf eine Bitte.“

Raven kreuzte ruhig die Arme. „So? Weißt Du das bereits?“

„Ja, und es bittet Dich auch Niemand. Sie fürchten sich ja Alle vor Dir, die Dienerschaft, Deine Beamten, die Mama sogar, nur ich –“

„Du fürchtest Dich nicht?“

„Nein!“

(Fortsetzung folgt.)




In den Liechtenstein-Klammen.
Von Oscar Kallwitz.
(Mit Abbildung.)

Der Zug hielt. „St. Johann!“ riefen die Conducteure, „zwei Minuten Aufenthalt!“ Ich folgte dem Drängen meiner Reisegefährten und stieg aus, nicht ohne ein gewisses Zögern. Mein Reiseziel nämlich war Zell am See, und dahin lautete auch meine Fahrkarte. Aber meine bisherigen Coupégenossen hatten mir von den wilden Klammen der Großarl, den sogenannten Liechtenstein-Klammen, so viel des Merkwürdigen erzählt, daß ich eben noch im letzten Momente meinen Reiseplan umänderte und die Klammen zu besuchen beschloß, um so mehr, als ich eigentlich Großartiges in dieser Art noch nicht gesehen hatte.

Die Klammen der Großarl sind von St. Johann nicht weiter als eine gute Stunde entfernt. Da wir nun jedenfalls (es war erst Nachmittag) im Verlaufe des Tages wieder von St. Johann weiter zu reisen gedachten, mietheten wir ein Gefährte und fort ging es, zunächst nach der genannten Stadt.

St. Johann, zum Unterschied von anderen Orten gleichen Namens „im Pongau“ zubenannt, ist der Hauptmarkt dieses Gaues und zählt fast 3000 Einwohner, die sich durch Rührigkeit und Wohlhabenheit vor vielen anderen Gebirgsbewohnern auszeichnen.

Von St. Johann aus führt die Fahrstraße nach Süden das rechte Ufer der wild dahin rauschenden Salzach entlang. Die Landschaft ist herrlich. Rechts und links und vor uns thaleinschränkende, kühngeformte und dichtbewaldete Berge, hinter uns in duftiger Ferne das rauh zerrissene, schroffe, schneebesprenkelte Tännengebirge, dessen Gerippe durch die von Sonnenschein des prachtvollen Augusttages hervorgerufene scharfe Begrenzung von Licht und Schatten besonders plastisch hervortrat.

Nach einer Fahrt von etwa einer halben Stunde, während deren wir am dem Dorfe Plankenau vorbei aus dem Salzachthal in das Nebenthal der Großarl eingebogen waren, hatte der Fahrweg sein Ende erreicht. Wir stiegen aus und überließen uns der Führung eines Fußweges, der uns durch Gebüsch und jungen Wald thalauswärts führte. Nicht mehr weit vor uns schien das Thal von einer senkrechten, fast tausend Fuß hohen Felswand sackgassenähnlich abgeschlossen zu sein, sodaß wir verwundert nach dem Durchbruche der unter uns im Sonnenschein glitzernd dahineilenden Ache forschten. Aber wir konnten nichts wahrnehmen; nur ein dumpfes, weithallendes Getöse ließ auf bedeutende Wasserstürze schließen.

Die Großarl ist ein wasserreicher Gebirgsbach von reichlich dreißig Kilometer Lauflänge und nimmt ihren Ursprung aus einem Gletscher, dem sogenannten Gstöß-Kees, nicht weit vom Ankogel, dem dominirenden Punkte der näheren Umgebung. Das Großarler Thal verdient unter den vielen schönen Seitenthälern hervorgehoben zu werden, welche sich quer in nördlicher Richtung mit seltener Regelmäßigkeit von jenem gewaltigen Gebirgszuge der Tauern herabziehen, der die in westöstlicher Richtung sich erstreckende, musterhafte Centralkette der Ostalpen darstellt. Ungefähr da, wo die hohen Tauern in die niederen oder Radstädter Tauern übergehen, steigt das Großarler Thal herab und mündet in das Längsthal der Salzach, wo dieses, den Charakter eines Querthales annehmend, nach Norden umbiegt. Die Klammen selbst, ausgezeichnet durch ihre Enge und Tiefe, liegen im unteren Theile des Thales, nicht weit vom Einflusse der Ache in die Salzach und waren bis vor Kurzem fast ganz unbekannt und unzugänglich.

Ende des Jahres 1875 faßte die Section Pongau des deutschen und österreichischen Alpen-Vereins den Beschluß, die Klammen zugänglich zu machen, und schon in der Mitte des nächsten Jahres war ein Steig von eintausendachthundert Meter Länge durch den Haupttheil der Klammen fertig hergestellt. Am Pfingstmontage des Jahres 1876 wurden die Klammen feierlich eröffnet und zu Ehren des Fürsten Liechtenstein, der das Protectorat über die Anlagen übernommen, mit dem jetzt gebräuchlichen Namen belegt. Der Weg soll noch etwa eine halbe Stunde weiter auswärts geführt werden, wo eine zweite Reihe von Klammen und, was für die Weiterführung des Weges am maßgebendsten ist, warme Quellen sich befinden, welche man der leidenden Menschheit nutzbar machen will. Diese Quellen, als ganz gleich mit den im Nachbarthale von Gastein gelegenen befunden, sind übrigens schon seit alter Zeit bekannt. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts waren sie sogar zu einem Bade hergestellt, das allerdings sich in einem sehr primitiven Zustande befand und noch dazu, einen die Klammen umgehenden, steilen, lebensgefährlichen Zugang hatte, sodaß mancher, der hier Heilung seiner Leiden suchte, durch einen Sturz verunglückte. Es wurde leider nach einigen Jahren durch eine Ueberschwemmung zu Grunde gerichtet und später von Lawinen verschüttet.

Mittlerweile hat uns der Weg um einen Vorsprung des Thalhanges geführt, und nun sehen wir auch mit Staunen, welchen Weg die Ache genommen. Als ob die schon erwähnte thalabsperrende Felswand durch unterirdische Kräfte, durch irgend eine Erdrevolution gespalten worden wäre, gähnt dicht vor uns

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_196.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2019)