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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

No. 16.

1878.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.

Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten.

Im Ballsaal wurde inzwischen der längst begonnene Tanz mit Lebhaftigkeit fortgesetzt, und die Paare ordneten sich bereits zum zweiten Walzer. Gabriele war von einem Tanz zum andern geflogen; sie liebte dieses Vergnügen über Alles und sog mit vollen Zügen den Weihrauch ein, der ihr freigebig von allen Seiten gestreut wurde. Die Huldigungen und Schmeicheleien der Herren fanden ein williges Ohr bei der jungen Dame; sie bemerkte es nicht, wie ernst und vorwurfsvoll Georg’s Augen bisweilen auf ihrem Antlitz hafteten, wenn sie das Alles in spielender Koketterie hinnahm, und reichte ihm die Hand, als er endlich kam, um sie an ihre Zusage zu erinnern, und sie in die Reihen führte.

„Baroneß Harder ist doch eine reizende Erscheinung,“ sagte Oberst Wilten zu dem Freiherrn, der vor einigen Minuten in den Saal getreten war und ganz gegen seine sonstige Gewohnheit dem Tanze zusah. „Ich fürchte nur, Excellenz, Sie werden Ihre schöne Pflegebefohlene nicht allzu lange behalten; sie dürfte Ihnen bald genug von dem künftigen Gemahl entführt werden.“

„Warum nicht gar!“ erwiderte Raven in halb unwilligem Tone. „Davon kann vorläufig keine Rede sein, Gabriele ist ja noch ein halbes Kind.“

Der Oberst lachte. „Mit siebenzehn Jahren sind unsere jungen Mädchen keine Kinder mehr. Fräulein von Harder würde ganz entschieden gegen eine solche Zumuthung protestiren. Sehen Sie nur, wie graziös sie mit ihrem Tänzer dahinschwebt! Die eigenthümlich sonnige Art ihrer Schönheit ist noch nie so siegreich zur Geltung gekommen, wie an dem heutigen Abend. Ich möchte Sie wirklich um Ihre Vaterrechte an diesem liebenswürdigen Wesen beneiden.“

Vaterrechte! Das Wort schien den Freiherrn unangenehm zu berühren; auf seiner Stirn zeigte sich eine tiefe Falte, als er, ohne etwas zu erwidern, mit den Blicken dem jungen Paare folgte, das seine ganze Aufmerksamkeit fesselte.

Wilten hatte nicht ohne alle Beziehung gesprochen. Er hatte es recht gut bemerkt, wie angelegentlich sein ältester Sohn der jungen Baroneß den Hof machte, die als wahrscheinliche Erbin ihres Vormundes eine glänzende Partie war. Der Oberst hätte durchaus nichts dagegen gehabt, dem letzteren die Vaterrechte abzunehmen; die schöne und reiche Schwiegertochter wäre ihm höchst willkommen gewesen, und er versuchte es, die Sache wenigstens anzubahnen. Aber seine Andeutungen in dieser Hinsicht schienen durchaus nicht verstanden zu werden; er ließ also vorläufig den Gegenstand fallen.

„Ich sprach soeben den Polizeidirector,“ begann er von Neuem. „Er meint, daß nichts zu besorgen wäre, hat aber doch alle nöthigen Vorsichtsmaßregeln getroffen für den Fall, daß es heute in der Stadt zu irgend welchen Excessen kommen sollte.“

„Heute? Warum gerade heute?“ fragte Raven zerstreut und noch immer mit seinen Beobachtungen beschäftigt.

„Nun, der heutige Festtag giebt doch Gelegenheit zu manchen Zusammenkünften, besonders in den niederen Ständen, und hat bei der jetzigen gereizten Stimmung sein Bedenkliches, zumal wenn die Köpfe erhitzt sind.“

Dem Freiherrn schien das Gespräch lästig zu sein; er hörte kaum darauf und war offenbar von ganz anderen Gedanken in Anspruch genommen, als er gleichgültig erwiderte: „So, meinen Sie das?“

Der Oberst sah ihn befremdet an. „Aber, Excellenz, das müssen Sie doch am besten wissen. Wir sprachen ja erst gestern ausführlich darüber, und es ist leider kein Geheimniß, daß die allgemeine Aufregung sich in erster Linie gegen Sie richtet. Hofrath Moser sagte mir vorhin, Sie hätten kürzlich wieder einen Drohbrief erhalten.“

Der Gouverneur zuckte verächtlich die Achseln. „Ich habe ein halbes Dutzend davon in meinem Papierkorbe. Man sollte doch nun endlich einsehen, daß ich solchen Albernheiten nicht zugänglich bin.“

Wilten warf einen Blick umher: sie standen am Ende des Saales, und es befand sich augenblicklich Niemand nahe genug, um das Gespräch hören zu können. Der Oberst fuhr in leiserem Tone fort:

„Sie sollten aber doch die Gefahr nicht geradezu herausfordern. Es ist allzu unvorsichtig, daß Sie ohne jede Begleitung und Sicherheitsmaßregeln zu Fuß durch die Stadt gehen. Ich habe Sie schon neulich bitten wollen, das zu unterlassen. Wer weiß, ob der Pöbel nicht systematisch gegen Sie aufgehetzt wird; die ganze Bürgerschaft steht ja in geschlossener Opposition Ihnen gegenüber.“

„Desto besser,“ sagte Raven mechanisch. Seine Augen wichen nicht einen Moment lang von einem gewissen Punkte des Saales.

Der Oberst trat einen Schritt zurück. „Excellenz!“

Sein Erstaunen brachte den Freiherrn zur Besinnung. Er wendete sich rasch um.

„Verzeihen Sie! Ich bin zerstreut. Ich – hörte nicht recht, was Sie sagten. Wovon sprachen wir doch?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_255.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)