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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

war unerhört bei ihm, der alle Festlichkeiten nur als lästige Etiquettenpflichten betrachtete, aber die junge Dame war es so gewohnt, von den Eltern und der Umgebung verzogen zu werden, daß ihr das alles nicht besonders auffiel. Sie nahm die Güte ihres Vormundes hin, wie sie früher seine Strenge hingenommen hatte, mit dem Uebermuthe und der Launenhaftigkeit eines Kindes, und heute drängte nun vollends der Gedanke an das kommende Fest alles Uebrige bei ihr in den Hintergrund. Sie sprühte von allerlei neckischen Einfällen, und ihr helles Lachen klang immer wieder von Neuem durch die feierliche Stille der Prachträume.

Raven war ernst und schweigsam wie gewöhnlich, aber er hörte mit offenbarem Vergnügen dem Geplauder zu, und dabei haftete sein Blick wie selbstvergessen auf dem jungen Wesen, das so rosig blühend an seinem Arme hing und mit den leuchtenden, glückstrahlenden Augen zu ihm aufblickte. Gabriele hatte nie reizender ausgesehen, als an diesem Abende, in dem duftigen weißen Ballanzuge, durch den sich hier und da blühende Gewinde schlangen, und mit dem vollen Blüthenkranze in den blonden Haaren; ihre ganze Erscheinung war von einem so bestrickenden Zauber, von einer so thaufrischen Anmuth, als sei eine der lustigen, neckischen Elfengestalten der Sage lebendig geworden. In dem Lichtmeer, das heute durch die Säle floß, war sie das Hellste und Lichteste von Allem.

Sie hatten ihren Rundgang beendet und betraten jetzt den großen Empfangssalon, der mit den Portraits verschiedener historischer und fürstlicher Persönlichkeiten geschmückt war. Der blendende Glanz der Kronleuchter floß nieder auf die prachtvollen, aber noch völlig öden Räume, die trotz des festlichen Schmuckes in ihrer Leere und Stille einen beinahe unheimlichen Eindruck machten. Man vernahm nichts, als den Schritt des Freiherrn und das Rauschen des Kleides seiner Begleiterin.

„Wir sind wirklich wie in einem verzauberten Schlosse,“ sagte Gabriele muthwillig. „Die einzigen lebenden Wesen in all der todten Pracht ringsum. Ich habe nicht geglaubt, daß Dir so viel Glanz zu Gebote stände, Onkel Arno; es muß doch schön sein, sich als Herr darüber zu fühlen.“

Der Freiherr sandte einen prüfenden, aber sehr gleichgültigen Blick durch die Gemächer, als er antwortete: „Du findest das wohl sehr beneidenswert? Ich habe von jeher auf diese Seite meiner Stellung wenig Gewicht gelegt.“

„Auch auf diese nicht?“ Gabriele deutete auf das Ordensband. Es war einer der höchsten Orden des Landes, den der Freiherr trug, eine Auszeichnung, wie sie nur in den seltensten Fällen gewährt wurde.

„Auch darauf nicht,“ sagte Raven ruhig, „obwohl ich beides nicht entbehren möchte. Der äußere Glanz ist nun einmal unzertrennlich von jeder Machtsphäre; den meisten Menschen verkörpert sie sich ja nur in solchen Aeußerlichkeiten; also muß man ihnen Rechnung tragen. Ich habe das von jeher gethan, aber mein Streben selbst ging nach anderen Zielen.“

„Die Du doch auch erreicht hast, wie Alles im Leben.“

Der Freiherr schwieg einige Secunden lang. Es war ein rätselhafter Ausdruck, mit dem sein Auge aus dem Antlitze des jungen Mädchens ruhte, als er endlich entgegnete:

„Ich habe Viel erreicht. Alles – nein!“

„Willst Du noch höher hinaus?“ fragte Gabriele mit naiver Verwunderung.

Er lächelte. „Nein, diesmal möchte ich um zwanzig Jahre rückwärts schreiten.“

„Und weshalb denn?“

„Um wieder jung zu sein. Ich habe es in der letzten Zeit oft genug empfunden, daß ich – alt geworden bin.“

Die junge Baroneß deutete neckend auf den großen Wandspiegel, der sich ihnen gerade gegenüber befand. „Sieh dorthin, Onkel Arno, und dann sage es noch einmal, daß Du alt bist!“

Raven folgte der Richtung ihrer Hand. Das helle Glas warf in voller Klarheit sein Bild zurück, die hohe, gebietende Gestalt in reifster Manneskraft. Er musterte es mit einem Gemisch von Befriedigung und leiser Unruhe.

„Und doch stehe ich bereits an der Schwelle der Fünfzig,“ sagte er langsam. „Weißt Du das, Gabriele?“

„Gewiß! Aber weshalb legst Du einen solchen Nachdruck darauf? Du fühlst doch sicher noch nicht einen einzigen der Vorboten des Alters.“

„Eben deshalb komme ich bisweilen in Versuchung, es zu vergessen, und das kann unter Umständen gefährlich werden. Du solltest mich am wenigsten dazu ermuthigen.“

Raven brach plötzlich ab, als er den fragenden Blick des jungen Mädchens gewahrte, das die Aeußerung offenbar nicht verstand. Er wandte sich weg von dem Spiegel und fuhr in leichterem Tone fort:

„Es gefällt Dir also bei mir im Schlosse?“

„Wenn Alles so licht und hell ist wie heute Abend, gewiß,“ versicherte Gabriele. „Am Tage finde ich das Schloß recht düster. Diese hohen Wölbungen, diese tiefen Nischen und breiten Pfeiler geben nichts als Schatten, und Dein Arbeitszimmer ist nun vollends der düsterste Ort, den ich kenne. Die schweren Vorhänge lassen ja auch nicht einen einzigen Sonnenstrahl hinein.“

„Die Sonne stört mich beim Arbeiten,“ wandte der Freiherr ein.

Die junge Dame warf ärgerlich das Köpfchen zurück. „Aber mein Gott, man lebt doch nicht blos, um zu arbeiten.“

„Es giebt aber Naturen, denen die Arbeit Nothwendigkeit und Bedürfniß ist, wie mir zum Beispiel. Ein Schmetterling, wie Du, begreift das freilich nicht. Der fliegt und flattert im Sonnenschein, glänzt in tausend Farben – und ist hin, sobald der bunte Staub von den Flügeln fällt. Es ist etwas Schönes, aber auch etwas Vergängliches um solch ein Schmetterlingsdasein.“

Es lag wieder etwas von dem alten Sarkasmus in den letzten Worten des Freiherrn. Gabriele nahm eine höchst beleidigte Miene an.

„Ah so, Du meinst, ich bin auch so ein buntes Nichts? Nicht wahr, Onkel Arno?“

„Ich meine, daß es ein Unrecht wäre, von Dir zu verlangen, Du solltest Leiden oder Kämpfen gewachsen sein,“ sagte Raven ernster. „Wesen wie Du sind nun einmal nur für Glück und Sonnenschein geschaffen und können in keinem anderen Elemente leben. Die Arbeit und den Kampf überlasse mir und meines Gleichen! Es ist auch eine Bestimmung, der Sonnenstrahl für seine Umgebung zu sein und alles Dunkle licht und hell zu machen; Du hast ganz Recht, es ist töricht, ihn so streng zu verbannen, aus Furcht, man könne dadurch geblendet werden. Warum soll er nicht auch einmal den Herbst vergolden?“

Er hatte sich zu dem jungen Mädchen niedergebeugt und sah ihr tief in’s Auge, als die Flügelthüren geräuschvoll geöffnet wurden und die Baronin Harder über die Schwelle rauschte. Der Freiherr richtete sich jäh empor und warf seiner Schwägerin einen nichts weniger als freundschaftlichen Blick zu, den sie zum Glück nicht gewahrte. Sie passirte gerade den großen Wandspiegel und prüfte darin den Effect ihrer Erscheinung. Die Dame hatte von der Freigebigkeit ihres Schwagers einen sehr ausgiebigen Gebrauch gemacht; ihre reiche Toilette war nur etwas zu überladen, um schön zu sein. Die kostbare Atlasrobe verschwand fast unter all dem Sammet und den Spitzen, die sie bedeckten. Das Haar schmückte ein förmlicher Blumengarten, und die gleichfalls durch die Großmuth des Freiherrn aus dem Ruin geretteten Diamanten funkelten an Hals und Armen. Was Toilettenkünste nur leisten konnten, das war aufgeboten worden, und mit deren Hülfe wäre es der Baronin vielleicht auch gelungen, am heutigen Abende noch für eine schöne Frau zu gelten, wenn nicht die jugendlich blühende Gestalt der Tochter neben ihr gestanden hätte. Vor der Anmuth und Frische des siebenzehnjährigen Mädchens hielt keiner jener künstlichen Reize Stand, und daneben erschien die Mutter als das, was sie in der That war, als eine verblühte, alternde Frau.

„Verzeihung, wenn ich habe warten lassen!“ sagte sie, sich mit gewohnter Liebenswürdigkeit ihrem Schwager nähernd. „Ich wußte nicht, daß Sie bereits im Salon waren, Arno, und noch ist Niemand von den Gästen vorgefahren. Gabriele hat Sie hoffentlich während meiner Abwesenheit unterhalten.“

Raven erwiderte nichts. „Unsere Gäste müssen sogleich erscheinen,“ äußerte er nach einer Weile, sichtlich verstimmt durch die Unterbrechung, und in der That hörte man gleich darauf den ersten Wagen vorfahren. Der Freiherr bot seiner Schwägerin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_240.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)