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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

den Europäer, der sich so schwer eine zutreffende Vorstellung von dem ehelichen Leben der Orientalen machen kann!

Es ist ein weit verbreiteter Irrthum, daß Mohammed erst die Vielweiberei eingeführt habe. Er hat nur die herkömmlichen ehelichen Verhältnisse seines Volkes religiös sanctionirt. Die Nomaden, speciell die Araber, haben, lange vor Mohammed, von Alters her in Vielweiberei gelebt, wie ja selbst die Patriarchen der Bibel. Die verderblichste Seite der mohammedanischen Ehe ist wohl die Leichtigkeit der Scheidung, die sich Leichtfertige zu Nutzen machen, indem sie, um den Geldaufwand von gleichzeitig gehaltenen Frauen in ihrem Harem zu vermeiden, nur immer eine Frau nehmen und diese mit einer anderen vertauschen, sobald sie ihrer müde geworden sind. Mancher soll es auf diese Weise bis zur fünfzigsten Frau gebracht haben. Sonst bildet der Kostenpunkt größtentheils eine wohlthätige Schranke, die bei den mittleren Ständen in der Regel zu Ehen in unserem Sinne nöthigt. Ein Moslem, dessen Harem mit mehreren Frauen bevölkert ist (über vier rechtmäßige Frauen darf er nicht besitzen; die Zahl der Sclavinnen ist jedoch nicht beschränkt), vertheilt dieselben gewöhnlich in verschiedene Häuser, indem er regelmäßig abwechselnd den einen Tag in diesem, den nächsten im andern verlebt. Die Frauen betrachten sich als Verwandte und machen sich von Zeit zu Zeit wenigstens ceremonielle Besuche, aber es soll auch Beispiele friedlich beisammen wohnender Mitfrauen geben. Die Glieder einer Familie hängen oft mit großer Zärtlichkeit an einander. Die Kinder werden freilich auf eine uns fast despotisch erscheinende Weise erzogen.

Hierüber und über die Sitten des orientalischen Familienlebens hat die „Gartenlaube“ bereits mehrfach eingehende Schilderungen veröffentlicht. – Das geniale und namentlich durch seine poetische Stimmung hochinteressante Original des Bildes, das diese Zeilen begleiten und welches den wandernden Harem eines Beduinen in der Wüste darstellt, ist eine mit vielem künstlerischen Feingefühl und Geschmack ausgeführte Schöpfung des geist- und talentvollen W. Gentz in Berlin, eine Wandmalerei in dem von Ebe und Benda auf der Wilhelmstraße daselbst erbauten Hause des Herrn Rudolf Pringsheim, welches einen vielbesprochenen architektonischen Schmuck der Reichshauptstadt bildet. An der äußeren Façade des Hauses – dies sei nur noch bemerkt – befinden sich Mosaiken nach Zeichnungen von A. von Werner; das Innere enthält noch außer Wandmalereien desselben Meisters sowie L. Burger’s eben dergleichen aus der Piloty’schen Schule in München. Unser „Harem in der Wüste“ ist ein stimmungsvolles Landschafts- und eigenartiges Genrebild, das wohl verdient, den großen Kreisen unserer Leser vorgeführt zu werden. Möge es unter ihnen zahlreiche Freunde finden!


Im Stammhause des Reichskanzlers.

Von Moritz Busch.

II.


Nachdem das Innere des Hauses in Augenschein genommen war, brachte mein Führer mich in den Garten, der, wie bemerkt, in zwei Hälften, eine höher und eine tiefer gelegene, zerfällt, von welchen jene Obstbäume und Gemüsebeete enthält, während diese in einem Parke nach altfranzösischer Anlage besteht. Zwischen beiden zieht sich – wenn wir unter dem Doppelwappen über der Thür des Herrenhauses hinaustreten, links – eine Allee breitwipfeliger alter Linden hin, die rechts eine Strecke von einer Fachwerkmauer, der Hinterwand des linken Flügels der Wirthschaftsgebäude, links von einem offenen Raume begrenzt ist. In den Balken jener Wand sieht man zahlreiche Spuren von Schrotschüssen, die nach der Mittheilung des Inspectors, der mich auf sie aufmerksam machte, von Schießübungen des Reichskanzlers in der Zeit herrühren, als er noch der kleine Junker Bismarck war. Der offene Rasenplatz auf der anderen Seite der Linden erinnert durch die hier aufgefahrenen französischen Geschütze an das, was aus dem kleinen Schützen zu unserem Heile in späterer Zeit geworden, an den Befreier Deutschlands von Jahrhunderte langer Bedrohung durch den Erbfeind im Westen. Es sind vier Kanonen, zwei kleinere neue und zwei sehr große alte. Die beiden letzteren sind schön verziert und mit hellgrüner Patina bedeckt. Die Namen derselben – man weiß, daß die Franzosen ihre Geschütze taufen – sind: L’Autorité, Le Navarin, Le Ravissant und Le Champion.

Steigen wir auf der moosbewachsenen Treppe vor uns in den Park hinab, so befinden wir uns bald zwischen hohen Weißbuchenhecken in schmalen geradlinigen Gängen, bald im Schatten der Wipfel von Lindenalleen, die ebenfalls gerade fortlaufen. An der tiefsten Stelle liegt, von einem Graben oder einem kleinen Teiche umgeben, von Bäumen überragt, ein Lusthaus. Hier und da steht eine Bildsäule von Sandstein, eine alte griechische oder römische Gottheit, welche die Zeit mit gelben Flechten bekleidet oder – vielleicht thaten es hier die bösen Franzosen, welche den erwähnten Stammbaum gemißhandelt – um einen Kopf kürzer gemacht hat. Am Ende des Parkes, wo ein Holzbrückchen über einen schilfigen Graben in’s sonnige Feld hinausführt, begegnen wir der Statue eines Hercules, der die rechte Hand auf’s Kreuz drückt, als ob es ihm da wehthäte. Die Schönhausener nennen ihn, weil er die Tracht der Menschheit vor dem Sündenfalle trägt, „den Adam“, und ein witziger Kopf unter ihnen hat die Sage aufgebracht, er halte die Hand auf die Stelle, weil ihn der Schuß noch schmerze, den Junker Bismarck einst auf dieselbe abgefeuert. Ob aus Verdruß darüber, daß er diese Kehrseite den die Brücke vom Felde her Passirenden in nicht recht höflicher Weise zuwendet, weiß ich nicht, ich kann nur bezeugen, daß Spuren eines Schrotschusses noch deutlich zu sehen sind.

Alles ist jetzt still hier. Nur die Stimmen von Vögeln beleben die Büsche im Frühling. Aus den Mauern zur Seite und auf den Treppenwangen sproßt Unkraut und Gesträuch, und längst hat die Zeit an den einst glattgeschorenen Wänden der Weißbuchenhecken die Kunst des Gärtners mit dem Zopfe verdrängt und der Natur wieder zu ihrem Rechte verholfen. Die Sonne des Nachmittags aber leuchtet an wolkenlosen Tagen so schön wie einst vor den Ausgängen der schattigen Alleen und durch das grüne Gezweig der Bosquets dieser Wipfelinsel im weiten baumlosen Gefilde.

Der Park stimmt im Herbste, wo ich ihn sah, durch seinen Verfall etwas schwermüthig, auch wenn man die Kreuze der beiden Gräber nicht sieht, die er enthält, und in denen ein jung verstorbener Bruder und ein Vetter des Fürsten gebettet liegen. Auch der Obst- und Gemüsegarten ist nicht mehr, was er früher wohl gewesen ist. Die Blumen- und Gemüsebeete sind meist mit Luzerne bestanden. Der kleine Teich in der Mitte, der eine Insel mit einer vom Fürsten gepflanzten Birke umgiebt, ist fast ohne Wasser. Das Gewächshaus dient als Stall, in welchem fremdländische Hühner gezüchtet werden. Der Wein, welcher an der hohen Umfassungsmauer in Menge wächst, war in diesem Herbste nicht zur Reife gelangt, und seine edlen Trauben hingen ungenießbar zwischen den vergilbten Blättern der Reben. Einer schöngewachsenen Linde an der Nordseite der Mauer drohte der Untergang. Die Telegraphenverwaltung hat – wohl aus Pietät gegen den Kanzler – den Wipfel des Baumes mit ihrer Leitung umgangen. Jetzt aber wird leider von einer anderen Behörde, wie mein Begleiter erzählte, auf Antrag des Chausseeinspectors verlangt, daß der Draht dicht am Baume hinführen soll, ein Verlangen, welches eine Verstümmelung desselben durch Wegnahme eines Theils des Wipfels einschließt. Ob das nöthig ist? Ich schlage meine Notizenherbarien nach und finde folgende Ergebnisse der Studien, welche der französische Physiker Moucel in Betreff der Bäume als Leiter der Elektricität angestellt hat:

„Die Bäume sind durchaus mehr oder minder Leiter, und ihr Leitungsvermögen hängt von der Menge von Flüssigkeit ab, welche sie enthalten. Die Widerstandsziffer, die von den Blättern eines Baumes ausgeht, vorausgesetzt, daß nur einige derselben mit der Leitung in Berührung gebracht worden sind, variirt, rund gerechnet, zwischen 200,000 und 400,000 Kilometer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_260.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)