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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

um die Nacht hindurch dorten zu schlafen oder doch zu verweilen. Inzwischen war nicht blos unsere Familie, sondern der ganze Ort in Aufruhr und Bewegung gekommen. Alt und Jung, Mann und Weib trieb sich draußen umher, um an dem Lärm Theil zu nehmen. Ein mit Stricken und Seilen versehener Schwarm warf sich gegen die Hausthür, an welcher mein Vater stand, indem er sie halb öffnete:

„Nur verheirathete Männer dürfen herein,“ kündigte er dem Haufen an. „Ledige Burschen bleiben draußen.“

Und so geschah es. Die Hereingelassenen polterten nun mit ihren Stricken die hölzernen Treppen hinan auf den Speicher, unter den Thurm, in welchem noch immer die Rathhausglocke bimmelte. Sie warfen von oben das Seil-Ende hinunter und riefen der tobenden Menge zu:

„Stellt ihn in die Grube! Bindet die Stricke an! So! Jetzt!“

Und im Nu war die Arbeit gethan. Ein gräuliches Jubelgeschrei drang zum nächtlichen Maienhimmel empor. Der Freiheitsbaum stand fest, war zur Freude Derer, die ihn nächtlicher Weile im Walde geholt und unter Freudeschüssen und Absingen von Freiheitsliedern nach dem Orte gebracht hatten, in gelungener Weise aufgepflanzt. Und zwar an der Stelle, wo schon jener von 1792, und jener von 1815, bei Napoleon’s Rückkehr von Elba, gestanden.

Während nun draußen auf der Rathhausbrücke, auf dem Platze inmitten des Fleckens der Jubel, Gesang und Gewehrlärm fortdauerte, sammelte sich wieder ein größerer Haufe vor der Hausthür und begehrte Einlaß auf das Rathsbureau.

„Ruft den Bürgermeister herbei!“ sagte mein Vater. „Dann mögen die Bürger hereinkommen, doch kein junger Bursche.“

Und der Bürgermeister kam, trat herein und die Treppen hinan bis in’s Rathsbureau, ihm nach die älteren Bürger, wobei freilich nicht verhütet werden konnte, daß sich auch Einige hereinschlichen, die besser draußen geblieben wären.

Bürgermeister Michael Hoffmann war ein bemerkenswerther Mann, schon in französischer Zeit Maire im Orte gewesen, seitdem Bürgermeister und zwar gleichsam ein geborener, zu dessen Lebzeiten Niemand daran dachte, daß es auch einmal ein anderer sein könnte. Er war Mitglied des Landraths der Pfalz und der Synode der pfälzischen Landeskirche, im ganzen Lande wohlbekannt als „Michel Münster“. Münster ist nämlich die landesgebräuchliche Abkürzung von Klingenmünster, und da die alte Dagobert’sche Stiftung vor allen andern dem streitbaren Erzengel Michael, der den Höllendrachen erwürgt, gewidmet war, so lag in dem Spitznamen eine sehr ehrende Beziehung, die er auch vollauf verdiente. Aus sich selbst geworden, war er ein echter Volksmann, ein rechter Repräsentant pfälzischen Bodens, praktisch, kühn, voll Geistesgegenwart und mit jenem Ehrgeiz ausgerüstet, der zum richtigen Handeln reizt. Unserer Familie war er Freund, Nachbar und Gevatter, für die Gemeinde der rechte Vorstand, der bei strengem Haushalt den Ort nach allen Seiten mit guten Straßen versah.

Bei allem Freisinn pflegte der stattliche Mann historische Familienerinnerungen und blieb nicht ohne Beziehungen zu den verarmten katholischen „Hoffmännern“ im Gossersweiler Thal. Als nämlich 1680 Ludwig der Vierzehnte die Fauthei Landeck besetzte, das Allodialerbe der Herzogin von Orleans, jener bekannten Elisabeth Charlotte von der Pfalz, da wurden die Thalbewohner hinter Klingenmünster durch Dragoner, Kapuziner und freien Trunk wieder katholisch gemacht, und auch der Michel Hoffmann von Mönchweiler fiel mit Frau und Söhnen vom reformirten Glauben ab. Nur eines der Kinder, Diether, wollte nicht katholisch werden, lief fort in die Welt und kam bis hinauf zum Hofe Hermersberg im einsamen Forste der Haardt. Dort nahm ihn eine Wiedertäuferfamilie auf; später verdiente er viel Geld am Bau der Landauer Festungswerke, siedelte sich in Klingenmünster an und ward da oft von seinen Brüdern besucht, während er selbst nie wieder in’s Gossersweiler Thal ging. Noch heute nennen sich die „Hoffmänner“ im Thal und die in Münster Vettern, und Bürgermeister Hoffmann war der Urenkel jenes Diether und erzählte dessen Lebensgeschichte oft genug, wenn er mit meinem Vater beisammensaß.

Wie gerne lauschte ich den Mittheilungen dieses Mannes, besonders über die erregten französischen Zeiten! Hier nur einen charakteristischen Zug aus seinem eigenen Leben! Als die Alliirten nach Paris zogen, war eines Tages wieder die Stube des Bürgermeisters Hoffmann vollgepfropft mit kaiserlichen Officieren, die ihres Quartierbillets harrten, welches der Gemeindevorstand mit der großen Papierscheere selbst zuschnitt. Nun ward einem ein kleines Haus gegenüber angewiesen, in welchem jedoch der reichste Mann des Ortes wohnte. Der Officier brauste wild auf: er lasse sich nicht zum Schweinhirten einquartieren, fluchte und schimpfte trotz beschwichtigender Erklärungen und griff zuletzt wüthend nach seinem Säbel. Da faßte aber unser Bürgermeister die mächtige Papierscheere kürzer und rief:

„Stecken Sie sofort Ihren Flederwisch ein, oder ich steche Sie durch und durch!“

In diesem Augenblicke erhob sich aus einem Winkel der Stube ein unscheinbares Männchen, schlug den Mantelkragen zurück und befahl, den widerspänstigen Officier nun sofort wirklich zum Schweinhirten einzuquartieren, worauf er demselben den Degen abnahm. –

Bürgermeister Hoffmann hatte also in jener „Freiheitsnacht“ von 1832 mit meinem Vater, der das Protokoll führte, Platz am schwarzen Tisch genommen und bat um Ruhe; der Lärm legte sich allmählich, wenn auch nicht ganz. Die „Hauptkrischer“ stammten, wie schon 1792, aus dem Unterdorf und der Steingasse, die schlimmsten aus der Schelmengasse, wo einst der Scharfrichter der Fauthei gewohnt, und aus dem „scharfen Eck“, jenem Ortstheil, der sich gegen den Fuß des Schloßberges hin erstreckt und schon halb zum Westrich gerechnet wird. Es ist das Neulerchenfeld oder Voigtland von Klingenmünster, zumeist von Leuten bewohnt, die vom Wald und Steinbruch lebten. Unser alter Nachbar, der Bäcker Leibrecht, pflegte fechtenden Handwerksburschen zu sagen: „Fechtet das ganze scharfe Eck durch, und habt Ihr auch nur zwei Kreuzer erfochten, so könnt Ihr nach Algier gehen und Euch bei den Franzosen als Fechtmeister anstellen lassen.“

Die Beschwerden wurden also vorgebracht. Auch hier stand im Vordergrunde die Frage wegen des Waldes, den Einige am liebsten getheilt hätten, dann wegen des Streuwerks, vulgo „Sträseld“. Einer murrte über die kleinen Wecke und Würste, wie 1525 die Kitzinger Bürger, denen deswegen ihr gnädiger Markgraf hernach die Augen ausstechen, die Hände abhacken und der Stadt verweisen ließ, daß die Armen noch an allen Kreuzwegen mit aufgehobenen Stummeln dem Tyrannen fluchten, als er schon in seiner Gruft zu Heilsbrunn moderte. Solches Gericht drohte nun unsern Bürgern von Klingenmünster nicht, als sie nach einander alle die Beschwerden vorbrachten, wie man sie überall hörte, meistens localer, selten politischer Natur. Zollfreiheit, Preßfreiheit, ein deutsches Reich zu verlangen, überließ man meistens Anderen, doch schrie man wacker mit, forderte jedoch bei Gelegenheit nur das Zunächstliegende, freilich oft in verkehrter Weise. So sagte endlich Einer:

„Die Schulmeeschter zehren uns uff.“

Das wäre allerdings eine harte Anklage gewesen, doch nur in so fern richtig, als auf Betreiben der pfälzer Regierung damals die Gemeinden sich mit theuern und unpraktischen Schulbauten überbürdeten, während die Lehrerbesoldungen überall gering blieben. In Klingenmünster, wo keine Schulgüter bestanden, gab es damals einen katholischen und einen protestantischen Hauptlehrer, jener arm wie eine Kirchenmaus, dieser durch Privatvermögen in Besitz von Weinbergen, Fruchtfeldern, Wiesen und Kastanienwäldern, wie seine Nachbarn. Geschenke nahm er niemals; Niemand hätte sich getraut, ihm etwas bieten zu wollen. Im Gegentheil schenkte besonders die Frau Lehrerin ihrerseits viel an arme Schulkinder, und oft saß Mittags und Abends die ganze Küche voll kleiner Jungen und Mädchen, die von der Frau Lehrerin warm abgefüttert wurden – was ich genau weiß, denn es war meine Mutter. Dessenungeachtet sagte also einer der Beschwerdeführer in jener „Freiheitsnacht“: „Die Schulmeeschter zehren uns uff.“

Nachdem man darüber hinweg gegangen war, trat ein Anderer auf, ein alter „Speckreiter“, das ist Sansculotte aus den neunziger Jahren, der damals in der Carmagnole und mit umgürtetem Säbel besonders die zurückgebliebenen Frauen der kurpfälzer Beamten ängstigte, indem er sie zum Ruf: „vive la nation!“ nöthigte. Es war ein hagerer Mann in einer Bauernjacke,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_216.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)