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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aber Beharrlichkeit führt zum Ziel und zum Schmied wird man durch Schmieden. Dem Schiffbruch des ersten Rauchunternehmens folgten neue Versuche; die Tugend trug endlich den Sieg davon; wir gewöhnten uns allmählich an des Tabaks gefährliche Natur und siehe, im Laufe der Zeiten gelangten wir zur Meisterschaft. Und endlich kamen die Tage, wo wir nach zurückgelegtem Examen der Reife die erlangte Kunstfertigkeit frei und öffentlich der staunenden Mitwelt zeigen durften.

Das ist die Geschichte des Tabakrauchens beim Einzelnen; ähnlich gestaltet sie sich im Entwickelungsgange der Völker im Großen. Alle civilisirten Nationen fröhnen dem seltsamen Gebrauche. Seit den Tagen des Columbus, dessen Augen auf der Insel Guanahani zuerst menschliche Wesen rauchen sahen, also seit dem fünfzehnten Jahrhunderte hat diese Sitte sich auf der ganzen cultivirten Erde mit unaufhaltsamer Schnelligkeit eingebürgert – und zwar trotz der dagegen erlassenen polizeilichen Verbote, trotz der liebenswürdigen, bei Türken und Russen ehemals üblichen Strafe des Nasendurchstoßens und Nasenabschneidens, trotz der Verdammungs- und Donnerpredigten der Geistlichkeit gegen den „höllischen Rauch“. Ja, jene Verbote haben zweifellos nur, wie bei den Schulknaben, das Gegentheil von dem bewirkt, was sie bezwecken sollten.

Bei dem Knaben ist es zum großen Theile Nachahmungstrieb und die Sucht, männlicher zu erscheinen, was ihn, trotz allem anfänglichen Jammer, veranlaßt und anspornt, den Genuß des verdächtigen Krautes zu cultiviren. Was aber trieb die Völker dazu?

Diese Frage findet ihre Beantwortung in dem Hang des Menschengeschlechts, in der geheimen, mit der wachsenden Cultur immer mächtiger und gebieterischer auftretenden Sehnsucht desselben nach Erregungsmitteln, nach Stoffen, welche eine erhöhte Lebens- und Nerventhätigkeit hervorzubringen vermochten. Thee, Kaffee, Wein, Spirituosen und andere Substanzen gehören zu dieser Kategorie. Der Tabak nun zählt zu den interessantesten seiner Gattung, und es verlohnt sich daher wohl der Mühe, wenn wir ein Weilchen von der Naturgeschichte unseres alten Freundes und Wohlthäters plaudern.

Wenige von allen unsern Nahrungs- und Genußmitteln begleiten uns in so verschiedenen Formen, unter so mannigfaltiger Maske durch’s Leben, als der Tabak. Welche Unterschiede zwischen der echten „braunen Tochter der Havanna“ und der sogenannten Volkshaufenauseinandersprengungscigarre, zwischen dem köstlichen Varinasaroma und dem fürchterlichen Bauernkneller eigener Zucht! Welche Mannigfaltigkeit endlich unter den diversen Schnupftabaken!

Und doch waltet ein und dasselbe Princip in allen diesen Metamorphosen ob, nur daß die Wirkung auf die Consumenten und die Ansprüche der letzteren, je nach ihrer Beziehung, Gewöhnung und socialen Stellung, verschiedengradig sind.

Die Verbreitung und der allgemeine Verbrauch des Tabaks wurde und wird durch den Umstand außerordentlich erleichtert, daß die denselben liefernde, in äquatorialer Zone heimische Pflanze sich mit der größten Leichtigkeit in alle gemäßigten Klimata schickt und ihrem Anbau dadurch keine Schwierigkeiten entgegenstellt. Da man zudem nur die Blätter, nicht die Früchte, erntet, so braucht das Gewächs nicht das Stadium seiner völligen Entwickelung zu erreichen. Der beste europäische Tabak wird in der Türkei, in Bosnien und dem südlichen Rußland producirt; ferner cultivirt man denselben in Holland, Belgien und Frankreich, wo Fabrikation und Verschleiß bekanntlich Regierungsmonopol ist; in Deutschland sind besonders das Elsaß, die Rheinpfalz, Franken, Schlesien, Sachsen, Thüringen und Westfalen zu nennen.

Veranschaulichen wir uns die Cultur dieser merkwürdigen Pflanze in den allgemeinsten Umrissen!

Wegen der Kleinheit der Samen (ein Cubikcentimeter enthält deren 6000) säet man den Tabak zunächst in reichgedüngte Mistbeete, aus denen dann die Pflänzchen in parallelen Reihen und in Abständen von etwa je zwei Fuß von einander auf die Felder verpflanzt werden. Je nach der Fruchtbarkeit des Bodens, je nach dem Product, das man zu erzielen beabsichtigt, besetzt man die Hektare Landes mit 10,000 bis 55,000 Individuen. Dieser Anbau findet im Laufe des Mai bis Juni statt. Die meiste Gelegenheit zur vergleichenden Beobachtung bietet die durch eine genaue Controle und centrale Verwaltung geregelte Tabakscultur Frankreichs dar, und viele der hier mitgetheilten Daten verdanken wir den eingehenden Studien des Directors der Ecole d’Application der französischen Tabaksindustrie, des Herrn Theodor Schlösing.

Nach etwa drei Monaten beginnt die Ernte. Während dieser kurzen Zeit ist der Boden per Hektare um dreihundert bis fünfhundert Kilogramm an mineralischen Materien und fünfzig bis neunzig Kilogramm an Stickstoff ärmer geworden. Es leuchtet daher ein, daß die Düngung eine vortreffliche sein muß. Die Wartung außerdem und die Pflege der Pflanzen erstreckt sich auf tausenderlei Kleinigkeiten und findet in ihrer beschwerlichen Art nur bei der mühsamen Behandlung des Weinstocks Aehnliches, der überhaupt manche Analogieen mit der Tabakspflanze bietet.

Wenn man eine Rheingauer Rieslingrebe nach Californien verpflanzt, so gedeiht dieselbe äußerlich vortrefflich, giebt aber ein vom Rheinwein total verschiedenes Getränk, das vollständig jener königlichen Blume der Heimath entbehrt. So auch die Tabakspflanze. Die havannesische Varietät, in unser Klima versetzt, erleidet scheinbar keine Veränderung. Ihr Aeußeres, das Zellengewebe und Geäder der Blätter bleibt dasselbe; selbst der Nicotingehalt erhält sich constant, aber das Hauptsächlichste, Werthvollste degenerirt, nämlich das Aroma, und keine Mittel der Kunst, kein Dünger, kein noch so penibles Nachahmen der heimathlichen klimatischen und Boden-Verhältnisse vermochte diesem kostbaren Verlust vorzubeugen. In Deutschland cultivirt man meistens Virginia und Maryland, selbst den gewöhnlichen Bauerntabak, in Frankreich noch verschiedene andere Varietäten.

Die Stärke des Tabaks hängt von seinem Gehalt an Nicotin ab. Je dicker, je üppiger die Blätter, desto größer der Gehalt an diesem eigenthümlichen Stoff. In Blättern von geringer Parenchymstärke beträgt derselbe ein bis drei Procent; in denen von dickerem Zellgewebe steigt der Gehalt bis zu neun und zehn Procent. Diese merkwürdige Thatsache weiß der rationelle Pflanzer wohl zu verwerthen. Indem er auf einem bestimmten Raum mehr Pflanzen zieht, mehr Blätter und damit, auf Kosten der Dicke derselben, eine größere Blattoberfläche erzeugt, vermindert er den zu großen Nicotingehalt. Ebenso vermag man durch zeitigere Ernten den Gehalt der Blätter herabzusetzen, da die Stärke desselben, mit der Entwickelung und dem Aelterwerden der Pflanzen Hand in Hand gehend, fortwährend zunimmt.

Auf dem gesegneten Cuba pflegt man dreimal im Jahr zu ernten. Die jungen Blätter des ersten Schnittes liefern kostbare, ja sogar kostbarste Regaliadecken; die des zweiten und dritten werden als Einlagen benutzt.

Das Nicotin ist das Hauptcharakteristicum der zur Gattung Nicotiana gehörigen Pflanzen. Im reinen Zustande und frisch bereitet, stellt es eine wasserhelle Flüssigkeit dar, von so betäubendem Geruch, daß ein Tropfen davon genügt, um die Luft eines Salons unathembar zu machen. Seiner stark giftigen Eigenschaften wegen hat es unserem Freund, dem Tabak, zu dem zweideutigen Ruf verholfen, in dem er noch immer, besonders bei Nichtrauchern, steht. In chemischer Hinsicht ähnelt es dem Ammoniak, als dessen etwas complicirter construirten Bruder man dasselbe betrachten kann. Seine Formel: N2 C10 H14.

Aber neben dem Nicotin haben die Gelehrten eine ganze Blumenlese von Substanzen in der Tabakspflanze aufgefunden. Außer den Mineralsubstanzen, welche etwa zwanzig Procent des bei hundert Grad getrockneten Blattes ausmachen und denen man in der zum größten Theil aus kohlensaurem Kalk, daneben aus Phosphaten, Silicaten, Chlorüren und Sulfaten des Kaliums bestehenden Asche wiederbegegnet, enthält unser Vegetabil (Nicotin) aromatisch-ätherisches Oel, Aepfel-, Citronen-, Oxal-, Essigsäure, Pektin, Stärke, Zucker, Cellulose, grüne oder gelbe harzige Materien, endlich stickstoffhaltige Substanzen von dunkler Zusammensetzung. Die letzteren sucht man bei der Fabrikation möglichst durch Gährung zu zerstören, da gerade ihre Gegenwart jenen entsetzlichen Duft der sogenannten guten Freundes- und Jagd-Cigarren verursacht, welche man nur auf hohen Bergen und im Vollbesitz eines tüchtigen Schnupfens zu rauchen vermag.

Alle diese Stoffe spielen durch die Veränderung, welche sie durch die Fabrikation erleiden, eine mehr oder minder bedeutende Rolle. Wir vermögen hier natürlich nicht im Entferntesten auf die Details dieser Zubereitung der Blätter zu Rauchtabak, Cigarren oder Schnupftabak einzugehen, genug, daß die an der Luft oder in Trockenkammern getrockneten Blätter zum Zweck der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_249.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)