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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

mit herabhängenden Lippen, schlaffen Wangen, Eulenaugen, starrem Blick, an einen puritanischen Fanatiker aus Cromwell’s Zeit erinnernd. Dieser nannte als seinen Wunsch kurzweg:

„Republik! Liberté, egalité, fraternité! Vive la nation!

Vive l’empereur!“ fügten einige alte Soldaten hinzu, die sich noch in der Nacht mit einem Rausch versehen hatten.

„Sonst nichts?“ fragte der Bürgermeister launig, während Einige lachten. „Was wollt Ihr noch? Nun? Was noch?“

Eine Zeit lang blieb Alles still. Dann rief eine Stimme aus des hintersten Ecke:

„Köppe!“

„Wer will köpfen? Wen wollt ihr köpfen?“ fragte Bürgermeister Hoffmann ruhig.

„Alles muß verguillotinirt werden,“ sprach dieselbe Stimme, sich etwas mehr hervorwagend, da sie Zustimmung fand.

„Ihr müßt Alle,“ schrie ein Anderer von der Menge gedeckt, „Alle bampeln“ – das ist baumeln, aufgehängt werden.

Unterdessen war aber Bürgermeister Hoffmann bereits von seinem Sitze aufgestanden und trat mit festem Blick unter die tobende Menge, welche sich in ihren Anschauungen theilte und bekämpfte, bei der Erscheinung des stattlichen Mannes aber aus einander wich und Platz machte, sodaß er die freie Gasse rasch benützte. Plötzlich faßte er einen der hintersten Burschen, dessen Stimme er erkannt haben mochte, schlug ihm Eine rechts und Eine links an’s Ohr und schleuderte ihn dann kräftigst zur Thür hinaus.

„So!“ sagte er. „Jetzt geh’ hin und köpp’!“

„Herr Bürgermeister,“ rief mein Vater in guter Laune, „bringen Sie mir den Andern, damit ich ihn das Bampeln lehre!“

Der aber hatte dem Landfrieden nicht getraut und sich bereits aus dem Staube gemacht. Zwar war die Sitzung damit noch lange nicht zu Ende; die ganze Nacht trampelte das Männervolk mit leidenschaftlichem, schreiendem Meinungsaustausch im Hause aus und ein, auf und ab, sodaß meine Mutter kein Auge schloß, während ich selbst längst wieder eingeschlafen war. Der Bürgermeister hob endlich die mitternächtliche Sitzung auf und forderte die Versammelten auf, jetzt ruhig heimzugehen und sich auf das Ohr zu legen.

Ich will hier gleich beifügen, daß der „Köpper“, wie der hoffnungsvolle Sohn Klingenmünsters von Stunde an hieß, zur Betrübniß Europas bald darauf mit dem großen Strome der Auswanderer über’s Meer setzte, während auch das „Bamperle“, ein Schneider, nach einigen weiteren dummen Streichen in Verschollenheit gerieth. Beide schöne Seelen entstammten dem „scharfen Eck“. –

Als ich andern Morgens aufwachte und von hohem Schemel aus durch das Fenster sah, gingen draußen viele Leute umher. Mir ganz nahe aber stand ein hoher Baum, wie ich noch keinen gesehen hatte, der gestern noch nicht dagewesen und nun, mit schwarz-roth-goldenen Bändern und Schnüren geschmückt, den grünen Wipfel bis zum Rathhausthurme emportrug. Die Mädchen von Klingenmünster hatten ihn in der Nacht so schön geziert, bevor er aufgestellt worden war.

Nachdem aus der Pfalz die in Altbaiern üblichen Maibäume schon seit undenklicher Zeit verschwunden waren, blieb der Freiheitsbaum für uns Kinder eine ebenso erfreuliche Erscheinung, wie ein großes Ereigniß. Allabendlich sammelten sich in jener Zeit die Bauern um denselben, plaudernd, perorirend, lärmend, indem sie bald den Dr. Wirth, bald den Siebenpfeiffer, bald Schüler, bald Pistor leben ließen. Der Baum stand noch während des Hambacher Festes, zu welchem auch von Klingenmünster, aus dem Hofe des Bürgermeisters zwei blumengeschmückte Wagen voller Festgenossen abgingen.

In allen Orten längs der weinreichen Haardt und im Wasgau grünten damals die Freiheitsbäume, deren erster diesmal am Fuße der alten Reichsveste Trifels, in dem früheren Reichsstädtchen Annweiler gesetzt worden war. Man hatte ihn am Abend des 6. Mai unter Klang und Sang aus dem Bürgerwalde geholt und neben den Roland im Marktbrunnen gestellt. Ein Kaminfeger aus Altbaiern wollte ihn mit der Axt fällen, wurde aber gräulich vertrommelt, während die alte dreifarbige Reichsfahne aus dem Rathhause geholt und aufgehißt wurde. Bald wurde ein noch höherer Baum aufgerichtet, nächtlicher Weile jedoch von den Gegnern niedergeworfen. Am nämlichen Abend stieg dagegen ein frischer Baum in die Höhe, obwohl von Landau her die Baiern durch das Queichthal gegen die alte Reichsstadt vorrückten. Hier wollten sie Verhaftungen vornehmen. „Bürger heraus! Auf die Soldaten!“ hieß es jetzt, und im Nu sammelten sich an zweitausend bewaffnete Männer und – Weiber, welche mit Aexten, Heugabeln und Flinten auf die vor dem Hause des Bürgermeisters Sieben aufgestellten Soldaten eindrangen. Auf den Ruf: „Soldaten zur Stadt hinaus!“ fand es der commandirende Officier angezeigt, nachzugeben. Erst als Bürgermeister Sieben abgedankt hatte, wurden die Baiern zurückgerufen und von den Bürgern festlich bewirthet. Von da an waren allerorts im Gebirge die Freiheitsbäume gepflanzt worden, auch der unsrige.

Als mein Vater vom Hambacher Feste zurückkehrte, stand unser Freiheitsbaum noch und die Spatzen trieben sich schreiend in dessen Wipfeln umher. Unser Liebling war er noch immer; doch trat er bei den Erwachsenen etwas in den Hintergrund vor den Erlebnissen auf dem Hambacher Schlosse. Da wurde immer wieder erzählt, wie die Table d’hôte verregnet worden und des Herrn Bürgermeisters Schwester fast verunglückt sei, da Alles den Berg hinunter rannte; wie der Dr. Wirth gedonnert habe mit rollenden Augen, geballter Faust, das Ehrenschwert schwingend gegen Tyrannei und – Franzosenthum, für Deutschlands Ruhm und Einheit; wie dann der Siebenpfeiffer beim Reden schwarz und gelb geworden sei und vor innerer Wuth gezittert habe, als wolle er den Tyrannen Gift eintränken; wie Börne und Harro Harring, der Friese, ausgesehen, wie ein Pole und auch Dr. Pistor, in eine anschließende Polonaise gekleidet, begeistert gesprochen haben – und Weiteres mehr. Das Fest hatte dem Volksgeiste zum ersten Male wieder den Gedanken an das Reich nahe gebracht, und dieser wirkte in den Rheinlanden fort, auch dort Boden gewinnend, wo die „Franzosenköpfe“ bis dahin überwogen hatten.

So grünte mir in jenen Sommerwochen draußen vor’m Fenster der Freiheitsbaum. Als ich jedoch eines Morgens ahnungslos wieder hinausschaute, war er verschwunden, spurlos verschwunden. Nur am Boden war eine Grube, halb zugeschüttet, wo er gestanden. Es ist mir noch lebhaft gegenwärtig, wie unglücklich ich mich als Kind darüber fühlte, wie ich jammerte, ohne daß mir Jemand helfen konnte. Mein schöner geschmückter Baum, an dessen Anblick ich mich so sehr gewöhnt hatte, erstand nicht wieder. Wo er hingekommen, was aus ihm geworden, wer ihn verschwinden ließ – ich habe es nie erfahren.

Damals war Fürst Wrede schon auf dem Marsche in die Pfalz, die Untersuchungen wurden allerorts eingeleitet. Die Häupter der Bewegung, wie Wirth, Siebenpfeiffer, waren verhaftet, ein anderer nur durch die List eines Mädchens von Bergzabern vor Verhaftung bewahrt. Schüler und Pistor, beide Bergzaberner Kinder, waren über die nahe Grenze geflohen. Ein vornehmer stolzer Republikaner und weitaus der begabteste und beredteste aller jener Männer von 1832, saß Schüler erst 1849 wieder mit krankem Körper im baierischen Landtag, wo alle Parteien, Minister und Räthe athemlos seiner wahrhaft seltenen Eloquenz lauschten. Was nun den Pistor betrifft, des Posthalters Sohn von Bergzabern, so galt er für die gewinnendste Erscheinung unter den Helden von 1832, wie er der jüngste war. Seine Rede auf dem Hambacher Schlosse galt damals Vielen für die schönste unter allen. –

Nun war es ein Sommermorgen. Nachbarskinder hatten mich mit in den Wald genommen, in die Heidelbeeren. Da klang plötzlich von Osten über die Häuser des Orts her Trommellärm und heller Hörnerklang in’s Waldthal herein. Als wir heimkamen, waren die „Baiern“ schon eingezogen, einquartiert. Und nun wechselten viele Monate lang Truppen um Truppen im Orte, zur Lust von uns Kindern, ohne den gastfreien Pfälzern allzu lästig zu werden. Und auch die „Strafbaiern“ von 1832 fühlten sich nicht unglücklich in der schönen Pfalz. Es war ein heiteres, sanglustiges Volk, freundlich gegen uns Kinder. Allein den Freiheitsbaum ersetzten sie uns doch nicht; der blieb ein für alle Mal verschwunden, und ich habe seitdem keinen mehr gesehen. – –

Zweiundvierzig Jahre waren verflossen. Da befand ich mich an einem schönen Octobersonntag, im Jahre 1874, zu Besuch bei einem Freunde, einem hervorragenden baierischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_217.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)