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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Gelegenheiten. König Maroka, ein alter Herr mit freundlichem Gesicht und weißem Vollbarte – so viel oder vielmehr so wenig als ihn der Haarwuchs eines Betschuanen hergiebt – empfing mich in der Mitte seines Rathes, einiger bejahrten schwarzen Herren in europäischem Costüm, während der König selbst nach afrikanischer Mode nur mit schönen Karrossen bekleidet war. Nur bei seinen seltenen Besuchen in Bloemfontein trägt auch er einen europäischen Paletot und Cylinderhut.

Zwei Lehnstühle waren vor dem Empfangssalon in’s Freie gestellt, worauf Herr Daniels und ich eingeladen wurden, Platz zu nehmen, und nun begann eine den Umständen angemessene, durchaus den feinsten europäischen Höflichkeitsformen entsprechende Unterhaltung. Dann stellte mich der König seiner ersten Gemahlin vor, der Königin die als solche den Vorrang vor allen seinen anderen Gattinnen hat. Sie befand sich im gegenüberliegenden Winkel des Hofes und präsentirte sich als eine freundlich blickende Frau von einigem Embonpoint. Auch sie war nur mit kostbaren Karrossen von Goldschakal und grauer Zibethkatze bekleidet. Sie wird von ihren Unterthanen allgemein ‚die Mutter des Volkes‘ genannt und muß also diesen Ehrentitel wohl auch verdienen.

Ich fragte nun nach dem Wohlsein der Kinder. Maroka hat deren nicht weniger als fünfundsechszig; sie waren daher wie Orgelpfeifen in allen Größen vorhanden. Je älter ein afrikanischer Fürst wird, desto reicher pflegt er zu werden, durch das natürliche Zunehmen seiner Heerden und das Verhandeln seiner Töchter an reiche und einflußreiche Männer, wodurch seinen Heerden (da das Kaufgeld nur in Vieh gezahlt wird) immer neuer Zuwachs zufließt. Auch die Strafen für von Unterthanen begangene Verbrechen müssen, da Gefängnisse in den Ländern der Schwarzen eine vollständig unbekannte Sache sind, an den König stets ausschließlich in Vieh entrichtet werden, sodaß seine Heerden in einem fort anschwellen und ihn dadurch in den Stand setzen, immer noblere, schönere, jüngere und daher theuerere Weiber zu kaufen. Eine natürliche Folge hiervon ist, daß das letzte Weib gewöhnlich das jüngste und geliebteste ist, und daß der älteste König, wenn keine anderen Umstände ihm solches Glück versagen, oft noch ganz winzig kleine Kinder hat.

Als ich bat, mir einige der Kinder zu zeigen, wurden mir mehrere Mädchen vorgeführt, die mir höchst liebenswürdige europäische Knickschen machten und halb europäisch, halb kafferisch gekleidet waren. Eine davon, die etwa neunjährige Prinzessin Marguerite, abgekürzt Magi, war ein ganz reizendes kleines Wesen. In einem feingeschnittenen, intelligenten und edel geformten Gesicht hatte sie ein paar Augen – nun, in meinem Leben habe ich nie solche Augen gesehen, von einer Größe, einer Schwärze auf schneeweißem Grunde, einem solchen Lichtglanze wie ein paar brennende kleine Sonnen. Dabei hatte sie einen sehr üppigen Haarwuchs, ähnlich dem der Zulus und Mulatten, der ihr mehr die Erscheinung einer sehr dunkelfarbigen Italienerin oder Spanierin gab, als die einer Negerin.

Als ich nun dieses prächtige, für ein Negerkind unvergleichlich schöne kleine Wesen sah, fuhr mir plötzlich eine romantische Idee durch den Kopf. Wie, wenn ich versuchte, den kleinen schwarzen Engel unter meine Obhut zu bekommen, ihn mit nach Europa zu nehmen und dort durch eine ausgesuchte Erziehung und durch sorgfältig gewählte deutsche Lehrer alle Talente, die in dem klugen rehäugigen Köpfchen etwa schlummern konnten, zum Leben zu erwecken? Wenn Magi z. B. ein Talent für Musik hätte, wäre nicht die Idee, eine schwarze Opern- oder Concertsängerin heranzubilden, eine vielversprechende und zukunftsreiche? Würde eine solche nicht, wenn dabei noch so hübsch in ihrer äußeren Erscheinung, mit der Zeit ein großes Vermögen in Europa erwerben, und so eine viel höhere Existenzstufe erreichen können, als ihrer in Afrika als Frau Nummer so und so viel eines untergeordneten Kaffernhäuptlings wartete? Und außerdem, welche freundliche Aussicht, einem so anmuthigen kleinen Wesen durch liebevolle Pflege und Fürsorge mit der Zeit ein Gefühl kindlicher Liebe und Anhänglichkeit einzuflößen, und sich daran zu ergötzen, wie die zarte tropische Wunderblume in den europäischen Salons von aristokratischen Damen caressirt und gehätschelt werden würde!

Ich gab meiner Idee sofort Ausdruck und fragte den König, ob er, da er ja so außerordentlich zahlreiche Kinder habe, eventuell nicht eins davon, und zwar Magi, würde meinem Schutze und meiner Pflege zum Zwecke einer europäischer Erziehung anvertrauen wollen? Da meine Person seinem großen Freunde, dem Präsidenten des Oranje-Freistaates, wohl bekannt sei, so würde ihm jede mögliche Garantie für die gewissenhafte Erfüllung meiner Zusicherungen gegeben werden.

Die Antwort des Königs war kurz und entschieden. Er rief Magi zu sich heran, nahm sie auf seinen Schooß, küßte sie herzlich und ließ mir verdolmetschen, daß er jedes andere Kind, nur nicht dieses mir abtreten würde, denn es sei sein Augapfel und die größte Freude seines Herzens. Magi war offenbar mit dieser Entscheidung gar nicht unzufrieden, denn sie schmiegte sich liebkosend an die Brust des greisen Vaters und warf mir aus dessen Armen einen lieblich schelmischen Blick zu – das war im wunderschönen Land der Barolongs.“



Naturforscher und Volksdichter.

Nicht leicht einen Zweiten wird es geben, welcher bei der ernstesten wissenschaftlichen Forschung sich bis in das höchste Alter eine so urwüchsige Lebensfrische erhalten hat, wie Professor Franz von Kobell in München. Ziemlich weiß ist freilich das Haar, etwas nachlässig seine Haltung geworden, aber noch schreitet die Gestalt oftmals rüstigen Schrittes durch die Straßen. Ist auch Kobell’s Blick um einen Grad ernster geworden, so leuchtet sein Gesicht doch noch heute bei dem ersten Worte des Gespräches von herzlichem Wohlwollen, zunächst mit einer guten Portion Schalkhaftigkeit, und von ungetrübter Heiterkeit. Wie sonst entfaltet sich noch eine Fülle von Humor, dessen Färbung eine so echt süddeutsche harmlos heitere ist, daß man die Tiefe des Grundes ganz vergißt, auf welchen er wurzelt. Längere Vertrautheit mit seinen poetischen Arbeiten ist ja auch erforderlich, um deren verborgenen ethischen Gehalt immer und überall herauszulauschen. Selbst den Nahebefreundeten drängt sich auch immer und immer wieder die Frage auf, ob es denn möglich sei, daß der auf dem Gebiete der Mineralogie und Chemie in der ganzen wissenschaftlichen Welt bekannte Forscher und Erfinder, der populäre mineralogische Schriftsteller, der phantasievolle, selbst von einem Alexander von Humboldt neidlos bewunderte poetische Geologe ein und dieselbe Person ist mit dem Jagdhistoriographen, mit dem lyrischen Dichter, mit dem Sänger lustiger Volksstücke und heiterster Volks-„Gesangln“, mit dem volksthümlichen Epiker und prosaischen Fabulanten, mit dem liebenswürdigsten Erzähler weit und breit, gleichviel, ob er die harte oberbaierische oder die zungengeläufige pfälzische Mundart als Werkzeug wählt. Dabei haben wir noch gar nicht in Anschlag gebracht, daß Ebenderselbe auch ein unermüdlicher Jäger, besonders im Hochgebirge, ist und an Gemsen allein nicht weniger als zweihundertvierundvierzig Stück geschossen hat, daß er, wie männiglich bekannt, jederzeit zu geselligen Freuden aufgelegt und bereit ist und in sich ein gesellschaftliches Talent herangebildet hat, welches überall seines Gleichen sucht, und daß er bei keiner Volksvereinigung zu Scherz und Erholung je fehlt, sodaß der Mann in der Lodenjoppe, die nie verlöschende Cigarre im Munde, zu einem lebendigen Wahrzeichen der Stadt München geworden ist.

Franz von Kobell wurde in München am 19. Juli 1803 geboren. Sein Vater, welcher ebenfalls Franz von Kobell hieß, war Generalsekretär im Ministerium daselbst, stammte aber aus Mannheim. Seine Mutter, ein Fräulein von Burger, war eine geborene Münchnerin. Im zwanzigsten Lebensjahre (1823) erhielt der Sohn Franz seine erste Anstellung als Adjunct an dem Conservatorium der mineralogischen Sammlungen des Staats und rückte hier später zum Conservator vor. Im dreiundzwanzigsten Lebensjahre (1826) war er bereits außerordentlicher, acht Jahre später ordentlicher Professor der Mineralogie an der Hochschule in München. Die baierische Akademie der Wissenschaften hat ihn 1827 zum außerordentlichen, 1842 zum ordentlichen Mitglied erwählt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_246.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)